auch bereits leidenschaftlich grausam, selbst listig sind. Dennoch ist es der Wurm, der nicht nur durch die Längsrichtung, sondern (in der Klasse der Rothwürmer) durch die zur Seite angesetzten fußartigen Fäden und durch die, zwar noch nicht hornigen, Ringel seines Leibs höher steht, als diese und alle andern Weichthiere, in zwei symmetrische Hälften der Länge nach zerfällt und den Uebergang zum Krustenthiere, durch dieses zum Insecte darstellt. Letzteres zeigt in seiner ersten Metamorphose als Raupe Wurm- gestalt und sein sackiger, geringelter Leib ist nichts Anderes als der frühere Wurm.
Mit den Weichthieren und Würmern ist nun ästhetisch natürlich blut- wenig anzufangen. Zur Komik geben jene Stoff, weil sie ihr Haus mit sich schleppen und durch ihre Langsamkeit unwillkührlich an Trägheit erinnern. Gefällig sind sie theilweise durch das abstracte Moment der Farbe, die namentlich an den Muscheln vorkommt, auch als Glanz verschiedener Art, namentlich Perlmutterglanz (Schönheit der Perle). Die Substanz der Muscheln weist wieder entschieden in's Mineralreich zurück, ihr Bau ist ein ästhetisch zweifelhafter Gegenstand: er zeigt keine völlige Regel- mäßigkeit und Symmetrie, sondern weicht spielend in allerhand Wendungen, Zacken u. s. w. aus und durch diese Schnörkel hat er etwas Rokoko- Artiges. Wenn nun geometrische Regelmäßigkeit, wie bei dem Krystall, uns an die Architectur erinnert, wenn ebendarum die Muschel einen archi- tectonischen Charakter hat und zu Ornamenten sehr passend erscheint, so stört sie vielmehr durch die Schnörkel die statische Ruhe und Klarheit wieder, und so kommt es, daß wir allerdings von einer ganzen Periode der Architectur die Muschel vielfach, und zwar sogar als Thurmpyramide in spiralförmig gewundener Form verwendet sehen, aber eben von einer willkührlichen und manirirten Periode, dem sogenannten Zopfstyle. -- Der Molluske selbst ist aber immer eckelhaft durch seine breiige Schmierigkeit, zum Theil auch furchtbar, wie oben erwähnt ist. Auch der Wurm ist eckelhaft, nur in einigen Gattungen zeichnet er sich durch schöne Farbe aus (vierkantiger Spritzwurm u. and.).
2. Hornartige Festigung der Haut und eingeschnittene Theilung tritt mit den Krustenthieren ein, der Vorstufe des eigentlichen Insects. Diese Classe besteht noch größtentheils aus Wasserthieren. Sie sind ein wahres Reich der Häßlichkeit, alle durch die stachlichte, zackigte Vielheit ihrer Organe, dieser Borsten, Fühlhörner, Taster, Saugrüßel, zwickenden Kinn- laden, wuselnden Füße u. s. w., ein Theil durch die noch halbweiche, wässerigte und durchsichtige Hornhaut, welche die eckelhafte Vorstellung eines bei der Berührung berstenden Schleimsacks gibt, andere durch ihre widerlichen Waffen, Zangen, Scheeren u. dergl. Noch wurmartig sind die vielfüßigen Asseln, in welchen nur erst der Kopf vom Rumpfe unter-
auch bereits leidenſchaftlich grauſam, ſelbſt liſtig ſind. Dennoch iſt es der Wurm, der nicht nur durch die Längsrichtung, ſondern (in der Klaſſe der Rothwürmer) durch die zur Seite angeſetzten fußartigen Fäden und durch die, zwar noch nicht hornigen, Ringel ſeines Leibs höher ſteht, als dieſe und alle andern Weichthiere, in zwei ſymmetriſche Hälften der Länge nach zerfällt und den Uebergang zum Kruſtenthiere, durch dieſes zum Inſecte darſtellt. Letzteres zeigt in ſeiner erſten Metamorphoſe als Raupe Wurm- geſtalt und ſein ſackiger, geringelter Leib iſt nichts Anderes als der frühere Wurm.
