dieser Gattung niedrig stehen, haben so wenig Gliederung, daß sie nur wie der erste, weiche Teppich erscheinen, den die gegliederten Pflanzen selbst sich unterbreiten. Kräuter sind ungleich formreicher im Einzelnen, selbst akotyledonische, wie Farrenkräuter, welche namentlich zierliche gefiederte Formen darbieten; den Gräsern sieht man auch im Ueberblick die gegliederte Form wohl an; Schlingpflanzen zeigen reiche Gestaltung, herrliche Blumen. Doch alle diese besonderen Schönheiten fallen unter den Standpunkt des ästhetisch Unselbständigen (vrgl. §. 275 ff.) und es kommt hier nur die Gesammtwirkung, die durch gesellige Menge entsteht, in Rechnung. Der allgemeine Eindruck ist im §. bezeichnet; das Auge trennt diese grünen Ueberkleidungen nicht von der Erde, von der sie sich durch keinen klaren Gegensatz von Stamm und Krone erheben, die Vegetation sucht nur Alles zu überziehen und behandelt selbst Werke der Menschen- hand, altes Gemäuer, als sein Eigenthum, das es verbrämt und mit seinen spielenden Franzen umhängt, zur Natur zurückführt, malerisch macht. Die Schlingpflanze steigt wie ein spielender Schmuck, oft als prachtvoll colorirte Randzeichnung an höheren Körpern, namentlich an Bäumen hinauf. In diesem allgemeinen Charakter treten nun freilich bestimmte Charaktere hervor; anders wirkt der sammtene Moosteppich, anders die Weberei des Krautes, und diese wieder verschieden, wie sie vielgestaltig, würzig von der heißeren Sonne hervorgelockt wird oder wie sie einförmig weite neblige Ebenen und Berghöhen mit mattem Grüne begleitet. Wärmer, weicher erscheint die Grasflur, die im Winde ein wogendes Meer (mar de yerbas nennen die Südamerikaner ihre Llanos) darstellt.
Im Gesträuche, d. h. den Gewächsen, deren Zweige schon tief am Fuße des Stamms hervortreten, wird nun die Richtung der letzteren, auch der Blattform und Farbe schon ungleich wichtiger, allein es kann nur in Kürze der allgemeine Charakter der kräftigeren Betonung ausgesprochen werden, den es der Landschaft mittheilt. Der Baum verhält sich zu allen diesen Formen wie das eigentliche Subject, das wir suchen.
§. 278.
Unter den großen Gebilden von selbständiger Bedeutung nun, den Bäumen, 1läßt sich ein dreifacher Typus unterscheiden. Der erste trägt durch vorherrschende Ausdehnung zu riesenhafter Breite und Höhe den Charakter des Erhabenen, jedoch in der näheren Bestimmung krystallischer Gebundenheit, die das Gemüth des Be- schauers nicht in den Irrgängen ahnungsvoller Stimmung sich frei ergehen läßt, sondern streng beherrscht: eine Eigenschaft, die in dem scharfen Umriß, der festen und dichten Textur, der gemessenen Zeichnung, regelmäßigen, symmetrischen Stellung 2dor Theile begründet ist. Ueben der Gebundenheit bricht aber üppiger Wucher,
dieſer Gattung niedrig ſtehen, haben ſo wenig Gliederung, daß ſie nur wie der erſte, weiche Teppich erſcheinen, den die gegliederten Pflanzen ſelbſt ſich unterbreiten. Kräuter ſind ungleich formreicher im Einzelnen, ſelbſt akotyledoniſche, wie Farrenkräuter, welche namentlich zierliche gefiederte Formen darbieten; den Gräſern ſieht man auch im Ueberblick die gegliederte Form wohl an; Schlingpflanzen zeigen reiche Geſtaltung, herrliche Blumen. Doch alle dieſe beſonderen Schönheiten fallen unter den Standpunkt des äſthetiſch Unſelbſtändigen (vrgl. §. 275 ff.) und es kommt hier nur die Geſammtwirkung, die durch geſellige Menge entſteht, in Rechnung. Der allgemeine Eindruck iſt im §. bezeichnet; das Auge trennt dieſe grünen Ueberkleidungen nicht von der Erde, von der ſie ſich durch keinen klaren Gegenſatz von Stamm und Krone erheben, die Vegetation ſucht nur Alles zu überziehen und behandelt ſelbſt Werke der Menſchen- hand, altes Gemäuer, als ſein Eigenthum, das es verbrämt und mit ſeinen ſpielenden Franzen umhängt, zur Natur zurückführt, maleriſch macht. Die Schlingpflanze ſteigt wie ein ſpielender Schmuck, oft als prachtvoll colorirte Randzeichnung an höheren Körpern, namentlich an Bäumen hinauf. In dieſem allgemeinen Charakter treten nun freilich beſtimmte Charaktere hervor; anders wirkt der ſammtene Moosteppich, anders die Weberei des Krautes, und dieſe wieder verſchieden, wie ſie vielgeſtaltig, würzig von der heißeren Sonne hervorgelockt wird oder wie ſie einförmig weite neblige Ebenen und Berghöhen mit mattem Grüne begleitet. Wärmer, weicher erſcheint die Grasflur, die im Winde ein wogendes Meer (mar de yerbas nennen die Südamerikaner ihre Llanos) darſtellt.
