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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Natur im Menschen sich selbst zum Geist aufhebt und die in ihr ver-
borgene Idee in diesem sich selbst erreicht, indem sie als Selbstbewußtseyn
Subject und Object in einem wird, zu den reinen und unbestrittenen
Erwerbungen der neueren Philosophie. Das Menschengeschlecht theilt sich
in Rassen, die im weiteren Sinne Arten heißen können, aber nicht in
Spezies. Theilung in die letzteren ist eben der Beweis, daß die höchste
Stufe noch nicht gefunden ist, daß über der Gattung eine höhere steht.
Der §. sagt: die Idee tritt als Selbstbewußtseyn hervor und wird Per-
sönlichkeit. Das "wird" soll andeuten, daß Persönlichkeit ein reicherer
Begriff und daß das Subject als selbstbewußtes noch nicht persönlich
ist. Die innere Unendlichkeit der im Unterschiede sich selbst gleichen Be-
ziehung auf sich, die im Selbstbewußtseyn erst als ein unmittelbares,
von selbst in dem dazu organisirten Lebendigen auftauchendes Wissen
gesetzt ist, führt sich als Macht durch, indem sie das Widerstrebende in
der umgebenden Welt und in der eigenen Natur wirklich durchdringt:
das Selbstbewußte, was das Andere wahrhaft in seiner Macht hat, ist
persönlich. Gewöhnlich wird der Begriff nur formell gefaßt und so in
der Sphäre des Rechts aufgeführt: der Einzelne ist als unendliche Be-
ziehung auf sich, abgesehen von allem bestimmten Inhalte, Person; er
wird als unendlicher, freier Punkt gesetzt, und vom Begriffe des Selbst-
bewußtseyns unterscheidet sich auch dieser abstracte Begriff der Persön-
lichkeit dadurch, daß in diesem die Unendlichkeit, die im Selbstbewußtseyn
und in dem reinen, abstracten Willen liegt, zum Gedanken erhoben und
auf ihn die Forderung der unbedingten Achtung begründet wird. Die Wissen-
schaft und auch die gewöhnliche Sprache hat aber dem Begriffe der
Persönlichkeit eine weit inhaltsvollere Bestimmung gegeben. Wer sich
nicht am Bande seines Willens hat, wer sich gehen läßt und was ihn
umgibt ebenfalls, den nennen wir unpersönlich.

2. Die Idee ist ein wesentlich Thätiges und die wahre Form dieser
Thätigkeit ist eben der sich durchführende Wille, der Wille, der seine
Freiheit verwirklicht, indem er den Widerstand seines eigenen Organes
sowie der andringenden Welt überwindet. Von der Härte des Kampfes,
die dazu gehört, wird hier noch abgesehen; die besondere Hervorhebung
dieser Seite bleibt einem andern Zusammenhang vorbehalten. Das ein-
fach Schöne in seiner Liberalität hält sich an die Gewißheit des Sieges. --
Ruge (Neue Vorschule der Aesthetik 1837) hat das Schöne eigentlich
auf den Begriff der Persönlichkeit gegründet; es ist dies aber in dem
entwickelten Sinne zu verstehen, daß die thätige Erzeugung und die thätige

Natur im Menſchen ſich ſelbſt zum Geiſt aufhebt und die in ihr ver-
borgene Idee in dieſem ſich ſelbſt erreicht, indem ſie als Selbſtbewußtſeyn
Subject und Object in einem wird, zu den reinen und unbeſtrittenen
Erwerbungen der neueren Philoſophie. Das Menſchengeſchlecht theilt ſich
in Raſſen, die im weiteren Sinne Arten heißen können, aber nicht in
Spezies. Theilung in die letzteren iſt eben der Beweis, daß die höchſte
Stufe noch nicht gefunden iſt, daß über der Gattung eine höhere ſteht.
Der §. ſagt: die Idee tritt als Selbſtbewußtſeyn hervor und wird Per-
ſönlichkeit. Das „wird“ ſoll andeuten, daß Perſönlichkeit ein reicherer
Begriff und daß das Subject als ſelbſtbewußtes noch nicht perſönlich
iſt. Die innere Unendlichkeit der im Unterſchiede ſich ſelbſt gleichen Be-
ziehung auf ſich, die im Selbſtbewußtſeyn erſt als ein unmittelbares,
von ſelbſt in dem dazu organiſirten Lebendigen auftauchendes Wiſſen
geſetzt iſt, führt ſich als Macht durch, indem ſie das Widerſtrebende in
der umgebenden Welt und in der eigenen Natur wirklich durchdringt:
das Selbſtbewußte, was das Andere wahrhaft in ſeiner Macht hat, iſt
perſönlich. Gewöhnlich wird der Begriff nur formell gefaßt und ſo in
der Sphäre des Rechts aufgeführt: der Einzelne iſt als unendliche Be-
ziehung auf ſich, abgeſehen von allem beſtimmten Inhalte, Perſon; er
wird als unendlicher, freier Punkt geſetzt, und vom Begriffe des Selbſt-
bewußtſeyns unterſcheidet ſich auch dieſer abſtracte Begriff der Perſön-
lichkeit dadurch, daß in dieſem die Unendlichkeit, die im Selbſtbewußtſeyn
und in dem reinen, abſtracten Willen liegt, zum Gedanken erhoben und
auf ihn die Forderung der unbedingten Achtung begründet wird. Die Wiſſen-
ſchaft und auch die gewöhnliche Sprache hat aber dem Begriffe der
Perſönlichkeit eine weit inhaltsvollere Beſtimmung gegeben. Wer ſich
nicht am Bande ſeines Willens hat, wer ſich gehen läßt und was ihn
umgibt ebenfalls, den nennen wir unperſönlich.

