mit den Wirbelthieren ein und sie ist vor Allem in dem festen Knochen- gerüste derselben ausgesprochen. Durch dieses erst erscheint das Thier als eine2 auf sich ruhende, auf seine Säulen fest gegründete Einheit, denn allerdings bestimmt dieser innere Bau auch die äußere Form und gibt ihr Halt. Das Knochengerüste bildet zwei Höhlen, deren eine die Organe des blos vegetativen Lebens im Rumpfe umschließt, die andere dagegen das Centrum des höher organisirten Nervensystemes theils als Rückenmark in einer wagrecht gestreckten Säule, theils zur länglich runden Schädelhöhle ausgewölbt, als Gehirn. Dieses, nun zum Centrum selbständigen Seelenlebens erhoben, versteht namentlich die Sinne mit ihren Nerven, welche nun erst als deutlich ausgebildete und ebendarum nebst den Organen der Ergreifung und ersten Verarbeitung der Speise vereinfachte Organe am Kopfe hervortreten. Nur die Wirbelthiere haben einen eigentlichen Kopf und ein Angesicht.
1. Lavater spricht in der Physiognomik von Pferde-Physiognomieen und betrachtet zwar nur gewisse Race-Typen; gewiß aber wird es Niemand einfallen, von der Physiognomie einer einzelnen Schnecke, eines Käfers, Schmetterlings, einer Biene reden zu wollen: der Maler setzt sie auf Kraut und Blumen und diese sind dann das eigentliche Object seiner Darstellung, oder er wirft eßbare Krustenthiere todt in eine Küche, auf einen Fischmarkt und dann ist die Bestimmung zum Essen das Beab- sichtigte, der Dichter läßt sie in ihren Elementen spielen; niemals aber wird man versuchen können, Individuen für sich als interessant darzustellen und die Kunst kann dieß nicht, weil es der Stoff nicht zuläßt.
2. Daß nun die Wirbelthiere dem Gebiete der Persönlichkeit näher rücken, davon ist der erste Grund im Knochengerüste zu suchen. Das hierüber Gesagte bedarf keiner weiteren Erklärung und ebensowenig das Folgende. Es ist zwar hier und weiterhin immer auch auf den innern Bau hingewiesen, doch immer nur in dem Zusammenhang, wie er sich im Aeußern ausspricht; ebendeßwegen darf man aber auch nicht meinen, es könne hier irgend in der Absicht liegen, eine Anatomie des Thiers zu geben. -- Was den Kopf betrifft, so ist klar, wie er nicht nur als Hirn- kopf nun zur reiferen Kugelform hinstrebt, sondern auch als Sinnen-Organ erst den Ausdruck des hellen Umsichschauens, des bestimmteren theoretischen und praktischen Objectivirens annimmt. Die Sinnen-Organe sind durch ihre höhere Ausbildung wesentlich vereinfacht, die Fühlhörner, Taster, Fasern, Borsten u. s. w., all dieß zackige Büschelwesen verschwindet; nur die Bart- haare der Katzen, Mäuse u. s. w., die Bartfäden der Fische erinnern noch daran. Ebenso fallen die Fangarme, die Scheeren, Kieferzangen weg und an ihre Stelle tritt das Gebiß mit Ober- und Unterkiefer und eigentlichen Zähnen. Schnabel und Rüßel erinnern allerdings an jene niedrigeren Formen.
mit den Wirbelthieren ein und ſie iſt vor Allem in dem feſten Knochen- gerüſte derſelben ausgeſprochen. Durch dieſes erſt erſcheint das Thier als eine2 auf ſich ruhende, auf ſeine Säulen feſt gegründete Einheit, denn allerdings beſtimmt dieſer innere Bau auch die äußere Form und gibt ihr Halt. Das Knochengerüſte bildet zwei Höhlen, deren eine die Organe des blos vegetativen Lebens im Rumpfe umſchließt, die andere dagegen das Centrum des höher organiſirten Nervenſyſtemes theils als Rückenmark in einer wagrecht geſtreckten Säule, theils zur länglich runden Schädelhöhle ausgewölbt, als Gehirn. Dieſes, nun zum Centrum ſelbſtändigen Seelenlebens erhoben, verſteht namentlich die Sinne mit ihren Nerven, welche nun erſt als deutlich ausgebildete und ebendarum nebſt den Organen der Ergreifung und erſten Verarbeitung der Speiſe vereinfachte Organe am Kopfe hervortreten. Nur die Wirbelthiere haben einen eigentlichen Kopf und ein Angeſicht.
1. Lavater ſpricht in der Phyſiognomik von Pferde-Phyſiognomieen und betrachtet zwar nur gewiſſe Race-Typen; gewiß aber wird es Niemand einfallen, von der Phyſiognomie einer einzelnen Schnecke, eines Käfers, Schmetterlings, einer Biene reden zu wollen: der Maler ſetzt ſie auf Kraut und Blumen und dieſe ſind dann das eigentliche Object ſeiner Darſtellung, oder er wirft eßbare Kruſtenthiere todt in eine Küche, auf einen Fiſchmarkt und dann iſt die Beſtimmung zum Eſſen das Beab- ſichtigte, der Dichter läßt ſie in ihren Elementen ſpielen; niemals aber wird man verſuchen können, Individuen für ſich als intereſſant darzuſtellen und die Kunſt kann dieß nicht, weil es der Stoff nicht zuläßt.
