geistigen insbesondere, vorstellig zu machen. Sphäre des subjectiven Geistes: unmittelbare Einheit in der fühlenden Seele, Vermittlung im Erkennen durch den Gegensatz des Subjects und Objects, vernünftiges Denken der Einheit dieses Gegensatzes. Sphäre des objectiven Geistes: der Wille in der unmittelbaren Gestalt des Triebes, in der vermittelten als wählende Freiheit, in der harmonisch mit sich selbst Einen als Wille des Guten. Staat: Naturstaat, verständiger Staat (Polizeistaat), ver- nünftiger Staat. Sphäre des absoluten Geistes, Religion: Natur- Religion, vermittelte oder verständig trennende Religion (Judenthum), vernünftig einigende Religion (Christenthum). Je die dritte und höchste Form, in welcher die Unterschiede der Vermittlung zusammengiengen, wird aber wieder zu einem Einfachen und Unmittelbaren, derselbe Prozeß wieder- holt sich. Dies ist an nichts klarer nachzuweisen, als an dem Bildungs- gange der Menschheit, worin immer die letzte und vermeintlich bewußteste Form einer neuen Zeit zum Gegenstand eines höheren Bewußtseyns, zum Stoffe einer tieferen Arbeit, also wieder zum Unmittelbaren und zum Aus- gangspunkte der Vermittlung wird. Diese Bewegung wiederholt sich, was die besonderen Sphären des Geistes betrifft, so lange, bis die Form gefunden ist, welche dem Inhalte schlechthin entspricht, so daß der Drang, den letzten Rest des Dunkels im verhüllten Unmittelbaren aufzulösen, gesättigt ist und die Idee bei sich selbst ankommt. Diese Form ist das reine Denken als Philosophie; was aber den Bildungsgang des Geistes überhaupt betrifft, so ist mit ihr die Bewegung nicht geschlossen; immer auf's Neue schickt sich die Vermittlung das Unmittelbare voran, um es in sich zu verarbeiten, die Philosophie selbst hat ihre Geschichte, worin jener Prozeß unendlich wiederkehrt, nur verbessert sie in diesem blos ihre eigenen Formen und sucht keine weitere über sich selbst hinaus. Die Nothwendigkeit des Schönen beruht nun darauf, daß der Geist, nachdem er den Standpunkt bereits eingenommen hat, worin die Gegensätze der Endlichkeit aufgehoben sind, auch auf diesem Standpunkt, welcher der reichste und vermitteltste von allen ist, selbst wieder zunächst mit der Form der Unmittelbarkeit beginnt, daß er die absolute Idee selbst wieder in sinnlicher Form, welche (beziehungsweise) ohne Vermittlung im Gefühl und der Anschauung auftritt, vor sich hinstellt. Genauer betrachtet handelt es sich von zwei der Philosophie vorangehenden Formen, der Religion und der Kunst (vergl. §. 5), von welchen die erste im strengsten Sinn unmittelbar und Ausgangspunkt ist, die zweite entschieden schon die Ver- mittlung darstellt, während die dritte (die Philosophie) mit dem rein
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geiſtigen insbeſondere, vorſtellig zu machen. Sphäre des ſubjectiven Geiſtes: unmittelbare Einheit in der fühlenden Seele, Vermittlung im Erkennen durch den Gegenſatz des Subjects und Objects, vernünftiges Denken der Einheit dieſes Gegenſatzes. Sphäre des objectiven Geiſtes: der Wille in der unmittelbaren Geſtalt des Triebes, in der vermittelten als wählende Freiheit, in der harmoniſch mit ſich ſelbſt Einen als Wille des Guten. Staat: Naturſtaat, verſtändiger Staat (Polizeiſtaat), ver- nünftiger Staat. Sphäre des abſoluten Geiſtes, Religion: Natur- Religion, vermittelte oder verſtändig trennende Religion (Judenthum), vernünftig einigende Religion (Chriſtenthum). Je die dritte und höchſte Form, in welcher die Unterſchiede der Vermittlung zuſammengiengen, wird aber wieder zu einem Einfachen und Unmittelbaren, derſelbe Prozeß wieder- holt ſich. Dies iſt an nichts klarer nachzuweiſen, als an dem Bildungs- gange der Menſchheit, worin immer die letzte und vermeintlich bewußteſte Form einer neuen Zeit zum Gegenſtand eines höheren Bewußtſeyns, zum Stoffe einer tieferen Arbeit, alſo wieder zum Unmittelbaren und zum Aus- gangspunkte der Vermittlung wird. Dieſe Bewegung wiederholt ſich, was die beſonderen Sphären des Geiſtes betrifft, ſo lange, bis die Form gefunden iſt, welche dem Inhalte ſchlechthin entſpricht, ſo daß der Drang, den letzten Reſt des Dunkels im verhüllten Unmittelbaren aufzulöſen, geſättigt