Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
sich verkörpert und wiegte sich in seinem freien Elemente. Eigenthümlich ist,
ſich verkörpert und wiegte ſich in ſeinem freien Elemente. Eigenthümlich iſt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0148" n="136"/> ſich verkörpert und wiegte ſich in ſeinem freien Elemente. Eigenthümlich iſt,<lb/> daß die Vögel jederzeit dämoniſch erſchienen, wie die Schlangen, zukunftver-<lb/> kündend oder überhaupt geiſterhaft. Dieß ſcheint tief begründet; jedenfalls<lb/> wirkt der Flug theils als geheimnißvolle Bewegung überhaupt, wie beſon-<lb/> ders der ſehr geräuſchloſe nächtliche der Eulen, theils als überraſchendes<lb/> Auffliegen, Herfliegen u. ſ. w. zu dieſer Auffaſſung mit, dann der Aus-<lb/> druck der Stimme in Verbindung mit ihm. Die ſtets unruhige Seele<lb/> des heißblütigen Vogels ſpricht ſich aber in allen ſeinen übrigen Bewegungen<lb/> aus; er iſt immer unruhig, das iſt ein ewiges Nicken, Schwanz auf-<lb/> und nieder-Strecken, Herumlauſchen, Bücken, Aufrichten, Federn Auf-<lb/> pruſten und glatt Niederlegen, Plaudern, Zanken und Lieben. In dieſer<lb/> Leidenſchaftlichkeit beſonders zeigt ſich die Verwandtſchaft mit den Inſecten,<lb/> den niederen Luftthieren; nur daß ſie bei dem Vogel natürlich eine tiefere<lb/> Reſonanz hat und ſogar mit einer Selbſtgefälligkeit, Koketterie verbunden<lb/> erſcheint, deren das Inſect natürlich nicht fähig iſt. Auch durch den<lb/> techniſchen Trieb iſt der Vogel dem Inſect analog, durch den Bau des<lb/> Neſtes, eine Fertigkeit, die aber, wie ſchon geſagt, nicht zu hoch anzu-<lb/> ſchlagen iſt, denn nur das dem Elemente ſtrenger verſchriebene Thier baut<lb/> Häuſer; dahin gehört auch die ſtarke koſmiſche Abhängigkeit, Vorgefühl<lb/> der Tageszeit, des Wetters, der Jahreszeit, Zug und Strich; die Geſelligkeit<lb/> äußert ſich namentlich in den gemeinſchaftlichen Zügen nach Nahrung und<lb/> andern Himmelsſtrichen und dabei ſind die politiſchen Triebe merkwürdig.<lb/> Der Vogel iſt wie das Inſect mehr in Schaaren als einzeln ein äſthetiſcher<lb/> Gegenſtand. — Neben der Liebe zu den Jungen, welche ſchon ungleich höher<lb/> ſteht, muß noch die bei den meiſten Vogelgattungen herrſchende zeitweilige<lb/> Ehe als höherer Zug erwähnt werden. Die Anhänglichkeit an den<lb/> Menſchen als höchſter Zug hat freilich enge Grenzen, aber es iſt von<lb/> weſentlicher Bedeutung, daß in dieſer Thierwelt die erſten <hi rendition="#g">Hausthiere</hi><lb/> vorkommen. Was die Charaktere betrifft, ſo darf nur an die Thierſage<lb/> und Fabel erinnert werden, um zu zeigen, wie gut der Stoff iſt; Rabe,<lb/> Hahn, Pfau, Storch, Sperling und ſo manche andere Vögel ſind ent-<lb/> ſchiedene Charakter-Maſken. Vom Gattungstypus iſt aber die Individualität<lb/> zu unterſcheiden, die hier noch ausgeprägter, als bei vielen Säugethieren,<lb/> hervortritt; ein Vogel derſelben Gattung iſt in Temperament und Anlage<lb/> vom andern höchſt verſchieden. Gerade nun, weil die Vögel im höchſten<lb/> Grade Temperamentsthiere ſind, ſo iſt von ihnen wenig Intelligenz zu<lb/> erwarten: wie ſie nur bis auf einen Grad Hausthiere werden, ſo lernen<lb/> ſie auch nur mechaniſch Einiges ein; Liſt fehlt nicht, aber Verſtehen freier<lb/> menſchlicher Winke, vermittelterer außer ihrer Sphäre liegender Dinge<lb/> faſt ganz; die Vögel ſind dumm. Von der Stimme des Vogels war<lb/> bereits in §. 290 die Rede.</hi> </p> </div><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [136/0148]
