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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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sein kurzer und dicker Schnabel, seine Schwimmfüße den Ort zwischen
Schwimmvogel und Sumpfvogel anweisen.

3. Die dem Menschen eigentlich heimlichen Vögel sind die Hühner, die
Hofhühner nämlich, woneben allerdings das Wasserhuhn, das auf die vorher-
gehende Gruppe zurückweist und die nicht zähmbaren Feldhühner, das zierlich
trippelnde Rebhuhn, das schöne Waldhuhn (Auerhahn, Birkhahn) nicht
zu übersehen sind. Die äußere Gestalt erfreut bei einigen Gattungen
durch große Farbenpracht (Fasan, Pfau); übrigens kann man diese kurz-
füßigen, dickleibigen, klein- und nacktköpfigen, kurzschnäbligen Vögel nicht
eben schön nennen. Der Hahn zeichnet sich durch Kamm, Klunker, Trottel,
Federbusch, Sporn, durch die reichen Schwanzfedern aus, mit denen
Truthahn und Pfauhahn auch ein Rad schlagen können, und während
die ewige Gefräßigkeit der Henne überhaupt widerwärtig und nur ihre
Mutterliebe rührend ist, so gewährt nun der ganze, an menschliches Haus-
wesen angeschlossene Harem dieser polygamischen Vögel mit dem stolzirenden,
krähenden Sultan in der Mitte ein heiteres Bild.

Schon bei den Hühnern ist die Flugkraft sehr gering, die eigentlichen
Landvögel aber sind die des Flugs unfähigen Rennvögel (zu denen den
noch näheren Uebergang die Trappen bilden): Casuar und Strauß. Die
derben, fleischigen Füße, an denen die Hinterzehe verschwunden ist, dienen
als Waffe zum Ausschlagen und als Bewegungsorgane zu äußerst raschem
Rennen, wobei die kurzen Flügel nur als Ruder dienen. Im innern
Bau wird zugleich mit dieser Beschränkung Vieles säugthierartig und
insbesondere erinnern sie wie auch die Hühner vielfach an die massigen,
reproductiven Wiederkäuer. Auch die Federn werden schlaff und haarartig,
schön sind nur die Schwanzfedern. Die Mißgestalt liegt besonders in der
Kleinheit des Kopfes, der bei dem Casuar ein Horn trägt. Im Zorn
können sie furchtbar werden, sonst sind sie dumm, sanft, zähmbar, selt-
same Thiere, die durch ihre Situation am Ende einer Thierklasse, der
sie kaum mehr angehören, wie verschüchtert scheinen.

§. 306.

Im Landthiere werden die Flügel des Vogels zu Vorderfüßen und
legt sich nun, nicht ohne theilweisen Verlust an Schönheit und zunächst sich
aufdringende mechanischere Anordnung, aber ebensosehr zum größten Vortheile
allgemeiner Beweglichkeit und reicherer Modellirung, der Rumpf auf zwei Paare
von Bewegungs-Organen. Der Hauptfortschritt liegt in der vollständigen Ent-
wicklung der Sinne. Die Federn sind Haare geworden und diese nicht mit
brennenden Elementarfarben, sondern vielmehr mit "gemischten, durch organische
Kochung bezwungenen" Farben geschmückt. Der Gesang verschwindet, die

ſein kurzer und dicker Schnabel, ſeine Schwimmfüße den Ort zwiſchen
Schwimmvogel und Sumpfvogel anweiſen.

3. Die dem Menſchen eigentlich heimlichen Vögel ſind die Hühner, die
Hofhühner nämlich, woneben allerdings das Waſſerhuhn, das auf die vorher-
gehende Gruppe zurückweist und die nicht zähmbaren Feldhühner, das zierlich
trippelnde Rebhuhn, das ſchöne Waldhuhn (Auerhahn, Birkhahn) nicht
zu überſehen ſind. Die äußere Geſtalt erfreut bei einigen Gattungen
durch große Farbenpracht (Faſan, Pfau); übrigens kann man dieſe kurz-
füßigen, dickleibigen, klein- und nacktköpfigen, kurzſchnäbligen Vögel nicht
eben ſchön nennen. Der Hahn zeichnet ſich durch Kamm, Klunker, Trottel,
Federbuſch, Sporn, durch die reichen Schwanzfedern aus, mit denen
Truthahn und Pfauhahn auch ein Rad ſchlagen können, und während
die ewige Gefräßigkeit der Henne überhaupt widerwärtig und nur ihre
Mutterliebe rührend iſt, ſo gewährt nun der ganze, an menſchliches Haus-
weſen angeſchloſſene Harem dieſer polygamiſchen Vögel mit dem ſtolzirenden,
krähenden Sultan in der Mitte ein heiteres Bild.

