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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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1. Die äußere Zweckmäßigkeit gehört zu den abstracten Begriffen,
welche durch §. 16 ausgeschlossen sind. Er hat seinen eigentlichen Ort
im System der menschlichen Bedürfnisse und ihrer Befriedigung. Die
unbewußte Natur kann auch unter den Standpunkt der äußeren Zweck-
mäßigkeit gerückt werden; Luft, Erde, Wasser, Licht dient der Pflanze,
jene und diese dem Thier u. s. w.; dieser Standpunkt ist aber nicht nur
nicht ästhetisch, sondern er ist auch schließlich nicht der wahre. Noch un-
wahrer ist es, wenn innere Zwecke des Geistes, die Selbstzwecke sind,
unter der Kategorie der äußeren Zweckmäßigkeit betrachtet werden, z. B.
der Staat. Im Reich der Bedürfnisse aber und des äußern Wohls
handelt es sich um die Befriedigung dessen, was im Menschen selbst
nur um eines Andern, um des Geistes willen, ist; diesem an sich
Unselbständigen dient nun die äußere Natur und wird zu Werken ver-
arbeitet, welche durchaus nur Mittel sind, eines für das andere und
alle für den sinnlichen Menschen, dieser aber für den geistigen. Hier
handelt es sich also um blose Beziehungen, nicht um freie Wirklichkeit
eines Selbständigen in seiner Totalität. Der sich verwirklichende Selbst-
zweck heißt das Gute, die Fülle der erwirkten Mittel des äußeren Zwecks,
sofern der Mensch als Sinnenwesen, aber auf dieser Unterlage auch als
geistiges Wesen in ihr sich ge nießt, heißt das Gut.

2. Es kann von dem Gegensatze der geistigen Selbstzwecke und der
äußeren Zwecke abgesehen und der Mensch unter dem Standpunkte
einer höheren Natur, einer edleren Thierheit angeschaut werden. Dann
wird nicht in Erwägung genommen, daß das sinnliche Daseyn genährt
und gepflanzt wird, blos damit der Geist Zeit und Raum gewinne für
seine absoluten Zwecke. Es ist dieser Standpunkt keine Erniedrigung,
denn indem sich der ganze Mensch ungetheilt in diese äußere Sphäre
legt, bringt er auch den Geist als adelnde und maßgebende Seele mit.
So wird diese Sphäre selbständig und ästhetisch; jedoch nur unter ge-
wissen weiteren Bedingungen. Diese Bedingungen können nicht hier
erledigt werden, sie gehören theils zur Frage nach den geschichtlichen
Formen der Cultur, theils zur Lehre von den verschiedenen Künsten.
Es gibt Cultur-Epochen, welche die Sphäre der Zweckmäßigkeit im
Sinne jener selbständigen Anschauung, andere, welche sie rein als Mittel
behandeln und davon tragen die Werke den Stempel in ihren Formen.
Was die Künste betrifft, so erinnere man sich nur z. B., wie anders
die bildende Kunst als die Poesie, wie anders in dieser das Epos
(namentlich die Idylle) als das Drama sich zu dieser Sphäre stellt.

1. Die äußere Zweckmäßigkeit gehört zu den abſtracten Begriffen,
welche durch §. 16 ausgeſchloſſen ſind. Er hat ſeinen eigentlichen Ort
im Syſtem der menſchlichen Bedürfniſſe und ihrer Befriedigung. Die
unbewußte Natur kann auch unter den Standpunkt der äußeren Zweck-
mäßigkeit gerückt werden; Luft, Erde, Waſſer, Licht dient der Pflanze,
jene und dieſe dem Thier u. ſ. w.; dieſer Standpunkt iſt aber nicht nur
nicht äſthetiſch, ſondern er iſt auch ſchließlich nicht der wahre. Noch un-
wahrer iſt es, wenn innere Zwecke des Geiſtes, die Selbſtzwecke ſind,
unter der Kategorie der äußeren Zweckmäßigkeit betrachtet werden, z. B.
der Staat. Im Reich der Bedürfniſſe aber und des äußern Wohls
handelt es ſich um die Befriedigung deſſen, was im Menſchen ſelbſt
nur um eines Andern, um des Geiſtes willen, iſt; dieſem an ſich
Unſelbſtändigen dient nun die äußere Natur und wird zu Werken ver-
arbeitet, welche durchaus nur Mittel ſind, eines für das andere und
alle für den ſinnlichen Menſchen, dieſer aber für den geiſtigen. Hier
handelt es ſich alſo um bloſe Beziehungen, nicht um freie Wirklichkeit
eines Selbſtändigen in ſeiner Totalität. Der ſich verwirklichende Selbſt-
zweck heißt das Gute, die Fülle der erwirkten Mittel des äußeren Zwecks,
ſofern der Menſch als Sinnenweſen, aber auf dieſer Unterlage auch als
geiſtiges Weſen in ihr ſich ge nießt, heißt das Gut.

