zeigen. Unter die Palmen stellt Oken den Pandanus; sein Stamm wird nicht hoch, dagegen ist in der Spiral-Stellung der schwertförmigen Blätter auf eigenthümlich strenge Weise jener geometrische Charakter ausgeprägt. Nicht durch Höhe, aber durch ungeheure Dicke und Breite zeichnet sich der riesenförmige Drachenbaum aus, der ebenfalls palmenartig, aber mit überhängenden Schwertblättern seine Krone über einem Stamm ausbreitet, welcher in dem berühmten Exemplare auf Teneriffa über der Wurzel 45 Fuß im Umfange hat. Unter den dikotyledonischen Formen ist die durch Blätter- zeichnung am meisten symmetrische die gefiederte und besonders zartgeficdert sind die von schirmartig verbreiteten Zweigen getragenen Blätter der Mimosen. Seltsame phantastische Formen sind namentlich die Cactus- Arten, bald kugelförmig, bald schlangenartig am Boden kriechend, bald in ovalen flachen Gliedern im Zickzack gespenstische Arme ausstreckend, bald in vieleckigen Säulen hoch aufsteigend. Wie seltsam aber diese Bildungen sind, sie tragen doch in ihrer fleischigen Masse, ihren festen Umrissen jenen scharfen, allem Zerflossenen streng entgegengesetzten Charakter, von dem hier die Rede ist. Andere Formen erscheinen äußerst trocken und kahl, wie die Casuarinen mit ihren blätterlosen, mausschwanzähnlichen Zweigen.
Die hier verfolgte Eintheilung bindet sich nicht an den geographischen Standpunkt. Es kommt nicht darauf an, die Pflanzenformen der heißen Zonen durchzugehen, die ungeheuren Feigenbäume, Wollbäume, Affen- brodbäume u. s. w. aufzuführen, sondern den allgemeinen Typus zu schildern und die ihn am eigenthümlichsten bezeichnenden Formen hervorzuheben. Es war allerdings sogleich zu bemerken, welche Sonne diese Formen hervorbringt, allein dieselbe Sonne ruft auch unzählige andere Gebilde hervor, welche, nur nicht so üppig, nicht so groß, auch anderswo wachsen und ebenda gewöhnlicher sind. Umgekehrt wachsen die Pflanzen, welche die heißen Länder vorzüglich charakterisiren, auch in dem wärmeren Theile der gemäßigten Zone, freilich ebenfalls nicht in derselben Größe, Anzahl der Arten u. s. w.
2. Neben diesen strengen Formen schießt nun aber in den heißen Zonen eine duftberauschende, farbenglühende, in unendlichen Formen wuchernde Welt von Kräutern, Schlingpflanzen, Gräsern, Blüthen, Blumen (unter denen wir nur die bunten Orchideen nennen) u. s. w. auf. Hier verschwindet die bindende Regel in ungemessener Ueppigkeit und führt das durch jene Strenge gebundene Gemüth in heiße und schwelgerische Trunkenheit hinaus, nicht in die gedankenreicheren Spiele der Empfindung, sondern in Träume der Wollust. Unfrei ist der Geist hier wie dort. Wir werden dieselben Extreme im Naturell der Völker finden, welche in dieser Pflanzenwelt leben.
zeigen. Unter die Palmen ſtellt Oken den Pandanus; ſein Stamm wird nicht hoch, dagegen iſt in der Spiral-Stellung der ſchwertförmigen Blätter auf eigenthümlich ſtrenge Weiſe jener geometriſche Charakter ausgeprägt. Nicht durch Höhe, aber durch ungeheure Dicke und Breite zeichnet ſich der rieſenförmige Drachenbaum aus, der ebenfalls palmenartig, aber mit überhängenden Schwertblättern ſeine Krone über einem Stamm ausbreitet, welcher in dem berühmten Exemplare auf Teneriffa über der Wurzel 45 Fuß im Umfange hat. Unter den dikotyledoniſchen Formen iſt die durch Blätter- zeichnung am meiſten ſymmetriſche die gefiederte und beſonders zartgeficdert ſind die von ſchirmartig verbreiteten Zweigen getragenen Blätter der Mimoſen. Seltſame phantaſtiſche Formen ſind namentlich die Cactus- Arten, bald kugelförmig, bald ſchlangenartig am Boden kriechend, bald in ovalen flachen Gliedern im Zickzack geſpenſtiſche Arme ausſtreckend, bald in vieleckigen Säulen hoch aufſteigend. Wie ſeltſam aber dieſe Bildungen ſind, ſie tragen doch in ihrer fleiſchigen Maſſe, ihren feſten Umriſſen jenen ſcharfen, allem Zerfloſſenen ſtreng entgegengeſetzten Charakter, von dem hier die Rede iſt. Andere Formen erſcheinen äußerſt trocken und kahl, wie die Caſuarinen mit ihren blätterloſen, mausſchwanzähnlichen Zweigen.
