Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
abwärts zu führen scheinen. Allein das Verhältniß bleibt natürlich dasselbe, 2. Die ganze erste Gruppe stellt auch Oken niedriger, hauptsächlich
abwärts zu führen ſcheinen. Allein das Verhältniß bleibt natürlich daſſelbe, 2. Die ganze erſte Gruppe ſtellt auch Oken niedriger, hauptſächlich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0150" n="138"/> abwärts zu führen ſcheinen. Allein das Verhältniß bleibt natürlich daſſelbe,<lb/> die Aeſthetik kann auch hier ſo gut als die Naturwiſſenſchaft ihre Gründe<lb/> haben, das ſcheinbar wieder Niedrige dennoch höher zu ſetzen. So könnte es<lb/> zunächſt ſcheinen, als müßten wir vom äſthetiſchen Standpunkte die Luft-<lb/> vögel als die ſchönſten zu oberſt, alſo zuletzt ſtellen; allein die Eigenſchaften,<lb/> wodurch die Waſſer und Landvögel bei beziehungsweiſem Verluſte an Schön-<lb/> heit dennoch höher ſtehen, ſind ebenfalls äſthetiſche, wie? wird ſich zeigen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Die ganze erſte Gruppe ſtellt auch <hi rendition="#g">Oken</hi> niedriger, hauptſächlich<lb/> weil ſie nackt und blind aus dem Ei kommen und lange Zeit geätzt werden<lb/> müſſen, daher er ſie Neſthocker nennt. So anziehend es nun wäre, hier<lb/> die kleinere Vogelwelt näher zu betrachten, ſo muß doch der Kürze wegen<lb/> bei ihren allgemeinſten Eigenſchaften verweilt, ja es kann im Grunde nur<lb/> ihre allgemeine Bedeutung als Zierde der Luft in’s Auge gefaßt werden.<lb/> Was den Geſang betrifft, ſo hätten wir uns nun auf ſeine verſchiedenen<lb/> Arten einzulaſſen, müſſen aber aus demſelben Grunde auf die niedlichen<lb/> Unterſuchungen in <hi rendition="#g">Bechſteins</hi> Schrift über die Stubenvögel verweiſen. Die<lb/> Farbenpracht iſt am höchſten bei den Vögeln der heißen Zone, entſprechend<lb/> der Pflanzenwelt derſelben (vergl. §. 278); die Federn ſind überhaupt<lb/> pflanzenartig. Keine Schönheit der Farbe und des Glanzes iſt bei den<lb/> Vögeln geſpart; jede Farbe erſcheint ſowohl in ihrer einfachen Kraft, in<lb/> jeder ihrer Abſtufungen und Uebergänge, als auch jede in den verſchie-<lb/> denſten Uebergängen zu den andern, in jeder Art der Zeichnung: Punkten,<lb/> Augen, Ringen, Flecken, Bändern, Streifen u. ſ. w., der Glanz als<lb/> Perlmutterglanz, Seidenglanz, Metallglanz, Schillerglanz u. ſ. w. Die<lb/> zierliche Geſtalt iſt in beſtändiger Bewegung und die Naivetät derſelben<lb/> wird bei manchen durch ein Häubchen, einen Schopf, einen ſtets compli-<lb/> mentirenden Schweif erhöht. Am meiſten tritt der unruhige, leidenſchaft-<lb/> liche Vogelcharakter, der ſich überhaupt in dieſer Klaſſe am beſtimmteſten<lb/> ausſpricht, bei dem kleinſten Vogel, dem Kolibri, hervor. Beſtimmtere<lb/> Charaktere prägen ſich aber erſt bei den etwas größeren Gattungen aus,<lb/> bald in unheimlicher, bald in heimlicher, in beiden Fällen auch wieder in<lb/> komiſcher Weiſe: unter den Klettervögeln der ewig hämmernde, fleißige<lb/> Holzhauer Specht, im Krähengeſchlechte neben dem Hanswurſt von Staar<lb/> die geſchwätzige, diebiſche Elſter, der ebenfalls diebiſche, durch ſeine Schwärze<lb/> und als Aasfreſſer als unheimlich vorgeſtellte Rabe, unter den dickſchnäb-<lb/> lichen Pflanzenfreſſern der Sperling, dieſer Bauer und Freibeuter unter<lb/> den Vögeln, die ſchönſingenden Finken und Lerchen, die Taube, die in<lb/> Anſchlußfähigkeit an den Menſchen ſchon den Hühnern ſich nähert und als<lb/> der fromme Vogel berühmt iſt, unter den Kolbenſchnäblern der Papagei,<lb/> dieſer koketteſte, affenartigſte unter allen Vögeln, mit ſeiner fleiſchigen, zur<lb/> ſinnloſen Nachahmung der Sprache, ſelbſt zur Ausſprache des R geſchickten<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0150]
abwärts zu führen ſcheinen. Allein das Verhältniß bleibt natürlich daſſelbe,
die Aeſthetik kann auch hier ſo gut als die Naturwiſſenſchaft ihre Gründe
haben, das ſcheinbar wieder Niedrige dennoch höher zu ſetzen. So könnte es
zunächſt ſcheinen, als müßten wir vom äſthetiſchen Standpunkte die Luft-
vögel als die ſchönſten zu oberſt, alſo zuletzt ſtellen; allein die Eigenſchaften,
wodurch die Waſſer und Landvögel bei beziehungsweiſem Verluſte an Schön-
heit dennoch höher ſtehen, ſind ebenfalls äſthetiſche, wie? wird ſich zeigen.