2. Es kann von dem Gegenſatze der geiſtigen Selbſtzwecke und der
äußeren Zwecke abgeſehen und der Menſch unter dem Standpunkte
einer höheren Natur, einer edleren Thierheit angeſchaut werden. Dann
wird nicht in Erwägung genommen, daß das ſinnliche Daſeyn genährt
und gepflanzt wird, blos damit der Geiſt Zeit und Raum gewinne für
ſeine abſoluten Zwecke. Es iſt dieſer Standpunkt keine Erniedrigung,
denn indem ſich der ganze Menſch ungetheilt in dieſe äußere Sphäre
legt, bringt er auch den Geiſt als adelnde und maßgebende Seele mit.
So wird dieſe Sphäre ſelbſtändig und äſthetiſch; jedoch nur unter ge-
wiſſen weiteren Bedingungen. Dieſe Bedingungen können nicht hier
erledigt werden, ſie gehören theils zur Frage nach den geſchichtlichen
Formen der Cultur, theils zur Lehre von den verſchiedenen Künſten.
Es gibt Cultur-Epochen, welche die Sphäre der Zweckmäßigkeit im
Sinne jener ſelbſtändigen Anſchauung, andere, welche ſie rein als Mittel
behandeln und davon tragen die Werke den Stempel in ihren Formen.
Was die Künſte betrifft, ſo erinnere man ſich nur z. B., wie anders
die bildende Kunſt als die Poeſie, wie anders in dieſer das Epos
(namentlich die Idylle) als das Drama ſich zu dieſer Sphäre ſtellt.

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[79/0093] 1. Die äußere Zweckmäßigkeit gehört zu den abſtracten Begriffen, welche durch §. 16 ausgeſchloſſen ſind. Er hat ſeinen eigentlichen Ort im Syſtem der menſchlichen Bedürfniſſe und ihrer Befriedigung. Die unbewußte Natur kann auch unter den Standpunkt der äußeren Zweck- mäßigkeit gerückt werden; Luft, Erde, Waſſer, Licht dient der Pflanze, jene und dieſe dem Thier u. ſ. w.; dieſer Standpunkt iſt aber nicht nur nicht äſthetiſch, ſondern er iſt auch ſchließlich nicht der wahre. Noch un- wahrer iſt es, wenn innere Zwecke des Geiſtes, die Selbſtzwecke ſind, unter der Kategorie der äußeren Zweckmäßigkeit betrachtet werden, z. B. der Staat. Im Reich der Bedürfniſſe aber und des äußern Wohls handelt es ſich um die Befriedigung deſſen, was im Menſchen ſelbſt nur um eines Andern, um des Geiſtes willen, iſt; dieſem an ſich Unſelbſtändigen dient nun die äußere Natur und wird zu Werken ver- arbeitet, welche durchaus nur Mittel ſind, eines für das andere und alle für den ſinnlichen Menſchen, dieſer aber für den geiſtigen. Hier handelt es ſich alſo um bloſe Beziehungen, nicht um freie Wirklichkeit eines Selbſtändigen in ſeiner Totalität. Der ſich verwirklichende Selbſt- zweck heißt das Gute, die Fülle der erwirkten Mittel des äußeren Zwecks, ſofern der Menſch als Sinnenweſen, aber auf dieſer Unterlage auch als geiſtiges Weſen in ihr ſich ge nießt, heißt das Gut. 2. Es kann von dem Gegenſatze der geiſtigen Selbſtzwecke und der äußeren Zwecke abgeſehen und der Menſch unter dem Standpunkte einer höheren Natur, einer edleren Thierheit angeſchaut werden. Dann wird nicht in Erwägung genommen, daß das ſinnliche Daſeyn genährt und gepflanzt wird, blos damit der Geiſt Zeit und Raum gewinne für ſeine abſoluten Zwecke. Es iſt dieſer Standpunkt keine Erniedrigung, denn indem ſich der ganze Menſch ungetheilt in dieſe äußere Sphäre legt, bringt er auch den Geiſt als adelnde und maßgebende Seele mit. So wird dieſe Sphäre ſelbſtändig und äſthetiſch; jedoch nur unter ge- wiſſen weiteren Bedingungen. Dieſe Bedingungen können nicht hier erledigt werden, ſie gehören theils zur Frage nach den geſchichtlichen Formen der Cultur, theils zur Lehre von den verſchiedenen Künſten. Es gibt Cultur-Epochen, welche die Sphäre der Zweckmäßigkeit im Sinne jener ſelbſtändigen Anſchauung, andere, welche ſie rein als Mittel behandeln und davon tragen die Werke den Stempel in ihren Formen. Was die Künſte betrifft, ſo erinnere man ſich nur z. B., wie anders die bildende Kunſt als die Poeſie, wie anders in dieſer das Epos (namentlich die Idylle) als das Drama ſich zu dieſer Sphäre ſtellt.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/93>, abgerufen am 21.11.2024.