Aufnahme des Schönen von ihm sogleich mit einbegriffen ist: eine Ent- faltung, welche nach unserem Gange erst im Verlauf eintreten kann. Wir haben vor Allem erst die spezifisch ästhetische Formfrage noch zu er- örtern; daß Ruge in seinem übrigens sehr geistvollen Werke diese fast ganz übersehen und dadurch das ästhetische Personbilden mit dem sittlichen vermengt hat, scheint Danzel nicht bemerkt zu haben, dessen Kritik überall auf die spezifische Formfrage hindringt und doch das Verdienst, die Mög- lichkeit eines "Monismus der Kunst" begründet zu haben, Ruge zuerkennt. Ist Hegels Aesthetik stoffartig, so ist es Nuges noch weit mehr. Denn daß dieser, indem er die Schönheit als eine lebendige Bewegung erkennt, auch für dürftige und getrübte Formen des Geistes einen weiten Raum hat, verändert die Sache nicht; er muß, so lange er, ohne auf die spezifische Formfrage einzugehen, Alles aus einem "sich Wiederfinden des Geistes in seinem Andern" erklärt, um so mehr sittliche Kraft im er- zeugenden Subjecte voraussetzen und er thut dies sogar in eigentlich ethisirender Weise, wie wir dies nicht billigen. Auf was es aber hier ankommt, sind zweierlei Fragen. Die erste ist: ob, solang man bei der Frage über den Gehalt im Schönen verweilt und die Persönlichkeit als den würdigsten darstellt, darum die ganze Welt der im gewöhnlichen Sinne unpersönlichen Gegenstände vom Schönen ausgeschlossen oder zu niedrig geschätzt werde, wie dies Hegel wegen seines durchgängigen Dringens auf substantiellen sittlichen Gehalt vorgerückt wird? Allein schon das unterste Naturgebilde kündigt die Zukunft der Persönlichkeit an; es wirkt nicht blos die Kraft des Künstlers, Alles persönlich zu machen, er könnte es nicht, wäre nicht Wahrheit darin und es ist Wahrheit darin, weil das Ganze ein System von Stufen ist. Pan-Anthropismus ist der Standpunkt des Schönen gegenüber der Natur. Die andere Frage ist: ob man denn dadurch, daß man einen Unterschied der Dignität im Gehalte macht, die Untersuchung über die spezifische Form, in welche dieser Gehalt einzubilden ist, zu vernachläßigen genöthigt sey? Gewiß nicht. Wohl aber geht, wenn man gegen jene Werth-Unterscheidung des Gehalts auftritt, als Resultat jene formalistische Kunst-Beurtheilung hervor, welche die Wahrheit, daß im Schönen Alles auf die Form ankomme, dahin verkehrt, daß sie meint, es sey dadurch eine Abstraction vom Stoffe gerechtfertigt, während um- gekehrt, je mehr man auf die Form dringt, desto mehr die Bedeutung des Gehalts in ihr Gewicht eintritt: denn Form-Vollendung bei geringem Gehalt erweist sich in der Nähe vielmehr als Bedeutungslosigkeit der Form selbst, als Verflachung in äußerlicher Fertigkeit. Große Form
Aufnahme des Schönen von ihm ſogleich mit einbegriffen iſt: eine Ent- faltung, welche nach unſerem Gange erſt im Verlauf eintreten kann. Wir haben vor Allem erſt die ſpezifiſch äſthetiſche Formfrage noch zu er- örtern; daß Ruge in ſeinem übrigens ſehr geiſtvollen Werke dieſe faſt ganz überſehen und dadurch das äſthetiſche Perſonbilden mit dem ſittlichen vermengt hat, ſcheint Danzel nicht bemerkt zu haben, deſſen Kritik überall auf die ſpezifiſche Formfrage hindringt und doch das Verdienſt, die Mög- lichkeit eines „Monismus der Kunſt“ begründet zu haben, Ruge zuerkennt. Iſt Hegels Aeſthetik ſtoffartig, ſo iſt es Nuges noch weit mehr. Denn daß dieſer, indem er die Schönheit als eine lebendige Bewegung erkennt, auch für dürftige und getrübte Formen des Geiſtes einen weiten Raum hat, verändert die Sache nicht; er muß, ſo lange er, ohne auf die ſpezifiſche Formfrage einzugehen, Alles aus einem „ſich Wiederfinden des Geiſtes in ſeinem Andern“ erklärt, um ſo mehr ſittliche Kraft im er- zeugenden Subjecte vorausſetzen und er thut dies ſogar in eigentlich ethiſirender Weiſe, wie wir dies nicht billigen. Auf was es aber hier ankommt, ſind zweierlei Fragen. Die erſte iſt: ob, ſolang man bei der Frage über den Gehalt im Schönen verweilt und die Perſönlichkeit als den würdigſten darſtellt, darum die ganze Welt der im gewöhnlichen Sinne unperſönlichen Gegenſtände vom Schönen ausgeſchloſſen oder zu niedrig geſchätzt werde, wie