Im Geſträuche, d. h. den Gewächſen, deren Zweige ſchon tief am Fuße des Stamms hervortreten, wird nun die Richtung der letzteren, auch der Blattform und Farbe ſchon ungleich wichtiger, allein es kann nur in Kürze der allgemeine Charakter der kräftigeren Betonung ausgeſprochen werden, den es der Landſchaft mittheilt. Der Baum verhält ſich zu allen dieſen Formen wie das eigentliche Subject, das wir ſuchen.
§. 278.
Unter den großen Gebilden von ſelbſtändiger Bedeutung nun, den Bäumen, 1läßt ſich ein dreifacher Typus unterſcheiden. Der erſte trägt durch vorherrſchende Ausdehnung zu rieſenhafter Breite und Höhe den Charakter des Erhabenen, jedoch in der näheren Beſtimmung kryſtalliſcher Gebundenheit, die das Gemüth des Be- ſchauers nicht in den Irrgängen ahnungsvoller Stimmung ſich frei ergehen läßt, ſondern ſtreng beherrſcht: eine Eigenſchaft, die in dem ſcharfen Umriß, der feſten und dichten Textur, der gemeſſenen Zeichnung, regelmäßigen, ſymmetriſchen Stellung 2dor Theile begründet iſt. Ueben der Gebundenheit bricht aber üppiger Wucher,
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dieſer Gattung niedrig ſtehen, haben ſo wenig Gliederung, daß ſie nur
wie der erſte, weiche Teppich erſcheinen, den die gegliederten Pflanzen
ſelbſt ſich unterbreiten. Kräuter ſind ungleich formreicher im Einzelnen,
ſelbſt akotyledoniſche, wie Farrenkräuter, welche namentlich zierliche
gefiederte Formen darbieten; den Gräſern ſieht man auch im Ueberblick
die gegliederte Form wohl an; Schlingpflanzen zeigen reiche Geſtaltung,
herrliche Blumen. Doch alle dieſe beſonderen Schönheiten fallen unter den
Standpunkt des äſthetiſch Unſelbſtändigen (vrgl. §. 275 ff.) und es kommt
hier nur die Geſammtwirkung, die durch geſellige Menge entſteht, in
Rechnung. Der allgemeine Eindruck iſt im §. bezeichnet; das Auge trennt
dieſe grünen Ueberkleidungen nicht von der Erde, von der ſie ſich durch
keinen klaren Gegenſatz von Stamm und Krone erheben, die Vegetation
ſucht nur Alles zu überziehen und behandelt ſelbſt Werke der Menſchen-
hand, altes Gemäuer, als ſein Eigenthum, das es verbrämt und mit
ſeinen ſpielenden Franzen umhängt, zur Natur zurückführt, maleriſch macht.
Die Schlingpflanze ſteigt wie ein ſpielender Schmuck, oft als prachtvoll
colorirte Randzeichnung an höheren Körpern, namentlich an Bäumen hinauf.
In dieſem allgemeinen Charakter treten nun freilich beſtimmte Charaktere
hervor; anders wirkt der ſammtene Moosteppich, anders die Weberei des
Krautes, und dieſe wieder verſchieden, wie ſie vielgeſtaltig, würzig von
der heißeren Sonne hervorgelockt wird oder wie ſie einförmig weite neblige
Ebenen und Berghöhen mit mattem Grüne begleitet. Wärmer, weicher
erſcheint die Grasflur, die im Winde ein wogendes Meer (mar de yerbas
nennen die Südamerikaner ihre Llanos) darſtellt.
Im Geſträuche, d. h. den Gewächſen, deren Zweige ſchon tief am
Fuße des Stamms hervortreten, wird nun die Richtung der letzteren, auch
der Blattform und Farbe ſchon ungleich wichtiger, allein es kann nur in
Kürze der allgemeine Charakter der kräftigeren Betonung ausgeſprochen
werden, den es der Landſchaft mittheilt. Der Baum verhält ſich zu allen
dieſen Formen wie das eigentliche Subject, das wir ſuchen.
§. 278.
Unter den großen Gebilden von ſelbſtändiger Bedeutung nun, den Bäumen,
läßt ſich ein dreifacher Typus unterſcheiden. Der erſte trägt durch vorherrſchende
Ausdehnung zu rieſenhafter Breite und Höhe den Charakter des Erhabenen, jedoch
in der näheren Beſtimmung kryſtalliſcher Gebundenheit, die das Gemüth des Be-
ſchauers nicht in den Irrgängen ahnungsvoller Stimmung ſich frei ergehen läßt,
ſondern ſtreng beherrſcht: eine Eigenſchaft, die in dem ſcharfen Umriß, der feſten
und dichten Textur, der gemeſſenen Zeichnung, regelmäßigen, ſymmetriſchen Stellung
dor Theile begründet iſt. Ueben der Gebundenheit bricht aber üppiger Wucher,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/104>, abgerufen am 16.02.2025.
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