edlere Organisation dieses Thiers zeigt sich nun sogleich in der Stellung des Kopfs: er steht in spitzem Winkel zum Halse, eine Linie, die immer bedeutender ist, denn sie bedingt freieres Umschauen und nähert dem Menschen (daher auch die Eulen höher stehen, als die übrigen Raubvögel). Bei den Mäusen steht der Kopf fast in gleicher Linie mit dem Halse; bei den Schweinen, den Elephanten ausgenommen, ebenfalls, bei den Rindern zwar fast senkrecht, aber von oben bildet der kurze Hals mit ihm einen stumpfen Winkel, ebenso bei den Schaafen; bei Ziegen und Hirschen strebt der Hals auf, aber der Kopf steht fast wagrecht hinaus und so entsteht ebenfalls ein stumpfer Winkel. Die Pferde edleren Schlags dagegen tragen den Kopf fast senkrecht, indem der Mund gegen den Hals sich hereingibt. Was den Ausdruck betrifft, so sieht derselbe nicht sowohl, was man so nennt, gescheut aus, als vielmehr empfindungsreich, oder wenn das Wort erlaubt ist, geistreich, phantasiereich. Der Hals ist voller, als bei dem Hirsche, und geht in die schönere Linie des Schwanen- halses über, die Brust ist breiter, an dem kräftiger ausgerundeten, glatt- haarigen Leibe sind besonders die Oberschenkel von kräftig geschwungener Form, die gelenkigen Füße sind stärker, doch immer noch zierlich. Die Bewegung ist schwebend, das Thier wiegt sich tanzend wie in Schwungfedern; sie ist mannigfach und verändert das Tempo im Trab, Paß, Galopp, Carriere. Jedes Auge muß sich am rhythmischen Takte des stolzen Galopps erfreuen. Besonders schön ist bei dem Pferde der Satz oder Sprung, wo es zuerst gemsenartig die Hinterfüße eingezogen unter den Leib stellt, dann sich emporschnellt und mit zurück an den Leib gezogenen Vorderfüßen, flach ausgestreckten Hinterfüßen hinfliegt. Kein vierfüßiges Thier bäumt sich so stolz, als das Pferd. Viele erklären das Pferd für das schönste Thier. Die Gestalt der höheren Thiere verliert allerdings Manches im Schwunge der Formen, sie werden weicher, unbestimmter, weniger fest ausgefüllt, gediegen und stählern; aber es kommt auch bei der Schönheit auf den Ausdruck an und zwar wie er sich auf alle Organe als viel- seitigere Fähigkeit erstreckt; wir müssen nicht nur der Plastik, sondern auch der Malerei, nicht nur dieser, sondern auch der Dichtkunst den Stoff vor- bereiten. Das Pferd ist übrigens auch in seinen Racen-Unterschieden um so wichtiger, weil sie Zeugniß geben, daß es ein Culturthier ist, das in steter Begleitung des Menschen seine Formen nicht nur durch Einfluß des Klima's, sondern noch mehr der Zucht, der Pflege, der Dienstverwendung je nach den verschiedenen Zwecken, geschichtlichen, politischen Bedingungen (Jagd, Krieg, Frieden, Bewaffnungsart, Taktik u. s. w.) vermannigfacht, verändert hat. Manche Formen verschwinden durch Wechsel des Geschmacks fast ganz, wie z. B. die spanische Race, die noch im vorigen Jahrhundert so beliebt war und die wohldressirtesten Schulpferde abgab; so ist es auch
edlere Organiſation dieſes Thiers zeigt ſich nun ſogleich in der Stellung des Kopfs: er ſteht in ſpitzem Winkel zum Halſe, eine Linie, die immer bedeutender iſt, denn ſie bedingt freieres Umſchauen und nähert dem Menſchen (daher auch die Eulen höher ſtehen, als die übrigen Raubvögel). Bei den Mäuſen ſteht der Kopf faſt in gleicher Linie mit dem Halſe; bei den Schweinen, den Elephanten ausgenommen, ebenfalls, bei den Rindern zwar faſt ſenkrecht, aber von oben bildet der kurze Hals mit ihm einen ſtumpfen Winkel, ebenſo bei den Schaafen; bei Ziegen und Hirſchen ſtrebt der Hals auf, aber der Kopf ſteht faſt wagrecht hinaus und ſo entſteht ebenfalls ein ſtumpfer Winkel. Die Pferde edleren Schlags dagegen tragen den Kopf faſt ſenkrecht, indem der Mund gegen den Hals ſich hereingibt. Was den Ausdruck betrifft, ſo ſieht derſelbe nicht ſowohl, was man ſo nennt, geſcheut aus, als vielmehr empfindungsreich, oder wenn das Wort erlaubt iſt, geiſtreich, phantaſiereich. Der Hals iſt voller, als bei dem Hirſche, und geht in die ſchönere Linie des Schwanen- halſes über, die Bruſt iſt breiter, an dem kräftiger ausgerundeten, glatt- haarigen Leibe ſind beſonders die Oberſchenkel von kräftig geſchwungener Form, die gelenkigen Füße ſind ſtärker, doch immer noch zierlich. Die Bewegung iſt ſchwebend, das Thier wiegt ſich tanzend wie in Schwungfedern; ſie iſt mannigfach und verändert das Tempo im Trab, Paß, Galopp, Carriere. Jedes Auge muß ſich am rhythmiſchen Takte des ſtolzen Galopps erfreuen. Beſonders ſchön iſt bei dem Pferde der Satz oder Sprung, wo es