ſich verkörpert und wiegte ſich in ſeinem freien Elemente. Eigenthümlich iſt,
daß die Vögel jederzeit dämoniſch erſchienen, wie die Schlangen, zukunftver-
kündend oder überhaupt geiſterhaft. Dieß ſcheint tief begründet; jedenfalls
wirkt der Flug theils als geheimnißvolle Bewegung überhaupt, wie beſon-
ders der ſehr geräuſchloſe nächtliche der Eulen, theils als überraſchendes
Auffliegen, Herfliegen u. ſ. w. zu dieſer Auffaſſung mit, dann der Aus-
druck der Stimme in Verbindung mit ihm. Die ſtets unruhige Seele
des heißblütigen Vogels ſpricht ſich aber in allen ſeinen übrigen Bewegungen
aus; er iſt immer unruhig, das iſt ein ewiges Nicken, Schwanz auf-
und nieder-Strecken, Herumlauſchen, Bücken, Aufrichten, Federn Auf-
pruſten und glatt Niederlegen, Plaudern, Zanken und Lieben. In dieſer
Leidenſchaftlichkeit beſonders zeigt ſich die Verwandtſchaft mit den Inſecten,
den niederen Luftthieren; nur daß ſie bei dem Vogel natürlich eine tiefere
Reſonanz hat und ſogar mit einer Selbſtgefälligkeit, Koketterie verbunden
erſcheint, deren das Inſect natürlich nicht fähig iſt. Auch durch den
techniſchen Trieb iſt der Vogel dem Inſect analog, durch den Bau des
Neſtes, eine Fertigkeit, die aber, wie ſchon geſagt, nicht zu hoch anzu-
ſchlagen iſt, denn nur das dem Elemente ſtrenger verſchriebene Thier baut
Häuſer; dahin gehört auch die ſtarke koſmiſche Abhängigkeit, Vorgefühl
der Tageszeit, des Wetters, der Jahreszeit, Zug und Strich; die Geſelligkeit
äußert ſich namentlich in den gemeinſchaftlichen Zügen nach Nahrung und
andern Himmelsſtrichen und dabei ſind die politiſchen Triebe merkwürdig.
Der Vogel iſt wie das Inſect mehr in Schaaren als einzeln ein äſthetiſcher
Gegenſtand. — Neben der Liebe zu den Jungen, welche ſchon ungleich höher
ſteht, muß noch die bei den meiſten Vogelgattungen herrſchende zeitweilige
Ehe als höherer Zug erwähnt werden. Die Anhänglichkeit an den
Menſchen als höchſter Zug hat freilich enge Grenzen, aber es iſt von
weſentlicher Bedeutung, daß in dieſer Thierwelt die erſten Hausthiere
vorkommen. Was die Charaktere betrifft, ſo darf nur an die Thierſage
und Fabel erinnert werden, um zu zeigen, wie gut der Stoff iſt; Rabe,
Hahn, Pfau, Storch, Sperling und ſo manche andere Vögel ſind ent-
ſchiedene Charakter-Maſken. Vom Gattungstypus iſt aber die Individualität
zu unterſcheiden, die hier noch ausgeprägter, als bei vielen Säugethieren,
hervortritt; ein Vogel derſelben Gattung iſt in Temperament und Anlage
vom andern höchſt verſchieden. Gerade nun, weil die Vögel im höchſten
Grade Temperamentsthiere ſind, ſo iſt von ihnen wenig Intelligenz zu
erwarten: wie ſie nur bis auf einen Grad Hausthiere werden, ſo lernen
ſie auch nur mechaniſch Einiges ein; Liſt fehlt nicht, aber Verſtehen freier
menſchlicher Winke, vermittelterer außer ihrer Sphäre liegender Dinge
faſt ganz; die Vögel ſind dumm. Von der Stimme des Vogels war
bereits in §. 290 die Rede.
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