Die hier verfolgte Eintheilung bindet ſich nicht an den geographiſchen Standpunkt. Es kommt nicht darauf an, die Pflanzenformen der heißen Zonen durchzugehen, die ungeheuren Feigenbäume, Wollbäume, Affen- brodbäume u. ſ. w. aufzuführen, ſondern den allgemeinen Typus zu ſchildern und die ihn am eigenthümlichſten bezeichnenden Formen hervorzuheben. Es war allerdings ſogleich zu bemerken, welche Sonne dieſe Formen hervorbringt, allein dieſelbe Sonne ruft auch unzählige andere Gebilde hervor, welche, nur nicht ſo üppig, nicht ſo groß, auch anderswo wachſen und ebenda gewöhnlicher ſind. Umgekehrt wachſen die Pflanzen, welche die heißen Länder vorzüglich charakteriſiren, auch in dem wärmeren Theile der gemäßigten Zone, freilich ebenfalls nicht in derſelben Größe, Anzahl der Arten u. ſ. w.
2. Neben dieſen ſtrengen Formen ſchießt nun aber in den heißen Zonen eine duftberauſchende, farbenglühende, in unendlichen Formen wuchernde Welt von Kräutern, Schlingpflanzen, Gräſern, Blüthen, Blumen (unter denen wir nur die bunten Orchideen nennen) u. ſ. w. auf. Hier verſchwindet die bindende Regel in ungemeſſener Ueppigkeit und führt das durch jene Strenge gebundene Gemüth in heiße und ſchwelgeriſche Trunkenheit hinaus, nicht in die gedankenreicheren Spiele der Empfindung, ſondern in Träume der Wolluſt. Unfrei iſt der Geiſt hier wie dort. Wir werden dieſelben Extreme im Naturell der Völker finden, welche in dieſer Pflanzenwelt leben.
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zeigen. Unter die Palmen ſtellt Oken den Pandanus; ſein Stamm wird
nicht hoch, dagegen iſt in der Spiral-Stellung der ſchwertförmigen Blätter
auf eigenthümlich ſtrenge Weiſe jener geometriſche Charakter ausgeprägt.
Nicht durch Höhe, aber durch ungeheure Dicke und Breite zeichnet ſich
der rieſenförmige Drachenbaum aus, der ebenfalls palmenartig, aber mit
überhängenden Schwertblättern ſeine Krone über einem Stamm ausbreitet,
welcher in dem berühmten Exemplare auf Teneriffa über der Wurzel 45 Fuß
im Umfange hat. Unter den dikotyledoniſchen Formen iſt die durch Blätter-
zeichnung am meiſten ſymmetriſche die gefiederte und beſonders zartgeficdert
ſind die von ſchirmartig verbreiteten Zweigen getragenen Blätter der
Mimoſen. Seltſame phantaſtiſche Formen ſind namentlich die Cactus-
Arten, bald kugelförmig, bald ſchlangenartig am Boden kriechend, bald
in ovalen flachen Gliedern im Zickzack geſpenſtiſche Arme ausſtreckend, bald
in vieleckigen Säulen hoch aufſteigend. Wie ſeltſam aber dieſe Bildungen
ſind, ſie tragen doch in ihrer fleiſchigen Maſſe, ihren feſten Umriſſen jenen
ſcharfen, allem Zerfloſſenen ſtreng entgegengeſetzten Charakter, von dem
hier die Rede iſt. Andere Formen erſcheinen äußerſt trocken und kahl, wie
die Caſuarinen mit ihren blätterloſen, mausſchwanzähnlichen Zweigen.
Die hier verfolgte Eintheilung bindet ſich nicht an den geographiſchen
Standpunkt. Es kommt nicht darauf an, die Pflanzenformen der heißen
Zonen durchzugehen, die ungeheuren Feigenbäume, Wollbäume, Affen-
brodbäume u. ſ. w. aufzuführen, ſondern den allgemeinen Typus zu ſchildern
und die ihn am eigenthümlichſten bezeichnenden Formen hervorzuheben.
Es war allerdings ſogleich zu bemerken, welche Sonne dieſe Formen
hervorbringt, allein dieſelbe Sonne ruft auch unzählige andere Gebilde
hervor, welche, nur nicht ſo üppig, nicht ſo groß, auch anderswo wachſen
und ebenda gewöhnlicher ſind. Umgekehrt wachſen die Pflanzen, welche
die heißen Länder vorzüglich charakteriſiren, auch in dem wärmeren Theile
der gemäßigten Zone, freilich ebenfalls nicht in derſelben Größe, Anzahl
der Arten u. ſ. w.
2. Neben dieſen ſtrengen Formen ſchießt nun aber in den heißen Zonen
eine duftberauſchende, farbenglühende, in unendlichen Formen wuchernde
Welt von Kräutern, Schlingpflanzen, Gräſern, Blüthen, Blumen (unter
denen wir nur die bunten Orchideen nennen) u. ſ. w. auf. Hier verſchwindet
die bindende Regel in ungemeſſener Ueppigkeit und führt das durch jene
Strenge gebundene Gemüth in heiße und ſchwelgeriſche Trunkenheit hinaus,
nicht in die gedankenreicheren Spiele der Empfindung, ſondern in Träume
der Wolluſt. Unfrei iſt der Geiſt hier wie dort. Wir werden dieſelben
Extreme im Naturell der Völker finden, welche in dieſer Pflanzenwelt
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/106>, abgerufen am 16.02.2025.
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