Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.Wie schon gesagt, stehen nun die Insecten wie durch die strenge Wie sie fast nur als individualisirte Luft erscheinen, so klingen nun §. 295. 1 Es gilt aber im Grunde von allen Thieren dieser Vorstufe, daß sie Wie ſchon geſagt, ſtehen nun die Inſecten wie durch die ſtrenge Wie ſie faſt nur als individualiſirte Luft erſcheinen, ſo klingen nun §. 295. 1 Es gilt aber im Grunde von allen Thieren dieſer Vorſtufe, daß ſie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0136" n="124"/> <p> <hi rendition="#et">Wie ſchon geſagt, ſtehen nun die Inſecten wie durch die ſtrenge<lb/> Beſtimmtheit ihrer Geſtalt, ſo auch durch ihre ſeeliſchen Eigenſchaften<lb/> am höchſten unter den niederen Thieren. Sie ſind höchſt rührig, immer<lb/> bewegt, die allgemeinen Durchwühler, Umkrabbler, Umflatterer, die<lb/> individualiſirte Luft, die Alles umwebt, in Alles eindringt; leidenſchaftlich,<lb/> luſtig, wollüſtig, zornig, höchſt blutdürſtig, wie denn unter den Raubkäfern<lb/> z. B. die Laufkäfer wahre Tiger der Inſektenwelt ſind; zudringlich, eigen-<lb/> ſinnig, impertinent, nickelhaft. Es gibt noch zu lachen, wenn die Fliege<lb/> hundertmal weggejagt hundertmal auf dieſelbe Stelle ſitzt, wenn der Floh<lb/> mit ſeinem verhältnißmäßig ungeheuren Sprunge des Jägers ſpottet, es<lb/> wird aber die Frechheit ſchon läſtig bei den ſchmerzlich ſtechenden Inſecten,<lb/> den Schnaken, Bienen u. ſ. w. und eckelhaft bei der ſtinkenden Wanze, der<lb/> trägen Laus. Von dem Inſtincte der Inſecten haben wir oben (§. 289, <hi rendition="#sub">2.</hi>)<lb/> ſchon geſprochen und gezeigt, warum ihr architectoniſcher und politiſcher<lb/> Trieb ſo hoch nicht zu ſtellen iſt, als es ſcheint, während er übrigens<lb/> immer in einem ländlich anmuthigen Ganzen eine anziehende Stelle ein-<lb/> nimmt. Viel höher ſteht ihre <hi rendition="#g">Liſt</hi> im Einzelnen: das ſich todt Stellen<lb/> des Käfers u. ſ. w. Aber auch dieß will nicht viel ſagen; ſie ſind und<lb/> bleiben dumme Thiere, dem Lichtreize willenlos Preis gegeben zappeln ſie<lb/> ſich an der Glasſcheibe todt, verbrennen im Lichte, ſtechen ohne Grund und<lb/> Noth u. ſ. w.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Wie ſie faſt nur als individualiſirte Luft erſcheinen, ſo klingen nun<lb/> auch die Töne, die ſie im Wohlgefühle des Lebens durch Reiben der<lb/> Flügeldeckel auf den Flügeln, durch die Bewegung dieſer im Fluge u. ſ. w.<lb/> hervorbringen, dieß unendliche Summen an ſchönen Frühlings- und Sommer-<lb/> tagen, wie eine allgemeine Stimme aus unſichtbarem Munde, womit die<lb/> Schöpfung ſich ſelbſt den Segen der Wärme erzählt. Wie ſchöne Motive<lb/> ſich da finden laſſen, zeigt <hi rendition="#g">Anakreons</hi> Lied an die Cicade. Doch iſt es<lb/> mehr die Vielheit der Inſectenwelt, welche bekanntlich an Menge der<lb/> Individuen und Gattungen faſt unüberſehlich iſt, was in die äſthetiſche<lb/> Betrachtung fällt. Das einzelne Inſect kann um ſeiner Kleinheit willen<lb/> nur eben den Stoff zu einem ſolchen kleinen Liedchen oder zu irgend einem<lb/> Nebenmotiv geben. In Maſſe aber ſind die Inſecten theils auf die<lb/> genannte Weiſe ein allgemeiner Schmuck der Landſchaft, theils können ſie<lb/> als Landplagen wahrhaft furchtbar werden. Prophet <hi rendition="#g">Joel</hi>.