2. Daß nun die Wirbelthiere dem Gebiete der Perſönlichkeit näher rücken, davon iſt der erſte Grund im Knochengerüſte zu ſuchen. Das hierüber Geſagte bedarf keiner weiteren Erklärung und ebenſowenig das Folgende. Es iſt zwar hier und weiterhin immer auch auf den innern Bau hingewieſen, doch immer nur in dem Zuſammenhang, wie er ſich im Aeußern ausſpricht; ebendeßwegen darf man aber auch nicht meinen, es könne hier irgend in der Abſicht liegen, eine Anatomie des Thiers zu geben. — Was den Kopf betrifft, ſo iſt klar, wie er nicht nur als Hirn- kopf nun zur reiferen Kugelform hinſtrebt, ſondern auch als Sinnen-Organ erſt den Ausdruck des hellen Umſichſchauens, des beſtimmteren theoretiſchen und praktiſchen Objectivirens annimmt. Die Sinnen-Organe ſind durch ihre höhere Ausbildung weſentlich vereinfacht, die Fühlhörner, Taſter, Faſern, Borſten u. ſ. w., all dieß zackige Büſchelweſen verſchwindet; nur die Bart- haare der Katzen, Mäuſe u. ſ. w., die Bartfäden der Fiſche erinnern noch daran. Ebenſo fallen die Fangarme, die Scheeren, Kieferzangen weg und an ihre Stelle tritt das Gebiß mit Ober- und Unterkiefer und eigentlichen Zähnen. Schnabel und Rüßel erinnern allerdings an jene niedrigeren Formen.
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beſtimmt dieſer innere Bau auch die äußere Form und gibt ihr Halt. Das
Knochengerüſte bildet zwei Höhlen, deren eine die Organe des blos vegetativen
Lebens im Rumpfe umſchließt, die andere dagegen das Centrum des höher
organiſirten Nervenſyſtemes theils als Rückenmark in einer wagrecht geſtreckten
Säule, theils zur länglich runden Schädelhöhle ausgewölbt, als Gehirn.
Dieſes, nun zum Centrum ſelbſtändigen Seelenlebens erhoben, verſteht namentlich
die Sinne mit ihren Nerven, welche nun erſt als deutlich ausgebildete und
ebendarum nebſt den Organen der Ergreifung und erſten Verarbeitung der Speiſe
vereinfachte Organe am Kopfe hervortreten. Nur die Wirbelthiere haben einen
eigentlichen Kopf und ein Angeſicht.
1. Lavater ſpricht in der Phyſiognomik von Pferde-Phyſiognomieen
und betrachtet zwar nur gewiſſe Race-Typen; gewiß aber wird es
Niemand einfallen, von der Phyſiognomie einer einzelnen Schnecke, eines
Käfers, Schmetterlings, einer Biene reden zu wollen: der Maler ſetzt
ſie auf Kraut und Blumen und dieſe ſind dann das eigentliche Object
ſeiner Darſtellung, oder er wirft eßbare Kruſtenthiere todt in eine Küche,
auf einen Fiſchmarkt und dann iſt die Beſtimmung zum Eſſen das Beab-
ſichtigte, der Dichter läßt ſie in ihren Elementen ſpielen; niemals aber
wird man verſuchen können, Individuen für ſich als intereſſant darzuſtellen
und die Kunſt kann dieß nicht, weil es der Stoff nicht zuläßt.
2. Daß nun die Wirbelthiere dem Gebiete der Perſönlichkeit näher
rücken, davon iſt der erſte Grund im Knochengerüſte zu ſuchen. Das
hierüber Geſagte bedarf keiner weiteren Erklärung und ebenſowenig das
Folgende. Es iſt zwar hier und weiterhin immer auch auf den innern
Bau hingewieſen, doch immer nur in dem Zuſammenhang, wie er ſich im
Aeußern ausſpricht; ebendeßwegen darf man aber auch nicht meinen, es
könne hier irgend in der Abſicht liegen, eine Anatomie des Thiers zu
geben. — Was den Kopf betrifft, ſo iſt klar, wie er nicht nur als Hirn-
kopf nun zur reiferen Kugelform hinſtrebt, ſondern auch als Sinnen-Organ
erſt den Ausdruck des hellen Umſichſchauens, des beſtimmteren theoretiſchen
und praktiſchen Objectivirens annimmt. Die Sinnen-Organe ſind durch ihre
höhere Ausbildung weſentlich vereinfacht, die Fühlhörner, Taſter, Faſern,
Borſten u. ſ. w., all dieß zackige Büſchelweſen verſchwindet; nur die Bart-
haare der Katzen, Mäuſe u. ſ. w., die Bartfäden der Fiſche erinnern noch
daran. Ebenſo fallen die Fangarme, die Scheeren, Kieferzangen weg und
an ihre Stelle tritt das Gebiß mit Ober- und Unterkiefer und eigentlichen
Zähnen. Schnabel und Rüßel erinnern allerdings an jene niedrigeren Formen.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/137>, abgerufen am 16.08.2024.
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