zuerſt gemſenartig die Hinterfüße eingezogen unter den Leib ſtellt, dann ſich emporſchnellt und mit zurück an den Leib gezogenen Vorderfüßen, flach ausgeſtreckten Hinterfüßen hinfliegt. Kein vierfüßiges Thier bäumt ſich ſo ſtolz, als das Pferd. Viele erklären das Pferd für das ſchönſte Thier. Die Geſtalt der höheren Thiere verliert allerdings Manches im Schwunge der Formen, ſie werden weicher, unbeſtimmter, weniger feſt ausgefüllt, gediegen und ſtählern; aber es kommt auch bei der Schönheit auf den Ausdruck an und zwar wie er ſich auf alle Organe als viel- ſeitigere Fähigkeit erſtreckt; wir müſſen nicht nur der Plaſtik, ſondern auch der Malerei, nicht nur dieſer, ſondern auch der Dichtkunſt den Stoff vor- bereiten. Das Pferd iſt übrigens auch in ſeinen Racen-Unterſchieden um ſo wichtiger, weil ſie Zeugniß geben, daß es ein Culturthier iſt, das in ſteter Begleitung des Menſchen ſeine Formen nicht nur durch Einfluß des Klima’s, ſondern noch mehr der Zucht, der Pflege, der Dienſtverwendung je nach den verſchiedenen Zwecken, geſchichtlichen, politiſchen Bedingungen (Jagd, Krieg, Frieden, Bewaffnungsart, Taktik u. ſ. w.) vermannigfacht, verändert hat. Manche Formen verſchwinden durch Wechſel des Geſchmacks faſt ganz, wie z. B. die ſpaniſche Race, die noch im vorigen Jahrhundert ſo beliebt war und die wohldreſſirteſten Schulpferde abgab; ſo iſt es auch
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edlere Organiſation dieſes Thiers zeigt ſich nun ſogleich in der Stellung
des Kopfs: er ſteht in ſpitzem Winkel zum Halſe, eine Linie, die immer
bedeutender iſt, denn ſie bedingt freieres Umſchauen und nähert dem Menſchen
(daher auch die Eulen höher ſtehen, als die übrigen Raubvögel). Bei
den Mäuſen ſteht der Kopf faſt in gleicher Linie mit dem Halſe; bei den
Schweinen, den Elephanten ausgenommen, ebenfalls, bei den Rindern
zwar faſt ſenkrecht, aber von oben bildet der kurze Hals mit ihm einen
ſtumpfen Winkel, ebenſo bei den Schaafen; bei Ziegen und Hirſchen ſtrebt
der Hals auf, aber der Kopf ſteht faſt wagrecht hinaus und ſo entſteht
ebenfalls ein ſtumpfer Winkel. Die Pferde edleren Schlags dagegen
tragen den Kopf faſt ſenkrecht, indem der Mund gegen den Hals ſich
hereingibt. Was den Ausdruck betrifft, ſo ſieht derſelbe nicht ſowohl,
was man ſo nennt, geſcheut aus, als vielmehr empfindungsreich, oder
wenn das Wort erlaubt iſt, geiſtreich, phantaſiereich. Der Hals iſt
voller, als bei dem Hirſche, und geht in die ſchönere Linie des Schwanen-
halſes über, die Bruſt iſt breiter, an dem kräftiger ausgerundeten, glatt-
haarigen Leibe ſind beſonders die Oberſchenkel von kräftig geſchwungener
Form, die gelenkigen Füße ſind ſtärker, doch immer noch zierlich. Die
Bewegung iſt ſchwebend, das Thier wiegt ſich tanzend wie in Schwungfedern;
ſie iſt mannigfach und verändert das Tempo im Trab, Paß, Galopp,
Carriere. Jedes Auge muß ſich am rhythmiſchen Takte des ſtolzen Galopps
erfreuen. Beſonders ſchön iſt bei dem Pferde der Satz oder Sprung, wo
es zuerſt gemſenartig die Hinterfüße eingezogen unter den Leib ſtellt,
dann ſich emporſchnellt und mit zurück an den Leib gezogenen Vorderfüßen,
flach ausgeſtreckten Hinterfüßen hinfliegt. Kein vierfüßiges Thier bäumt
ſich ſo ſtolz, als das Pferd. Viele erklären das Pferd für das ſchönſte
Thier. Die Geſtalt der höheren Thiere verliert allerdings Manches im
Schwunge der Formen, ſie werden weicher, unbeſtimmter, weniger feſt
ausgefüllt, gediegen und ſtählern; aber es kommt auch bei der Schönheit
auf den Ausdruck an und zwar wie er ſich auf alle Organe als viel-
ſeitigere Fähigkeit erſtreckt; wir müſſen nicht nur der Plaſtik, ſondern auch
der Malerei, nicht nur dieſer, ſondern auch der Dichtkunſt den Stoff vor-
bereiten. Das Pferd iſt übrigens auch in ſeinen Racen-Unterſchieden um
ſo wichtiger, weil ſie Zeugniß geben, daß es ein Culturthier iſt, das in
ſteter Begleitung des Menſchen ſeine Formen nicht nur durch Einfluß des
Klima’s, ſondern noch mehr der Zucht, der Pflege, der Dienſtverwendung
je nach den verſchiedenen Zwecken, geſchichtlichen, politiſchen Bedingungen
(Jagd, Krieg, Frieden, Bewaffnungsart, Taktik u. ſ. w.) vermannigfacht,
verändert hat. Manche Formen verſchwinden durch Wechſel des Geſchmacks
faſt ganz, wie z. B. die ſpaniſche Race, die noch im vorigen Jahrhundert
ſo beliebt war und die wohldreſſirteſten Schulpferde abgab; ſo iſt es auch
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/160>, abgerufen am 17.02.2025.
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