2. Die ganze erſte Gruppe ſtellt auch Oken niedriger, hauptſächlich
weil ſie nackt und blind aus dem Ei kommen und lange Zeit geätzt werden
müſſen, daher er ſie Neſthocker nennt. So anziehend es nun wäre, hier
die kleinere Vogelwelt näher zu betrachten, ſo muß doch der Kürze wegen
bei ihren allgemeinſten Eigenſchaften verweilt, ja es kann im Grunde nur
ihre allgemeine Bedeutung als Zierde der Luft in’s Auge gefaßt werden.
Was den Geſang betrifft, ſo hätten wir uns nun auf ſeine verſchiedenen
Arten einzulaſſen, müſſen aber aus demſelben Grunde auf die niedlichen
Unterſuchungen in Bechſteins Schrift über die Stubenvögel verweiſen. Die
Farbenpracht iſt am höchſten bei den Vögeln der heißen Zone, entſprechend
der Pflanzenwelt derſelben (vergl. §. 278); die Federn ſind überhaupt
pflanzenartig. Keine Schönheit der Farbe und des Glanzes iſt bei den
Vögeln geſpart; jede Farbe erſcheint ſowohl in ihrer einfachen Kraft, in
jeder ihrer Abſtufungen und Uebergänge, als auch jede in den verſchie-
denſten Uebergängen zu den andern, in jeder Art der Zeichnung: Punkten,
Augen, Ringen, Flecken, Bändern, Streifen u. ſ. w., der Glanz als
Perlmutterglanz, Seidenglanz, Metallglanz, Schillerglanz u. ſ. w. Die
zierliche Geſtalt iſt in beſtändiger Bewegung und die Naivetät derſelben
wird bei manchen durch ein Häubchen, einen Schopf, einen ſtets compli-
mentirenden Schweif erhöht. Am meiſten tritt der unruhige, leidenſchaft-
liche Vogelcharakter, der ſich überhaupt in dieſer Klaſſe am beſtimmteſten
ausſpricht, bei dem kleinſten Vogel, dem Kolibri, hervor. Beſtimmtere
Charaktere prägen ſich aber erſt bei den etwas größeren Gattungen aus,
bald in unheimlicher, bald in heimlicher, in beiden Fällen auch wieder in
komiſcher Weiſe: unter den Klettervögeln der ewig hämmernde, fleißige
Holzhauer Specht, im Krähengeſchlechte neben dem Hanswurſt von Staar
die geſchwätzige, diebiſche Elſter, der ebenfalls diebiſche, durch ſeine Schwärze
und als Aasfreſſer als unheimlich vorgeſtellte Rabe, unter den dickſchnäb-
lichen Pflanzenfreſſern der Sperling, dieſer Bauer und Freibeuter unter
den Vögeln, die ſchönſingenden Finken und Lerchen, die Taube, die in
Anſchlußfähigkeit an den Menſchen ſchon den Hühnern ſich nähert und als
der fromme Vogel berühmt iſt, unter den Kolbenſchnäblern der Papagei,
dieſer koketteſte, affenartigſte unter allen Vögeln, mit ſeiner fleiſchigen, zur
ſinnloſen Nachahmung der Sprache, ſelbſt zur Ausſprache des R geſchickten
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