völlige Aufhebung ihrer Trennung. Dies ist aber sowohl gegen das Naturgesetz der Theilung der Kräfte, als gegen das Arbeitsgesetz der Geschäfte. Der Sammler, der Geschichtschreiber und der Philosoph arbeiten an Einem Ziele, aber auf verschiedenen Wegen. Der erste schafft dem zweiten den Stoff in die Hände und dieser übergibt ihn, schon aus- gelesen und verarbeitet, zur letzten geistigen Umbildung dem dritten. Der dritte gibt dem zweiten die Idee in einzelne Maximen, Einschnitte, Stand- punkte umgesetzt, der zweite überliefert diese dem ersten, wo sie nur noch als Instinkt und Takt des rechten Suchens wirken. Aber welches Monstrum würde die Aesthetik, wenn sie den ganzen Stoff des ersten oder auch nur des zweiten, alle Jahreszahlen, Namen Orte aufnehmen würde, und wohin würde sich die Geduld, der Stoffsinn der letzteren verflüchtigen, wenn sie streng philosophirten?
§. 8.
Die Geschichte der Aesthetik als Wissenschaft ist in das System selbst in der Weise aufzunehmen, daß die bedeutendsten Gedanken, welche in ihr hervor- getreten sind, als Momente desselben sich einreihen. Es kann dies nicht in dem Sinne vollzogen werden, in welchem die gegenwärtige Philosophie es als Gesetz des Verhältnisses zwischen der Geschichte der Philosophie und den Stufen der logischen Idee aufstellt; denn nicht nur ist die Aesthetik als Wissenschaft zu neu, um eine solche Reihe von Prinzipien darzustellen, sondern es kann über- haupt, was von den Grundlagen der philosophischen Systeme gilt, nicht ebenso auf die abgeleiteten Theile angewandt werden. Nur ungefähr und theilweise läßt sich die logische Folge der Begriffsmomente in der Metaphysik des Schönen mit der geschichtlichen Folge der hierüber vorgebrachten Gedanken zusammen- stellen; im Uebrigen reihen sich dieselben ohne besondere Rücksicht auf ihre zeit- liche Ordnung allerdings in das System so ein, daß sie, ihres Anspruchs auf erschöpfende Bedeutung enthleidet, als Glieder sich zur Totalität des Begriffs zusammenfügen.
Hegel's wichtige Entdeckung, daß man, wenn die Grundbegriffe der in der Geschichte der Philosophie erschienenen Systeme dessen ent- kleidet werden, was ihre äußerliche Gestaltung, ihre Anwendung auf das Besondere u. dgl. betrifft, die verschiedenen Stufen der Bestimmung der Idee selbst in ihrem logischen Begriffe erhält, wird selbst von denjenigen in ihrer allgemeinen Wahrheit nicht verworfen, welche ihre durchgängige
völlige Aufhebung ihrer Trennung. Dies iſt aber ſowohl gegen das Naturgeſetz der Theilung der Kräfte, als gegen das Arbeitsgeſetz der Geſchäfte. Der Sammler, der Geſchichtſchreiber und der Philoſoph arbeiten an Einem Ziele, aber auf verſchiedenen Wegen. Der erſte ſchafft dem zweiten den Stoff in die Hände und dieſer übergibt ihn, ſchon aus- geleſen und verarbeitet, zur letzten geiſtigen Umbildung dem dritten. Der dritte gibt dem zweiten die Idee in einzelne Maximen, Einſchnitte, Stand- punkte umgeſetzt, der zweite überliefert dieſe dem erſten, wo ſie nur noch als Inſtinkt und Takt des rechten Suchens wirken. Aber welches Monſtrum würde die Aeſthetik, wenn ſie den ganzen Stoff des erſten oder auch nur des zweiten, alle Jahreszahlen, Namen Orte aufnehmen würde, und wohin würde ſich die Geduld, der Stoffſinn der letzteren verflüchtigen, wenn ſie ſtreng philoſophirten?
§. 8.
