Menge der Organe. Das unterscheidend Eigene ist die Theilung des Körpers in Kopf, Brust und Bauch, welche so über die Einheit herrscht, daß diese drei Theile nur durch einen Faden wie beiläufig verbunden erscheinen. Zwei Fühlhörner sitzen am Kopf, drei Fußpaare und bei den meisten zwei bis vier Flügel an der Brust. Zum erstenmale tritt nun durchgängig der Grundtypus des Thiers auf: eine länglichte gerundete Last auf die Bewegungsorgane der Füße als ihre Unterlage horizontal gestellt. Diese Gestalt ist nun aber trotz der Einfachheit, auf welche das verworrene Krustenthier jetzt zurückgeführt erscheint, wesentlich häßlich, weil das Auge durchaus die abrundende Vermittlung sowohl zwischen den Hauptsystemen, als auch zwischen ihnen und den dünnen, wie von außen eingelenkten Bewegungs-Organen vermißt. Dagegen ist die Metamor- phose von der Raupe bis zum eigentlichen Insect von jeher Stoff ahnungs- voller Vergleichungen für den menschlichen Geist gewesen, freilich auch bis zur ermüdenden Trivialität. Ferner verdeckt die ungemeine Farbenpracht, welche über Schmetterlinge und Käfer verbreitet ist und alle Arten des Glanzes, Schmelzes, des Sammtenen, des Gefleckten, Bunten durchläuft, jene Häßlichkeit der allzuscharf eingeschnittenen Gestalt. Dazu kommt theilweise die Bewegung. Der Flug des Schmetterlings ist verschiedenartig wie bei den Vögeln, schießend, rudernd, kreisend u. s. w., reizend besonders das wählige Auf- und Zuschlagen der Flügel, wenn er am Boden sitzt, wobei er seine Schönheit zeigen zu wollen scheint. Schmetterlinge gleichen frei gewordenen Blumen, und wenn überhaupt die wirbellosen Thiere im Allgemeinen, nicht blos die Zoophyten, pflanzenhaft erscheinen, so wird man auch bei dieser beweglichsten Klasse derselben durchaus und gerade am meisten an die Pflanze erinnert. Freilich erscheint die Pflanze frisch, feucht, thauig; das Insect aber sieht trocken aus, man sieht seiner Ober- fläche nichts von der Säftethätigkeit an, es hat etwas Papierenes, Gläsernes, Staubiges. Doch erscheint es in Form und Farbe immer Blatt- Stengel- und Blüthenartig. Die Thätigkeit der Pflanze vertheilt sich übrigens durch die Metamorphose so, daß der Raupe mehr die Ernährung, dem entwickelten Insecte mehr die Fortpflanzung zukommt; auch diese gehört aber noch zum Vegetabilischen und außer den übrigen Formen zeigt noch immer der sackartige Leib auch durch seine Masse die Pflanzenbestimmung an. Doch ist dieser verdeckt oder wenigstens das widerlich Weiche desselben durch Flügel und Flügeldecken verborgen. Solider, gedrungener als die übrigen Insecten erscheint der Käfer; er sieht durch seine harten Schaalen wie ein bepanzerter Krieger aus, die Hörner, zu denen sich seine Zangen verfestigen, erreichen solche Größe, daß diese Bewaffnung um so mehr komisch wirkt, je kleiner das Thier selbst im Verhältniß zu diesen furchtbaren Werk- zeugen ist.
Menge der Organe. Das unterſcheidend Eigene iſt die Theilung des Körpers in Kopf, Bruſt und Bauch, welche ſo über die Einheit herrſcht, daß dieſe drei Theile nur durch einen Faden wie beiläufig verbunden erſcheinen. Zwei Fühlhörner ſitzen am Kopf, drei Fußpaare und bei den meiſten zwei bis vier Flügel an der Bruſt. Zum erſtenmale tritt nun durchgängig der Grundtypus des Thiers auf: eine länglichte gerundete Laſt auf die Bewegungsorgane der Füße als ihre Unterlage horizontal geſtellt. Dieſe Geſtalt iſt nun aber trotz der Einfachheit, auf welche das verworrene Kruſtenthier jetzt zurückgeführt erſcheint, weſentlich häßlich, weil das Auge durchaus die abrundende Vermittlung ſowohl zwiſchen den Hauptſyſtemen, als auch zwiſchen ihnen und den dünnen, wie von außen eingelenkten Bewegungs-Organen vermißt. Dagegen iſt die Metamor- phoſe von der Raupe bis zum eigentlichen Inſect von jeher Stoff ahnungs- voller Vergleichungen für den menſchlichen Geiſt geweſen, freilich auch bis zur ermüdenden Trivialität. Ferner verdeckt die ungemeine Farbenpracht, welche über Schmetterlinge und Käfer verbreitet iſt und