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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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Erster Abschnitt.
Die objective Existenz des Schönen

oder
das Naturschöne.
§. 233.

Nachdem die Totalität der im allgemeinen Begriffe liegenden Momente
entwickelt ist, hebt sich, indem diese durch gegenseitige Negation ihre Trennung
ausgelöscht haben, die abstract logische Vermittlung auf und tritt der Begriff in
die erste Form seiner realen Existenz, in die Unmittelbarkeit des einfachen
Seins über. Dieses Gesetz begründet den Uebergang von der Metaphysik zur
Naturphilosophie und ebenso den Uebergang von der Metaphysik des Schönen
zu der Lehre vom Naturschönen. Sucht man dagegen den Grund dieses Ueber-
gangs in einem Willen, so wird die ganze Ordnung der Begriffe hier wie dort
verkehrt und dasjenige, welches voraussetzt, daß erst ein Anderes vor ihm sei,
gegen sein eigenes Wesen zuerst gesetzt. Die erste Form der Existenz des
Begriffs muß vielmehr das sein, was ohne Zuthun da ist und was vorausgehen
muß, damit ein Anderes, das durch Zuthun da ist, an ihm seine Grundlage
und sein Object habe. Diese erste Form aber ist das Unmittelbare, welches
sich zu dem Erkennenden als ein schlechthin Vorgefundenes verhält. So ist nun
die erste Weise der Existenz auch des Schönen dasjenige Dasein, welches ohne
Zuthun eines Willens, also eines Subjects, als schön einfach vorgefunden wird,
und dieses Dasein ist wesentlich ein objectives sowohl weil es ein vor-
gefundenes, als auch weil es, wie der Fortgang des Begriffs zeigen wird,
bestimmt ist, der vermittelten Existenz des Schönen, welche aus einem Willen
kommt, Ausgangspunkt und Stoff zu werden.

Der Uebergang vom reinen Gedanken zu dem realen Sein, wie
ihn die Philosophie auf dem Punkte des Fortgangs von der Metaphysik
zur Naturphilosophie zu vollziehen hat, kann nur auf den in §. 231, 3.
ausgesprochenen Begriff gegründet werden, daß der ganz erfüllte Begriff

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Erſter Abſchnitt.
Die objective Exiſtenz des Schönen

oder
das Naturſchöne.
§. 233.

Nachdem die Totalität der im allgemeinen Begriffe liegenden Momente
entwickelt iſt, hebt ſich, indem dieſe durch gegenſeitige Negation ihre Trennung
ausgelöſcht haben, die abſtract logiſche Vermittlung auf und tritt der Begriff in
die erſte Form ſeiner realen Exiſtenz, in die Unmittelbarkeit des einfachen
Seins über. Dieſes Geſetz begründet den Uebergang von der Metaphyſik zur
Naturphiloſophie und ebenſo den Uebergang von der Metaphyſik des Schönen
zu der Lehre vom Naturſchönen. Sucht man dagegen den Grund dieſes Ueber-
gangs in einem Willen, ſo wird die ganze Ordnung der Begriffe hier wie dort
verkehrt und dasjenige, welches vorausſetzt, daß erſt ein Anderes vor ihm ſei,
gegen ſein eigenes Weſen zuerſt geſetzt. Die erſte Form der Exiſtenz des
Begriffs muß vielmehr das ſein, was ohne Zuthun da iſt und was vorausgehen
muß, damit ein Anderes, das durch Zuthun da iſt, an ihm ſeine Grundlage
und ſein Object habe. Dieſe erſte Form aber iſt das Unmittelbare, welches
ſich zu dem Erkennenden als ein ſchlechthin Vorgefundenes verhält. So iſt nun
die erſte Weiſe der Exiſtenz auch des Schönen dasjenige Daſein, welches ohne
Zuthun eines Willens, alſo eines Subjects, als ſchön einfach vorgefunden wird,
und dieſes Daſein iſt weſentlich ein objectives ſowohl weil es ein vor-
gefundenes, als auch weil es, wie der Fortgang des Begriffs zeigen wird,
beſtimmt iſt, der vermittelten Exiſtenz des Schönen, welche aus einem Willen
kommt, Ausgangspunkt und Stoff zu werden.

Der Uebergang vom reinen Gedanken zu dem realen Sein, wie
ihn die Philoſophie auf dem Punkte des Fortgangs von der Metaphyſik
zur Naturphiloſophie zu vollziehen hat, kann nur auf den in §. 231, 3.
ausgeſprochenen Begriff gegründet werden, daß der ganz erfüllte Begriff

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[[3]/0015] Erſter Abſchnitt. Die objective Exiſtenz des Schönen oder das Naturſchöne. §. 233. Nachdem die Totalität der im allgemeinen Begriffe liegenden Momente entwickelt iſt, hebt ſich, indem dieſe durch gegenſeitige Negation ihre Trennung ausgelöſcht haben, die abſtract logiſche Vermittlung auf und tritt der Begriff in die erſte Form ſeiner realen Exiſtenz, in die Unmittelbarkeit des einfachen Seins über. Dieſes Geſetz begründet den Uebergang von der Metaphyſik zur Naturphiloſophie und ebenſo den Uebergang von der Metaphyſik des Schönen zu der Lehre vom Naturſchönen. Sucht man dagegen den Grund dieſes Ueber- gangs in einem Willen, ſo wird die ganze Ordnung der Begriffe hier wie dort verkehrt und dasjenige, welches vorausſetzt, daß erſt ein Anderes vor ihm ſei, gegen ſein eigenes Weſen zuerſt geſetzt. Die erſte Form der Exiſtenz des Begriffs muß vielmehr das ſein, was ohne Zuthun da iſt und was vorausgehen muß, damit ein Anderes, das durch Zuthun da iſt, an ihm ſeine Grundlage und ſein Object habe. Dieſe erſte Form aber iſt das Unmittelbare, welches ſich zu dem Erkennenden als ein ſchlechthin Vorgefundenes verhält. So iſt nun die erſte Weiſe der Exiſtenz auch des Schönen dasjenige Daſein, welches ohne Zuthun eines Willens, alſo eines Subjects, als ſchön einfach vorgefunden wird, und dieſes Daſein iſt weſentlich ein objectives ſowohl weil es ein vor- gefundenes, als auch weil es, wie der Fortgang des Begriffs zeigen wird, beſtimmt iſt, der vermittelten Exiſtenz des Schönen, welche aus einem Willen kommt, Ausgangspunkt und Stoff zu werden. Der Uebergang vom reinen Gedanken zu dem realen Sein, wie ihn die Philoſophie auf dem Punkte des Fortgangs von der Metaphyſik zur Naturphiloſophie zu vollziehen hat, kann nur auf den in §. 231, 3. ausgeſprochenen Begriff gegründet werden, daß der ganz erfüllte Begriff 1*

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/15>, abgerufen am 21.11.2024.