iſt und die Idee bei ſich ſelbſt ankommt. Dieſe Form iſt das reine Denken als Philoſophie; was aber den Bildungsgang des Geiſtes überhaupt betrifft, ſo iſt mit ihr die Bewegung nicht geſchloſſen; immer auf’s Neue ſchickt ſich die Vermittlung das Unmittelbare voran, um es in ſich zu verarbeiten, die Philoſophie ſelbſt hat ihre Geſchichte, worin jener Prozeß unendlich wiederkehrt, nur verbeſſert ſie in dieſem blos ihre eigenen Formen und ſucht keine weitere über ſich ſelbſt hinaus. Die Nothwendigkeit des Schönen beruht nun darauf, daß der Geiſt, nachdem er den Standpunkt bereits eingenommen hat, worin die Gegenſätze der Endlichkeit aufgehoben ſind, auch auf dieſem Standpunkt, welcher der reichſte und vermitteltſte von allen iſt, ſelbſt wieder zunächſt mit der Form der Unmittelbarkeit beginnt, daß er die abſolute Idee ſelbſt wieder in ſinnlicher Form, welche (beziehungsweiſe) ohne Vermittlung im Gefühl und der Anſchauung auftritt, vor ſich hinſtellt. Genauer betrachtet handelt es ſich von zwei der Philoſophie vorangehenden Formen, der Religion und der Kunſt (vergl. §. 5), von welchen die erſte im ſtrengſten Sinn unmittelbar und Ausgangspunkt iſt, die zweite entſchieden ſchon die Ver- mittlung darſtellt, während die dritte (die Philoſophie) mit dem rein
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geiſtigen insbeſondere, vorſtellig zu machen. Sphäre des ſubjectiven
Geiſtes: unmittelbare Einheit in der fühlenden Seele, Vermittlung im
Erkennen durch den Gegenſatz des Subjects und Objects, vernünftiges
Denken der Einheit dieſes Gegenſatzes. Sphäre des objectiven Geiſtes:
der Wille in der unmittelbaren Geſtalt des Triebes, in der vermittelten
als wählende Freiheit, in der harmoniſch mit ſich ſelbſt Einen als Wille
des Guten. Staat: Naturſtaat, verſtändiger Staat (Polizeiſtaat), ver-
nünftiger Staat. Sphäre des abſoluten Geiſtes, Religion: Natur-
Religion, vermittelte oder verſtändig trennende Religion (Judenthum),
vernünftig einigende Religion (Chriſtenthum). Je die dritte und höchſte
Form, in welcher die Unterſchiede der Vermittlung zuſammengiengen, wird
aber wieder zu einem Einfachen und Unmittelbaren, derſelbe Prozeß wieder-
holt ſich. Dies iſt an nichts klarer nachzuweiſen, als an dem Bildungs-
gange der Menſchheit, worin immer die letzte und vermeintlich bewußteſte
Form einer neuen Zeit zum Gegenſtand eines höheren Bewußtſeyns, zum
Stoffe einer tieferen Arbeit, alſo wieder zum Unmittelbaren und zum Aus-
gangspunkte der Vermittlung wird. Dieſe Bewegung wiederholt ſich,
was die beſonderen Sphären des Geiſtes betrifft, ſo lange, bis die Form
gefunden iſt, welche dem Inhalte ſchlechthin entſpricht, ſo daß der Drang,
den letzten Reſt des Dunkels im verhüllten Unmittelbaren aufzulöſen,
geſättigt iſt und die Idee bei ſich ſelbſt ankommt. Dieſe Form iſt das
reine Denken als Philoſophie; was aber den Bildungsgang des Geiſtes
überhaupt betrifft, ſo iſt mit ihr die Bewegung nicht geſchloſſen; immer
auf’s Neue ſchickt ſich die Vermittlung das Unmittelbare voran, um es
in ſich zu verarbeiten, die Philoſophie ſelbſt hat ihre Geſchichte, worin
jener Prozeß unendlich wiederkehrt, nur verbeſſert ſie in dieſem blos ihre
eigenen Formen und ſucht keine weitere über ſich ſelbſt hinaus. Die
Nothwendigkeit des Schönen beruht nun darauf, daß der Geiſt, nachdem
er den Standpunkt bereits eingenommen hat, worin die Gegenſätze der
Endlichkeit aufgehoben ſind, auch auf dieſem Standpunkt, welcher der
reichſte und vermitteltſte von allen iſt, ſelbſt wieder zunächſt mit der Form
der Unmittelbarkeit beginnt, daß er die abſolute Idee ſelbſt wieder in
ſinnlicher Form, welche (beziehungsweiſe) ohne Vermittlung im Gefühl
und der Anſchauung auftritt, vor ſich hinſtellt. Genauer betrachtet handelt
es ſich von zwei der Philoſophie vorangehenden Formen, der Religion
und der Kunſt (vergl. §. 5), von welchen die erſte im ſtrengſten Sinn
unmittelbar und Ausgangspunkt iſt, die zweite entſchieden ſchon die Ver-
mittlung darſtellt, während die dritte (die Philoſophie) mit dem rein
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/65>, abgerufen am 21.11.2024.
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