was sie sind, zufrieden damit und ebendadurch einfach, ungetheilt, gedie- gen. Das A. Testament hat treffliche Stellen, worin dies Gefühl aus- gesprochen wird, daß hier Alles recht und ganz ist und diese Werke gut. Der Mensch führt als Sinnenwesen selbst ein animalisches Leben, das an seiner Stelle die ästhetische Kraft dieser Gesundheit und Ganzheit hat. Die Kunst zieht aus diesem Reiche eine Welt von Motiven, welche Göthe (Gespr. mit Eckermann: über eine antike Gemme, worauf ein Knabe dargestellt ist, den ein Alter trinken läßt) naiv genannt und mit Recht bewundert hat. Die geschlossene Ganzheit der natürlichen Existenz ist aber in ihrer kräftigen Gestalt auch Bild der Persönlichkeit, die zwar schon auf sittlichem Boden steht, aber eine ganze Natur ist. Daher werden im alten Epos die Helden so schön mit der compacten Kraft von Thieren verglichen.
§. 23.
1
Das Gute im eigentlichen Sinne hat zu seiner Voraussetzung und Unter- lage das Reich der blos äußern Zwecke, der Befriedigung der Bedürfnisse, welche als Fülle des sich selbst genießenden Lebens das Gut heißt. Dies Reich der äußeren Zweckmäßigkeit fällt gemäß §. 16 aus dem Schönen weg, weil es blos eine Beziehung, worin ein Solches, das um seiner selbst willen da ist, 2steht, und nicht dieses selbst darstellt. Jedoch wenn entweder von den höheren Zwecken, die als Selbstzwecke den Mittelpunkt einer Persönlichkeit bilden können, abgesehen und die persönliche Welt unter den Standpunkt des unbe- wußten Lebens gerückt wird, oder wenn die blos äußern Zwecke als fördernde Momente in eine erfüllte Einheit mit diesen unter dem Standpunkte des höch- sten Gutes zusammenbegriffen werden, so kann unter gewissen Bedingungen auch 3jenes Reich als Inhalt in das Schöne eintreten. Eine andere Frage ist, ob Werke der äußeren Zweckmäßigkeit sich nicht wenigstens beiläufig mit dem Schönen verbinden können, und diese ist nicht nur zu bejahen, sondern es liegt sogar nothwendig im Wesen des Geistes, daß er das, was um der blos äußer- lichen Zweckmäßigkeit willen vorhanden ist, in die Sphäre seiner reinen Selb- ständigkeit heraufzieht, um die Nothdurft, mit der er behaftet ist, zu vergessen und auch hierin sich das Bewußtseyn seiner Unendlichkeit zu geben. Hierauf grün- det sich die wichtige Unterscheidung einer selbständigen und einer anhängenden Schönheit.
was ſie ſind, zufrieden damit und ebendadurch einfach, ungetheilt, gedie- gen. Das A. Teſtament hat treffliche Stellen, worin dies Gefühl aus- geſprochen wird, daß hier Alles recht und ganz iſt und dieſe Werke gut. Der Menſch führt als Sinnenweſen ſelbſt ein animaliſches Leben, das an ſeiner Stelle die äſthetiſche Kraft dieſer Geſundheit und Ganzheit hat. Die Kunſt zieht aus dieſem Reiche eine Welt von Motiven, welche Göthe (Geſpr. mit Eckermann: über eine antike Gemme, worauf ein Knabe dargeſtellt iſt, den ein Alter trinken läßt) naiv genannt und mit Recht bewundert hat. Die geſchloſſene Ganzheit der natürlichen Exiſtenz iſt aber in ihrer kräftigen Geſtalt auch Bild der Perſönlichkeit, die zwar ſchon auf ſittlichem Boden ſteht, aber eine ganze Natur iſt. Daher werden im alten Epos die Helden ſo ſchön mit der compacten Kraft von Thieren verglichen.
§. 23.