alle Arten des Glanzes, Schmelzes, des Sammtenen, des Gefleckten, Bunten durchläuft, jene Häßlichkeit der allzuſcharf eingeſchnittenen Geſtalt. Dazu kommt theilweiſe die Bewegung. Der Flug des Schmetterlings iſt verſchiedenartig wie bei den Vögeln, ſchießend, rudernd, kreiſend u. ſ. w., reizend beſonders das wählige Auf- und Zuſchlagen der Flügel, wenn er am Boden ſitzt, wobei er ſeine Schönheit zeigen zu wollen ſcheint. Schmetterlinge gleichen frei gewordenen Blumen, und wenn überhaupt die wirbelloſen Thiere im Allgemeinen, nicht blos die Zoophyten, pflanzenhaft erſcheinen, ſo wird man auch bei dieſer beweglichſten Klaſſe derſelben durchaus und gerade am meiſten an die Pflanze erinnert. Freilich erſcheint die Pflanze friſch, feucht, thauig; das Inſect aber ſieht trocken aus, man ſieht ſeiner Ober- fläche nichts von der Säftethätigkeit an, es hat etwas Papierenes, Gläſernes, Staubiges. Doch erſcheint es in Form und Farbe immer Blatt- Stengel- und Blüthenartig. Die Thätigkeit der Pflanze vertheilt ſich übrigens durch die Metamorphoſe ſo, daß der Raupe mehr die Ernährung, dem entwickelten Inſecte mehr die Fortpflanzung zukommt; auch dieſe gehört aber noch zum Vegetabiliſchen und außer den übrigen Formen zeigt noch immer der ſackartige Leib auch durch ſeine Maſſe die Pflanzenbeſtimmung an. Doch iſt dieſer verdeckt oder wenigſtens das widerlich Weiche deſſelben durch Flügel und Flügeldecken verborgen. Solider, gedrungener als die übrigen Inſecten erſcheint der Käfer; er ſieht durch ſeine harten Schaalen wie ein bepanzerter Krieger aus, die Hörner, zu denen ſich ſeine Zangen verfeſtigen, erreichen ſolche Größe, daß dieſe Bewaffnung um ſo mehr komiſch wirkt, je kleiner das Thier ſelbſt im Verhältniß zu dieſen furchtbaren Werk- zeugen iſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0135"n="123"/>
Menge der Organe. Das unterſcheidend Eigene iſt die Theilung des<lb/>
Körpers in Kopf, Bruſt und Bauch, welche ſo über die Einheit herrſcht,<lb/>
daß dieſe drei Theile nur durch einen Faden wie beiläufig verbunden<lb/>
erſcheinen. Zwei Fühlhörner ſitzen am Kopf, drei Fußpaare und bei den<lb/>
meiſten zwei bis vier Flügel an der Bruſt. Zum erſtenmale tritt nun<lb/>
durchgängig der Grundtypus des Thiers auf: eine länglichte gerundete<lb/>
Laſt auf die Bewegungsorgane der Füße als ihre Unterlage horizontal<lb/>
geſtellt. Dieſe Geſtalt iſt nun aber trotz der Einfachheit, auf welche das<lb/>
verworrene Kruſtenthier jetzt zurückgeführt erſcheint, weſentlich häßlich, weil<lb/>
das Auge durchaus die abrundende Vermittlung ſowohl zwiſchen den<lb/>
Hauptſyſtemen, als auch zwiſchen ihnen und den dünnen, wie von außen<lb/>
eingelenkten Bewegungs-Organen vermißt. Dagegen iſt die Metamor-<lb/>
phoſe von der Raupe bis zum eigentlichen Inſect von jeher Stoff ahnungs-<lb/>
voller Vergleichungen für den menſchlichen Geiſt geweſen, freilich auch bis<lb/>
zur ermüdenden Trivialität. Ferner verdeckt die ungemeine Farbenpracht,<lb/>
welche über Schmetterlinge und Käfer verbreitet iſt und alle Arten des<lb/>
Glanzes, Schmelzes, des Sammtenen, des Gefleckten, Bunten durchläuft,<lb/>
jene Häßlichkeit der allzuſcharf eingeſchnittenen Geſtalt. Dazu kommt<lb/>
theilweiſe die Bewegung. Der Flug des Schmetterlings iſt verſchiedenartig<lb/>
wie bei den Vögeln, ſchießend, rudernd, kreiſend u. ſ. w., reizend beſonders<lb/>
das wählige Auf- und Zuſchlagen der Flügel, wenn er am Boden ſitzt,<lb/>
wobei er ſeine Schönheit zeigen zu wollen ſcheint. Schmetterlinge gleichen<lb/>
frei gewordenen Blumen, und wenn überhaupt die wirbelloſen Thiere im<lb/>
Allgemeinen, nicht blos die Zoophyten, pflanzenhaft erſcheinen, ſo wird<lb/>
man auch bei dieſer beweglichſten Klaſſe derſelben durchaus und gerade<lb/>
am meiſten an die Pflanze erinnert. Freilich erſcheint die Pflanze friſch,<lb/>
feucht, thauig; das Inſect aber ſieht trocken aus, man ſieht ſeiner Ober-<lb/>
fläche nichts von der Säftethätigkeit an, es hat etwas Papierenes, Gläſernes,<lb/>