2. Die Idee iſt ein weſentlich Thätiges und die wahre Form dieſer
Thätigkeit iſt eben der ſich durchführende Wille, der Wille, der ſeine
Freiheit verwirklicht, indem er den Widerſtand ſeines eigenen Organes
ſowie der andringenden Welt überwindet. Von der Härte des Kampfes,
die dazu gehört, wird hier noch abgeſehen; die beſondere Hervorhebung
dieſer Seite bleibt einem andern Zuſammenhang vorbehalten. Das ein-
fach Schöne in ſeiner Liberalität hält ſich an die Gewißheit des Sieges. —
Ruge (Neue Vorſchule der Aeſthetik 1837) hat das Schöne eigentlich
auf den Begriff der Perſönlichkeit gegründet; es iſt dies aber in dem
entwickelten Sinne zu verſtehen, daß die thätige Erzeugung und die thätige

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[73/0087] Natur im Menſchen ſich ſelbſt zum Geiſt aufhebt und die in ihr ver- borgene Idee in dieſem ſich ſelbſt erreicht, indem ſie als Selbſtbewußtſeyn Subject und Object in einem wird, zu den reinen und unbeſtrittenen Erwerbungen der neueren Philoſophie. Das Menſchengeſchlecht theilt ſich in Raſſen, die im weiteren Sinne Arten heißen können, aber nicht in Spezies. Theilung in die letzteren iſt eben der Beweis, daß die höchſte Stufe noch nicht gefunden iſt, daß über der Gattung eine höhere ſteht. Der §. ſagt: die Idee tritt als Selbſtbewußtſeyn hervor und wird Per- ſönlichkeit. Das „wird“ ſoll andeuten, daß Perſönlichkeit ein reicherer Begriff und daß das Subject als ſelbſtbewußtes noch nicht perſönlich iſt. Die innere Unendlichkeit der im Unterſchiede ſich ſelbſt gleichen Be- ziehung auf ſich, die im Selbſtbewußtſeyn erſt als ein unmittelbares, von ſelbſt in dem dazu organiſirten Lebendigen auftauchendes Wiſſen geſetzt iſt, führt ſich als Macht durch, indem ſie das Widerſtrebende in der umgebenden Welt und in der eigenen Natur wirklich durchdringt: das Selbſtbewußte, was das Andere wahrhaft in ſeiner Macht hat, iſt perſönlich. Gewöhnlich wird der Begriff nur formell gefaßt und ſo in der Sphäre des Rechts aufgeführt: der Einzelne iſt als unendliche Be- ziehung auf ſich, abgeſehen von allem beſtimmten Inhalte, Perſon; er wird als unendlicher, freier Punkt geſetzt, und vom Begriffe des Selbſt- bewußtſeyns unterſcheidet ſich auch dieſer abſtracte Begriff der Perſön- lichkeit dadurch, daß in dieſem die Unendlichkeit, die im Selbſtbewußtſeyn und in dem reinen, abſtracten Willen liegt, zum Gedanken erhoben und auf ihn die Forderung der unbedingten Achtung begründet wird. Die Wiſſen- ſchaft und auch die gewöhnliche Sprache hat aber dem Begriffe der Perſönlichkeit eine weit inhaltsvollere Beſtimmung gegeben. Wer ſich nicht am Bande ſeines Willens hat, wer ſich gehen läßt und was ihn umgibt ebenfalls, den nennen wir unperſönlich. 2. Die Idee iſt ein weſentlich Thätiges und die wahre Form dieſer Thätigkeit iſt eben der ſich durchführende Wille, der Wille, der ſeine Freiheit verwirklicht, indem er den Widerſtand ſeines eigenen Organes ſowie der andringenden Welt überwindet. Von der Härte des Kampfes, die dazu gehört, wird hier noch abgeſehen; die beſondere Hervorhebung dieſer Seite bleibt einem andern Zuſammenhang vorbehalten. Das ein- fach Schöne in ſeiner Liberalität hält ſich an die Gewißheit des Sieges. — Ruge (Neue Vorſchule der Aeſthetik 1837) hat das Schöne eigentlich auf den Begriff der Perſönlichkeit gegründet; es iſt dies aber in dem entwickelten Sinne zu verſtehen, daß die thätige Erzeugung und die thätige

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/87>, abgerufen am 21.11.2024.