Schon bei den Hühnern iſt die Flugkraft ſehr gering, die eigentlichen
Landvögel aber ſind die des Flugs unfähigen Rennvögel (zu denen den
noch näheren Uebergang die Trappen bilden): Caſuar und Strauß. Die
derben, fleiſchigen Füße, an denen die Hinterzehe verſchwunden iſt, dienen
als Waffe zum Ausſchlagen und als Bewegungsorgane zu äußerſt raſchem
Rennen, wobei die kurzen Flügel nur als Ruder dienen. Im innern
Bau wird zugleich mit dieſer Beſchränkung Vieles ſäugthierartig und
insbeſondere erinnern ſie wie auch die Hühner vielfach an die maſſigen,
reproductiven Wiederkäuer. Auch die Federn werden ſchlaff und haarartig,
ſchön ſind nur die Schwanzfedern. Die Mißgeſtalt liegt beſonders in der
Kleinheit des Kopfes, der bei dem Caſuar ein Horn trägt. Im Zorn
können ſie furchtbar werden, ſonſt ſind ſie dumm, ſanft, zähmbar, ſelt-
ſame Thiere, die durch ihre Situation am Ende einer Thierklaſſe, der
ſie kaum mehr angehören, wie verſchüchtert ſcheinen.

§. 306.

Im Landthiere werden die Flügel des Vogels zu Vorderfüßen und
legt ſich nun, nicht ohne theilweiſen Verluſt an Schönheit und zunächſt ſich
aufdringende mechaniſchere Anordnung, aber ebenſoſehr zum größten Vortheile
allgemeiner Beweglichkeit und reicherer Modellirung, der Rumpf auf zwei Paare
von Bewegungs-Organen. Der Hauptfortſchritt liegt in der vollſtändigen Ent-
wicklung der Sinne. Die Federn ſind Haare geworden und dieſe nicht mit
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Kochung bezwungenen“ Farben geſchmückt. Der Geſang verſchwindet, die

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[141/0153] ſein kurzer und dicker Schnabel, ſeine Schwimmfüße den Ort zwiſchen Schwimmvogel und Sumpfvogel anweiſen. 3. Die dem Menſchen eigentlich heimlichen Vögel ſind die Hühner, die Hofhühner nämlich, woneben allerdings das Waſſerhuhn, das auf die vorher- gehende Gruppe zurückweist und die nicht zähmbaren Feldhühner, das zierlich trippelnde Rebhuhn, das ſchöne Waldhuhn (Auerhahn, Birkhahn) nicht zu überſehen ſind. Die äußere Geſtalt erfreut bei einigen Gattungen durch große Farbenpracht (Faſan, Pfau); übrigens kann man dieſe kurz- füßigen, dickleibigen, klein- und nacktköpfigen, kurzſchnäbligen Vögel nicht eben ſchön nennen. Der Hahn zeichnet ſich durch Kamm, Klunker, Trottel, Federbuſch, Sporn, durch die reichen Schwanzfedern aus, mit denen Truthahn und Pfauhahn auch ein Rad ſchlagen können, und während die ewige Gefräßigkeit der Henne überhaupt widerwärtig und nur ihre Mutterliebe rührend iſt, ſo gewährt nun der ganze, an menſchliches Haus- weſen angeſchloſſene Harem dieſer polygamiſchen Vögel mit dem ſtolzirenden, krähenden Sultan in der Mitte ein heiteres Bild. Schon bei den Hühnern iſt die Flugkraft ſehr gering, die eigentlichen Landvögel aber ſind die des Flugs unfähigen Rennvögel (zu denen den noch näheren Uebergang die Trappen bilden): Caſuar und Strauß. Die derben, fleiſchigen Füße, an denen die Hinterzehe verſchwunden iſt, dienen als Waffe zum Ausſchlagen und als Bewegungsorgane zu äußerſt raſchem Rennen, wobei die kurzen Flügel nur als Ruder dienen. Im innern Bau wird zugleich mit dieſer Beſchränkung Vieles ſäugthierartig und insbeſondere erinnern ſie wie auch die Hühner vielfach an die maſſigen, reproductiven Wiederkäuer. Auch die Federn werden ſchlaff und haarartig, ſchön ſind nur die Schwanzfedern. Die Mißgeſtalt liegt beſonders in der Kleinheit des Kopfes, der bei dem Caſuar ein Horn trägt. Im Zorn können ſie furchtbar werden, ſonſt ſind ſie dumm, ſanft, zähmbar, ſelt- ſame Thiere, die durch ihre Situation am Ende einer Thierklaſſe, der ſie kaum mehr angehören, wie verſchüchtert ſcheinen. §. 306. Im Landthiere werden die Flügel des Vogels zu Vorderfüßen und legt ſich nun, nicht ohne theilweiſen Verluſt an Schönheit und zunächſt ſich aufdringende mechaniſchere Anordnung, aber ebenſoſehr zum größten Vortheile allgemeiner Beweglichkeit und reicherer Modellirung, der Rumpf auf zwei Paare von Bewegungs-Organen. Der Hauptfortſchritt liegt in der vollſtändigen Ent- wicklung der Sinne. Die Federn ſind Haare geworden und dieſe nicht mit brennenden Elementarfarben, ſondern vielmehr mit „gemiſchten, durch organiſche Kochung bezwungenen“ Farben geſchmückt. Der Geſang verſchwindet, die

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/153>, abgerufen am 22.11.2024.