Staubiges. Doch erſcheint es in Form und Farbe immer Blatt- Stengel-<lb/>
und Blüthenartig. Die Thätigkeit der Pflanze vertheilt ſich übrigens durch<lb/>
die Metamorphoſe ſo, daß der Raupe mehr die Ernährung, dem entwickelten<lb/>
Inſecte mehr die Fortpflanzung zukommt; auch dieſe gehört aber noch<lb/>
zum Vegetabiliſchen und außer den übrigen Formen zeigt noch immer der<lb/>ſackartige Leib auch durch ſeine Maſſe die Pflanzenbeſtimmung an. Doch<lb/>
iſt dieſer verdeckt oder wenigſtens das widerlich Weiche deſſelben durch<lb/>
Flügel und Flügeldecken verborgen. Solider, gedrungener als die übrigen<lb/>
Inſecten erſcheint der Käfer; er ſieht durch ſeine harten Schaalen wie ein<lb/>
bepanzerter Krieger aus, die Hörner, zu denen ſich ſeine Zangen verfeſtigen,<lb/>
erreichen ſolche Größe, daß dieſe Bewaffnung um ſo mehr komiſch wirkt,<lb/>
je kleiner das Thier ſelbſt im Verhältniß zu dieſen furchtbaren Werk-<lb/>
zeugen iſt.</hi></p><lb/></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[123/0135]
Menge der Organe. Das unterſcheidend Eigene iſt die Theilung des
Körpers in Kopf, Bruſt und Bauch, welche ſo über die Einheit herrſcht,
daß dieſe drei Theile nur durch einen Faden wie beiläufig verbunden
erſcheinen. Zwei Fühlhörner ſitzen am Kopf, drei Fußpaare und bei den
meiſten zwei bis vier Flügel an der Bruſt. Zum erſtenmale tritt nun
durchgängig der Grundtypus des Thiers auf: eine länglichte gerundete
Laſt auf die Bewegungsorgane der Füße als ihre Unterlage horizontal
geſtellt. Dieſe Geſtalt iſt nun aber trotz der Einfachheit, auf welche das
verworrene Kruſtenthier jetzt zurückgeführt erſcheint, weſentlich häßlich, weil
das Auge durchaus die abrundende Vermittlung ſowohl zwiſchen den
Hauptſyſtemen, als auch zwiſchen ihnen und den dünnen, wie von außen
eingelenkten Bewegungs-Organen vermißt. Dagegen iſt die Metamor-
phoſe von der Raupe bis zum eigentlichen Inſect von jeher Stoff ahnungs-
voller Vergleichungen für den menſchlichen Geiſt geweſen, freilich auch bis
zur ermüdenden Trivialität. Ferner verdeckt die ungemeine Farbenpracht,
welche über Schmetterlinge und Käfer verbreitet iſt und alle Arten des
Glanzes, Schmelzes, des Sammtenen, des Gefleckten, Bunten durchläuft,
jene Häßlichkeit der allzuſcharf eingeſchnittenen Geſtalt. Dazu kommt
theilweiſe die Bewegung. Der Flug des Schmetterlings iſt verſchiedenartig
wie bei den Vögeln, ſchießend, rudernd, kreiſend u. ſ. w., reizend beſonders
das wählige Auf- und Zuſchlagen der Flügel, wenn er am Boden ſitzt,
wobei er ſeine Schönheit zeigen zu wollen ſcheint. Schmetterlinge gleichen
frei gewordenen Blumen, und wenn überhaupt die wirbelloſen Thiere im
Allgemeinen, nicht blos die Zoophyten, pflanzenhaft erſcheinen, ſo wird
man auch bei dieſer beweglichſten Klaſſe derſelben durchaus und gerade
am meiſten an die Pflanze erinnert. Freilich erſcheint die Pflanze friſch,
feucht, thauig; das Inſect aber ſieht trocken aus, man ſieht ſeiner Ober-
fläche nichts von der Säftethätigkeit an, es hat etwas Papierenes, Gläſernes,
Staubiges. Doch erſcheint es in Form und Farbe immer Blatt- Stengel-
und Blüthenartig. Die Thätigkeit der Pflanze vertheilt ſich übrigens durch
die Metamorphoſe ſo, daß der Raupe mehr die Ernährung, dem entwickelten
Inſecte mehr die Fortpflanzung zukommt; auch dieſe gehört aber noch
zum Vegetabiliſchen und außer den übrigen Formen zeigt noch immer der
ſackartige Leib auch durch ſeine Maſſe die Pflanzenbeſtimmung an. Doch
iſt dieſer verdeckt oder wenigſtens das widerlich Weiche deſſelben durch
Flügel und Flügeldecken verborgen. Solider, gedrungener als die übrigen
Inſecten erſcheint der Käfer; er ſieht durch ſeine harten Schaalen wie ein
bepanzerter Krieger aus, die Hörner, zu denen ſich ſeine Zangen verfeſtigen,
erreichen ſolche Größe, daß dieſe Bewaffnung um ſo mehr komiſch wirkt,
je kleiner das Thier ſelbſt im Verhältniß zu dieſen furchtbaren Werk-
zeugen iſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/135>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.