Mit den Weichthieren und Würmern iſt nun äſthetiſch natürlich blut- wenig anzufangen. Zur Komik geben jene Stoff, weil ſie ihr Haus mit ſich ſchleppen und durch ihre Langſamkeit unwillkührlich an Trägheit erinnern. Gefällig ſind ſie theilweiſe durch das abſtracte Moment der Farbe, die namentlich an den Muſcheln vorkommt, auch als Glanz verſchiedener Art, namentlich Perlmutterglanz (Schönheit der Perle). Die Subſtanz der Muſcheln weist wieder entſchieden in’s Mineralreich zurück, ihr Bau iſt ein äſthetiſch zweifelhafter Gegenſtand: er zeigt keine völlige Regel- mäßigkeit und Symmetrie, ſondern weicht ſpielend in allerhand Wendungen, Zacken u. ſ. w. aus und durch dieſe Schnörkel hat er etwas Rokoko- Artiges. Wenn nun geometriſche Regelmäßigkeit, wie bei dem Kryſtall, uns an die Architectur erinnert, wenn ebendarum die Muſchel einen archi- tectoniſchen Charakter hat und zu Ornamenten ſehr paſſend erſcheint, ſo ſtört ſie vielmehr durch die Schnörkel die ſtatiſche Ruhe und Klarheit wieder, und ſo kommt es, daß wir allerdings von einer ganzen Periode der Architectur die Muſchel vielfach, und zwar ſogar als Thurmpyramide in ſpiralförmig gewundener Form verwendet ſehen, aber eben von einer willkührlichen und manirirten Periode, dem ſogenannten Zopfſtyle. — Der Molluske ſelbſt iſt aber immer eckelhaft durch ſeine breiige Schmierigkeit, zum Theil auch furchtbar, wie oben erwähnt iſt. Auch der Wurm iſt eckelhaft, nur in einigen Gattungen zeichnet er ſich durch ſchöne Farbe aus (vierkantiger Spritzwurm u. and.).
2. Hornartige Feſtigung der Haut und eingeſchnittene Theilung tritt mit den Kruſtenthieren ein, der Vorſtufe des eigentlichen Inſects. Dieſe Claſſe beſteht noch größtentheils aus Waſſerthieren. Sie ſind ein wahres Reich der Häßlichkeit, alle durch die ſtachlichte, zackigte Vielheit ihrer Organe, dieſer Borſten, Fühlhörner, Taſter, Saugrüßel, zwickenden Kinn- laden, wuſelnden Füße u. ſ. w., ein Theil durch die noch halbweiche, wäſſerigte und durchſichtige Hornhaut, welche die eckelhafte Vorſtellung eines bei der Berührung berſtenden Schleimſacks gibt, andere durch ihre widerlichen Waffen, Zangen, Scheeren u. dergl. Noch wurmartig ſind die vielfüßigen Aſſeln, in welchen nur erſt der Kopf vom Rumpfe unter-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0133"n="121"/>
auch bereits leidenſchaftlich grauſam, ſelbſt liſtig ſind. Dennoch iſt es der<lb/>
Wurm, der nicht nur durch die Längsrichtung, ſondern (in der Klaſſe der<lb/>
Rothwürmer) durch die zur Seite angeſetzten fußartigen Fäden und durch<lb/>
die, zwar noch nicht hornigen, Ringel ſeines Leibs höher ſteht, als dieſe<lb/>
und alle andern Weichthiere, in zwei ſymmetriſche Hälften der Länge nach<lb/>
zerfällt und den Uebergang zum Kruſtenthiere, durch dieſes zum Inſecte<lb/>
darſtellt. Letzteres zeigt in ſeiner erſten Metamorphoſe als Raupe Wurm-<lb/>
geſtalt und ſein ſackiger, geringelter Leib iſt nichts Anderes als der<lb/>
frühere Wurm.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Mit den Weichthieren und Würmern iſt nun äſthetiſch natürlich blut-<lb/>
wenig anzufangen. Zur Komik geben jene Stoff, weil ſie ihr Haus mit<lb/>ſich ſchleppen und durch ihre Langſamkeit unwillkührlich an Trägheit<lb/>
erinnern. Gefällig ſind ſie theilweiſe durch das abſtracte Moment der Farbe,<lb/>
die namentlich an den Muſcheln vorkommt, auch als Glanz verſchiedener<lb/>
Art, namentlich Perlmutterglanz (Schönheit der Perle). Die Subſtanz der<lb/>
Muſcheln weist wieder entſchieden in’s Mineralreich zurück, ihr Bau iſt<lb/>
ein äſthetiſch zweifelhafter Gegenſtand: er zeigt keine völlige Regel-<lb/>
mäßigkeit und Symmetrie, ſondern weicht ſpielend in allerhand Wendungen,<lb/>
Zacken u. ſ. w. aus und durch dieſe Schnörkel hat er etwas Rokoko-<lb/>
Artiges. Wenn nun geometriſche Regelmäßigkeit, wie bei dem Kryſtall,<lb/>
uns an die Architectur erinnert, wenn ebendarum die Muſchel einen archi-<lb/>
tectoniſchen Charakter hat und zu Ornamenten ſehr paſſend erſcheint, ſo<lb/>ſtört ſie vielmehr durch die Schnörkel die ſtatiſche Ruhe und Klarheit<lb/>
wieder, und ſo kommt es, daß wir allerdings von einer ganzen Periode<lb/>
der Architectur die Muſchel vielfach, und zwar ſogar als Thurmpyramide<lb/>