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 295.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Es gilt aber im Grunde von allen Thieren dieſer Vorſtufe, daß ſie<lb/> weniger als Individuen, denn in Maſſen als allgemeine Belebung eines Elements<lb/> äſthetiſche Bedeutung haben. Selbſtändige Geltung des Individuums tritt erſt<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [124/0136]
Wie ſchon geſagt, ſtehen nun die Inſecten wie durch die ſtrenge
Beſtimmtheit ihrer Geſtalt, ſo auch durch ihre ſeeliſchen Eigenſchaften
am höchſten unter den niederen Thieren. Sie ſind höchſt rührig, immer
bewegt, die allgemeinen Durchwühler, Umkrabbler, Umflatterer, die
individualiſirte Luft, die Alles umwebt, in Alles eindringt; leidenſchaftlich,
luſtig, wollüſtig, zornig, höchſt blutdürſtig, wie denn unter den Raubkäfern
z. B. die Laufkäfer wahre Tiger der Inſektenwelt ſind; zudringlich, eigen-
ſinnig, impertinent, nickelhaft. Es gibt noch zu lachen, wenn die Fliege
hundertmal weggejagt hundertmal auf dieſelbe Stelle ſitzt, wenn der Floh
mit ſeinem verhältnißmäßig ungeheuren Sprunge des Jägers ſpottet, es
wird aber die Frechheit ſchon läſtig bei den ſchmerzlich ſtechenden Inſecten,
den Schnaken, Bienen u. ſ. w. und eckelhaft bei der ſtinkenden Wanze, der
trägen Laus. Von dem Inſtincte der Inſecten haben wir oben (§. 289, 2.)
ſchon geſprochen und gezeigt, warum ihr architectoniſcher und politiſcher
Trieb ſo hoch nicht zu ſtellen iſt, als es ſcheint, während er übrigens
immer in einem ländlich anmuthigen Ganzen eine anziehende Stelle ein-
nimmt. Viel höher ſteht ihre Liſt im Einzelnen: das ſich todt Stellen
des Käfers u. ſ. w. Aber auch dieß will nicht viel ſagen; ſie ſind und
bleiben dumme Thiere, dem Lichtreize willenlos Preis gegeben zappeln ſie
ſich an der Glasſcheibe todt, verbrennen im Lichte, ſtechen ohne Grund und
Noth u. ſ. w.
Wie ſie faſt nur als individualiſirte Luft erſcheinen, ſo klingen nun
auch die Töne, die ſie im Wohlgefühle des Lebens durch Reiben der
Flügeldeckel auf den Flügeln, durch die Bewegung dieſer im Fluge u. ſ. w.
hervorbringen, dieß unendliche Summen an ſchönen Frühlings- und Sommer-
tagen, wie eine allgemeine Stimme aus unſichtbarem Munde, womit die
Schöpfung ſich ſelbſt den Segen der Wärme erzählt. Wie ſchöne Motive
ſich da finden laſſen, zeigt Anakreons Lied an die Cicade. Doch iſt es
mehr die Vielheit der Inſectenwelt, welche bekanntlich an Menge der
Individuen und Gattungen faſt unüberſehlich iſt, was in die äſthetiſche
Betrachtung fällt. Das einzelne Inſect kann um ſeiner Kleinheit willen
nur eben den Stoff zu einem ſolchen kleinen Liedchen oder zu irgend einem
Nebenmotiv geben. In Maſſe aber ſind die Inſecten theils auf die
genannte Weiſe ein allgemeiner Schmuck der Landſchaft, theils können ſie
als Landplagen wahrhaft furchtbar werden. Prophet Joel.
§. 295.
Es gilt aber im Grunde von allen Thieren dieſer Vorſtufe, daß ſie
weniger als Individuen, denn in Maſſen als allgemeine Belebung eines Elements
äſthetiſche Bedeutung haben. Selbſtändige Geltung des Individuums tritt erſt
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