Die Geſchichte der Aeſthetik als Wiſſenſchaft iſt in das Syſtem ſelbſt in der Weiſe aufzunehmen, daß die bedeutendſten Gedanken, welche in ihr hervor- getreten ſind, als Momente desſelben ſich einreihen. Es kann dies nicht in dem Sinne vollzogen werden, in welchem die gegenwärtige Philoſophie es als Geſetz des Verhältniſſes zwiſchen der Geſchichte der Philoſophie und den Stufen der logiſchen Idee aufſtellt; denn nicht nur iſt die Aeſthetik als Wiſſenſchaft zu neu, um eine ſolche Reihe von Prinzipien darzuſtellen, ſondern es kann über- haupt, was von den Grundlagen der philoſophiſchen Syſteme gilt, nicht ebenſo auf die abgeleiteten Theile angewandt werden. Nur ungefähr und theilweiſe läßt ſich die logiſche Folge der Begriffsmomente in der Metaphyſik des Schönen mit der geſchichtlichen Folge der hierüber vorgebrachten Gedanken zuſammen- ſtellen; im Uebrigen reihen ſich dieſelben ohne beſondere Rückſicht auf ihre zeit- liche Ordnung allerdings in das Syſtem ſo ein, daß ſie, ihres Anſpruchs auf erſchöpfende Bedeutung enthleidet, als Glieder ſich zur Totalität des Begriffs zuſammenfügen.
Hegel’s wichtige Entdeckung, daß man, wenn die Grundbegriffe der in der Geſchichte der Philoſophie erſchienenen Syſteme deſſen ent- kleidet werden, was ihre äußerliche Geſtaltung, ihre Anwendung auf das Beſondere u. dgl. betrifft, die verſchiedenen Stufen der Beſtimmung der Idee ſelbſt in ihrem logiſchen Begriffe erhält, wird ſelbſt von denjenigen in ihrer allgemeinen Wahrheit nicht verworfen, welche ihre durchgängige
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[37/0051]
völlige Aufhebung ihrer Trennung. Dies iſt aber ſowohl gegen das
Naturgeſetz der Theilung der Kräfte, als gegen das Arbeitsgeſetz der
Geſchäfte. Der Sammler, der Geſchichtſchreiber und der Philoſoph
arbeiten an Einem Ziele, aber auf verſchiedenen Wegen. Der erſte ſchafft
dem zweiten den Stoff in die Hände und dieſer übergibt ihn, ſchon aus-
geleſen und verarbeitet, zur letzten geiſtigen Umbildung dem dritten. Der
dritte gibt dem zweiten die Idee in einzelne Maximen, Einſchnitte, Stand-
punkte umgeſetzt, der zweite überliefert dieſe dem erſten, wo ſie nur noch
als Inſtinkt und Takt des rechten Suchens wirken. Aber welches
Monſtrum würde die Aeſthetik, wenn ſie den ganzen Stoff des erſten
oder auch nur des zweiten, alle Jahreszahlen, Namen Orte aufnehmen
würde, und wohin würde ſich die Geduld, der Stoffſinn der letzteren
verflüchtigen, wenn ſie ſtreng philoſophirten?
§. 8.
Die Geſchichte der Aeſthetik als Wiſſenſchaft iſt in das Syſtem ſelbſt in
der Weiſe aufzunehmen, daß die bedeutendſten Gedanken, welche in ihr hervor-
getreten ſind, als Momente desſelben ſich einreihen. Es kann dies nicht in
dem Sinne vollzogen werden, in welchem die gegenwärtige Philoſophie es als
Geſetz des Verhältniſſes zwiſchen der Geſchichte der Philoſophie und den Stufen
der logiſchen Idee aufſtellt; denn nicht nur iſt die Aeſthetik als Wiſſenſchaft zu
neu, um eine ſolche Reihe von Prinzipien darzuſtellen, ſondern es kann über-
haupt, was von den Grundlagen der philoſophiſchen Syſteme gilt, nicht ebenſo
auf die abgeleiteten Theile angewandt werden. Nur ungefähr und theilweiſe
läßt ſich die logiſche Folge der Begriffsmomente in der Metaphyſik des Schönen
mit der geſchichtlichen Folge der hierüber vorgebrachten Gedanken zuſammen-
ſtellen; im Uebrigen reihen ſich dieſelben ohne beſondere Rückſicht auf ihre zeit-
liche Ordnung allerdings in das Syſtem ſo ein, daß ſie, ihres Anſpruchs auf
erſchöpfende Bedeutung enthleidet, als Glieder ſich zur Totalität des Begriffs
zuſammenfügen.
Hegel’s wichtige Entdeckung, daß man, wenn die Grundbegriffe
der in der Geſchichte der Philoſophie erſchienenen Syſteme deſſen ent-
kleidet werden, was ihre äußerliche Geſtaltung, ihre Anwendung auf das
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/51>, abgerufen am 24.11.2024.
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