in ſpiralförmig gewundener Form verwendet ſehen, aber eben von einer<lb/>
willkührlichen und manirirten Periode, dem ſogenannten Zopfſtyle. —<lb/>
Der Molluske ſelbſt iſt aber immer eckelhaft durch ſeine breiige Schmierigkeit,<lb/>
zum Theil auch furchtbar, wie oben erwähnt iſt. Auch der Wurm iſt<lb/>
eckelhaft, nur in einigen Gattungen zeichnet er ſich durch ſchöne Farbe aus<lb/>
(vierkantiger Spritzwurm u. and.).</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2. Hornartige Feſtigung der Haut und eingeſchnittene Theilung tritt<lb/>
mit den Kruſtenthieren ein, der Vorſtufe des eigentlichen Inſects. Dieſe<lb/>
Claſſe beſteht noch größtentheils aus Waſſerthieren. Sie ſind ein wahres<lb/>
Reich der Häßlichkeit, alle durch die ſtachlichte, zackigte Vielheit ihrer<lb/>
Organe, dieſer Borſten, Fühlhörner, Taſter, Saugrüßel, zwickenden Kinn-<lb/>
laden, wuſelnden Füße u. ſ. w., ein Theil durch die noch halbweiche,<lb/>
wäſſerigte und durchſichtige Hornhaut, welche die eckelhafte Vorſtellung<lb/>
eines bei der Berührung berſtenden Schleimſacks gibt, andere durch ihre<lb/>
widerlichen Waffen, Zangen, Scheeren u. dergl. Noch wurmartig ſind die<lb/>
vielfüßigen <hirendition="#g">Aſſeln</hi>, in welchen nur erſt der Kopf vom Rumpfe unter-<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[121/0133]
auch bereits leidenſchaftlich grauſam, ſelbſt liſtig ſind. Dennoch iſt es der
Wurm, der nicht nur durch die Längsrichtung, ſondern (in der Klaſſe der
Rothwürmer) durch die zur Seite angeſetzten fußartigen Fäden und durch
die, zwar noch nicht hornigen, Ringel ſeines Leibs höher ſteht, als dieſe
und alle andern Weichthiere, in zwei ſymmetriſche Hälften der Länge nach
zerfällt und den Uebergang zum Kruſtenthiere, durch dieſes zum Inſecte
darſtellt. Letzteres zeigt in ſeiner erſten Metamorphoſe als Raupe Wurm-
geſtalt und ſein ſackiger, geringelter Leib iſt nichts Anderes als der
frühere Wurm.
Mit den Weichthieren und Würmern iſt nun äſthetiſch natürlich blut-
wenig anzufangen. Zur Komik geben jene Stoff, weil ſie ihr Haus mit
ſich ſchleppen und durch ihre Langſamkeit unwillkührlich an Trägheit
erinnern. Gefällig ſind ſie theilweiſe durch das abſtracte Moment der Farbe,
die namentlich an den Muſcheln vorkommt, auch als Glanz verſchiedener
Art, namentlich Perlmutterglanz (Schönheit der Perle). Die Subſtanz der
Muſcheln weist wieder entſchieden in’s Mineralreich zurück, ihr Bau iſt
ein äſthetiſch zweifelhafter Gegenſtand: er zeigt keine völlige Regel-
mäßigkeit und Symmetrie, ſondern weicht ſpielend in allerhand Wendungen,
Zacken u. ſ. w. aus und durch dieſe Schnörkel hat er etwas Rokoko-
Artiges. Wenn nun geometriſche Regelmäßigkeit, wie bei dem Kryſtall,
uns an die Architectur erinnert, wenn ebendarum die Muſchel einen archi-
tectoniſchen Charakter hat und zu Ornamenten ſehr paſſend erſcheint, ſo
ſtört ſie vielmehr durch die Schnörkel die ſtatiſche Ruhe und Klarheit
wieder, und ſo kommt es, daß wir allerdings von einer ganzen Periode
der Architectur die Muſchel vielfach, und zwar ſogar als Thurmpyramide
in ſpiralförmig gewundener Form verwendet ſehen, aber eben von einer
willkührlichen und manirirten Periode, dem ſogenannten Zopfſtyle. —
Der Molluske ſelbſt iſt aber immer eckelhaft durch ſeine breiige Schmierigkeit,
zum Theil auch furchtbar, wie oben erwähnt iſt. Auch der Wurm iſt
eckelhaft, nur in einigen Gattungen zeichnet er ſich durch ſchöne Farbe aus
(vierkantiger Spritzwurm u. and.).
2. Hornartige Feſtigung der Haut und eingeſchnittene Theilung tritt
mit den Kruſtenthieren ein, der Vorſtufe des eigentlichen Inſects. Dieſe
Claſſe beſteht noch größtentheils aus Waſſerthieren. Sie ſind ein wahres
Reich der Häßlichkeit, alle durch die ſtachlichte, zackigte Vielheit ihrer
Organe, dieſer Borſten, Fühlhörner, Taſter, Saugrüßel, zwickenden Kinn-
laden, wuſelnden Füße u. ſ. w., ein Theil durch die noch halbweiche,
wäſſerigte und durchſichtige Hornhaut, welche die eckelhafte Vorſtellung
eines bei der Berührung berſtenden Schleimſacks gibt, andere durch ihre
widerlichen Waffen, Zangen, Scheeren u. dergl. Noch wurmartig ſind die
vielfüßigen Aſſeln, in welchen nur erſt der Kopf vom Rumpfe unter-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/133>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.