dies Hegel wegen ſeines durchgängigen Dringens auf ſubſtantiellen ſittlichen Gehalt vorgerückt wird? Allein ſchon das unterſte Naturgebilde kündigt die Zukunft der Perſönlichkeit an; es wirkt nicht blos die Kraft des Künſtlers, Alles perſönlich zu machen, er könnte es nicht, wäre nicht Wahrheit darin und es iſt Wahrheit darin, weil das Ganze ein Syſtem von Stufen iſt. Pan-Anthropismus iſt der Standpunkt des Schönen gegenüber der Natur. Die andere Frage iſt: ob man denn dadurch, daß man einen Unterſchied der Dignität im Gehalte macht, die Unterſuchung über die ſpezifiſche Form, in welche dieſer Gehalt einzubilden iſt, zu vernachläßigen genöthigt ſey? Gewiß nicht. Wohl aber geht, wenn man gegen jene Werth-Unterſcheidung des Gehalts auftritt, als Reſultat jene formaliſtiſche Kunſt-Beurtheilung hervor, welche die Wahrheit, daß im Schönen Alles auf die Form ankomme, dahin verkehrt, daß ſie meint, es ſey dadurch eine Abſtraction vom Stoffe gerechtfertigt, während um- gekehrt, je mehr man auf die Form dringt, deſto mehr die Bedeutung des Gehalts in ihr Gewicht eintritt: denn Form-Vollendung bei geringem Gehalt erweist ſich in der Nähe vielmehr als Bedeutungsloſigkeit der Form ſelbſt, als Verflachung in äußerlicher Fertigkeit. Große Form
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Aufnahme des Schönen von ihm ſogleich mit einbegriffen iſt: eine Ent-
faltung, welche nach unſerem Gange erſt im Verlauf eintreten kann. Wir
haben vor Allem erſt die ſpezifiſch äſthetiſche Formfrage noch zu er-
örtern; daß Ruge in ſeinem übrigens ſehr geiſtvollen Werke dieſe faſt
ganz überſehen und dadurch das äſthetiſche Perſonbilden mit dem ſittlichen
vermengt hat, ſcheint Danzel nicht bemerkt zu haben, deſſen Kritik überall
auf die ſpezifiſche Formfrage hindringt und doch das Verdienſt, die Mög-
lichkeit eines „Monismus der Kunſt“ begründet zu haben, Ruge zuerkennt.
Iſt Hegels Aeſthetik ſtoffartig, ſo iſt es Nuges noch weit mehr. Denn
daß dieſer, indem er die Schönheit als eine lebendige Bewegung erkennt,
auch für dürftige und getrübte Formen des Geiſtes einen weiten Raum
hat, verändert die Sache nicht; er muß, ſo lange er, ohne auf die
ſpezifiſche Formfrage einzugehen, Alles aus einem „ſich Wiederfinden des
Geiſtes in ſeinem Andern“ erklärt, um ſo mehr ſittliche Kraft im er-
zeugenden Subjecte vorausſetzen und er thut dies ſogar in eigentlich
ethiſirender Weiſe, wie wir dies nicht billigen. Auf was es aber hier
ankommt, ſind zweierlei Fragen. Die erſte iſt: ob, ſolang man bei der
Frage über den Gehalt im Schönen verweilt und die Perſönlichkeit als
den würdigſten darſtellt, darum die ganze Welt der im gewöhnlichen Sinne
unperſönlichen Gegenſtände vom Schönen ausgeſchloſſen oder zu niedrig
geſchätzt werde, wie dies Hegel wegen ſeines durchgängigen Dringens
auf ſubſtantiellen ſittlichen Gehalt vorgerückt wird? Allein ſchon das
unterſte Naturgebilde kündigt die Zukunft der Perſönlichkeit an; es wirkt
nicht blos die Kraft des Künſtlers, Alles perſönlich zu machen, er könnte
es nicht, wäre nicht Wahrheit darin und es iſt Wahrheit darin, weil das
Ganze ein Syſtem von Stufen iſt. Pan-Anthropismus iſt der Standpunkt
des Schönen gegenüber der Natur. Die andere Frage iſt: ob man denn
dadurch, daß man einen Unterſchied der Dignität im Gehalte macht, die
Unterſuchung über die ſpezifiſche Form, in welche dieſer Gehalt einzubilden iſt,
zu vernachläßigen genöthigt ſey? Gewiß nicht. Wohl aber geht, wenn
man gegen jene Werth-Unterſcheidung des Gehalts auftritt, als Reſultat
jene formaliſtiſche Kunſt-Beurtheilung hervor, welche die Wahrheit, daß
im Schönen Alles auf die Form ankomme, dahin verkehrt, daß ſie meint,
es ſey dadurch eine Abſtraction vom Stoffe gerechtfertigt, während um-
gekehrt, je mehr man auf die Form dringt, deſto mehr die Bedeutung
des Gehalts in ihr Gewicht eintritt: denn Form-Vollendung bei geringem
Gehalt erweist ſich in der Nähe vielmehr als Bedeutungsloſigkeit der
Form ſelbſt, als Verflachung in äußerlicher Fertigkeit. Große Form
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/88>, abgerufen am 21.11.2024.
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