1
Das Gute im eigentlichen Sinne hat zu ſeiner Vorausſetzung und Unter- lage das Reich der blos äußern Zwecke, der Befriedigung der Bedürfniſſe, welche als Fülle des ſich ſelbſt genießenden Lebens das Gut heißt. Dies Reich der äußeren Zweckmäßigkeit fällt gemäß §. 16 aus dem Schönen weg, weil es blos eine Beziehung, worin ein Solches, das um ſeiner ſelbſt willen da iſt, 2ſteht, und nicht dieſes ſelbſt darſtellt. Jedoch wenn entweder von den höheren Zwecken, die als Selbſtzwecke den Mittelpunkt einer Perſönlichkeit bilden können, abgeſehen und die perſönliche Welt unter den Standpunkt des unbe- wußten Lebens gerückt wird, oder wenn die blos äußern Zwecke als fördernde Momente in eine erfüllte Einheit mit dieſen unter dem Standpunkte des höch- ſten Gutes zuſammenbegriffen werden, ſo kann unter gewiſſen Bedingungen auch 3jenes Reich als Inhalt in das Schöne eintreten. Eine andere Frage iſt, ob Werke der äußeren Zweckmäßigkeit ſich nicht wenigſtens beiläufig mit dem Schönen verbinden können, und dieſe iſt nicht nur zu bejahen, ſondern es liegt ſogar nothwendig im Weſen des Geiſtes, daß er das, was um der blos äußer- lichen Zweckmäßigkeit willen vorhanden iſt, in die Sphäre ſeiner reinen Selb- ſtändigkeit heraufzieht, um die Nothdurft, mit der er behaftet iſt, zu vergeſſen und auch hierin ſich das Bewußtſeyn ſeiner Unendlichkeit zu geben. Hierauf grün- det ſich die wichtige Unterſcheidung einer ſelbſtändigen und einer anhängenden Schönheit.
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was ſie ſind, zufrieden damit und ebendadurch einfach, ungetheilt, gedie-
gen. Das A. Teſtament hat treffliche Stellen, worin dies Gefühl aus-
geſprochen wird, daß hier Alles recht und ganz iſt und dieſe Werke
gut. Der Menſch führt als Sinnenweſen ſelbſt ein animaliſches Leben,
das an ſeiner Stelle die äſthetiſche Kraft dieſer Geſundheit und Ganzheit
hat. Die Kunſt zieht aus dieſem Reiche eine Welt von Motiven,
welche Göthe (Geſpr. mit Eckermann: über eine antike Gemme, worauf
ein Knabe dargeſtellt iſt, den ein Alter trinken läßt) naiv genannt und
mit Recht bewundert hat. Die geſchloſſene Ganzheit der natürlichen
Exiſtenz iſt aber in ihrer kräftigen Geſtalt auch Bild der Perſönlichkeit,
die zwar ſchon auf ſittlichem Boden ſteht, aber eine ganze Natur iſt.
Daher werden im alten Epos die Helden ſo ſchön mit der compacten
Kraft von Thieren verglichen.
§. 23.
Das Gute im eigentlichen Sinne hat zu ſeiner Vorausſetzung und Unter-
lage das Reich der blos äußern Zwecke, der Befriedigung der Bedürfniſſe,
welche als Fülle des ſich ſelbſt genießenden Lebens das Gut heißt. Dies Reich
der äußeren Zweckmäßigkeit fällt gemäß §. 16 aus dem Schönen weg, weil es
blos eine Beziehung, worin ein Solches, das um ſeiner ſelbſt willen da iſt,
ſteht, und nicht dieſes ſelbſt darſtellt. Jedoch wenn entweder von den höheren
Zwecken, die als Selbſtzwecke den Mittelpunkt einer Perſönlichkeit bilden
können, abgeſehen und die perſönliche Welt unter den Standpunkt des unbe-
wußten Lebens gerückt wird, oder wenn die blos äußern Zwecke als fördernde
Momente in eine erfüllte Einheit mit dieſen unter dem Standpunkte des höch-
ſten Gutes zuſammenbegriffen werden, ſo kann unter gewiſſen Bedingungen auch
jenes Reich als Inhalt in das Schöne eintreten. Eine andere Frage iſt, ob
Werke der äußeren Zweckmäßigkeit ſich nicht wenigſtens beiläufig mit dem
Schönen verbinden können, und dieſe iſt nicht nur zu bejahen, ſondern es liegt
ſogar nothwendig im Weſen des Geiſtes, daß er das, was um der blos äußer-
lichen Zweckmäßigkeit willen vorhanden iſt, in die Sphäre ſeiner reinen Selb-
ſtändigkeit heraufzieht, um die Nothdurft, mit der er behaftet iſt, zu vergeſſen
und auch hierin ſich das Bewußtſeyn ſeiner Unendlichkeit zu geben. Hierauf grün-
det ſich die wichtige Unterſcheidung einer ſelbſtändigen und einer anhängenden
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/92>, abgerufen am 21.11.2024.
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