Geschlechtsvorzüge ist, gegenseitig für schlechthin absolut halten, so daß die andern Personen des Geschlechts als Nullen erscheinen. Freilich kann das Gemüth sich auch über die Zusammengehörigkeit täuschen und dieß ist schon eine Quelle tragischer (Göthe's Wahlverwandtschaften) oder komischer Schicksale. Die Liebe wächst, wird reif, stößt auf die Hindernisse, welche ihr die umgebende Welt entweder ungerecht durch Laune und sinnlosen Zufall oder im Rechte eines wichtigeren, größeren Zusammenhangs, für den sie die Personen in Anspruch nimmt, bereitet: die Besiegung jener führt zum Komischen, das Unterliegen unter diese und die Erhebung im Untergang ist tragisch. Die Unschuld und Heiligkeit der sinnlichen Besieglung des Bundes ist nirgends schöner ausgesprochen, als in Juliens Monolog. Daß aber auch ein Reichthum komischer Motive im sinnlichen Momente der Liebe liege, wurde schon in der Lehre vom Komischen vielfach berührt. Das Komische fließt aus der Trennbarkeit des Sinnlichen von dem Gei- stigen, dessen Zeuge und Schluß es sein soll. Die Trennung braucht, damit komische Beleuchtung entstehe, keine wirkliche zu sein; freier Humor kann im Bewußtsein, das Getrennte leicht wieder zusammenzufassen, die Momente der Liebe spielend in seiner Darstellung trennen und in wider- sprechendes Durcheinanderschimmern stellen. Das Komische verlangt, daß aus dem Idealismus der Liebe sinnliche Regung hervorschimmere, aber jener darf nicht als Täuschung in platten Genuß auslaufen nach der Philosophie des Mephistopheles; umgekehrt muß die rohe Begierde selbst wenigstens den Schein der Vergeistigung des Weibes bedürfen und suchen, um irgend komischer Stoff werden zu können. Ebenso verhält es sich mit Eigennutz, Ehrgeiz und andern Triebfedern, die sich in die Liebe ein- schleichen oder ihre bloße Maske anlegen. Ueberhaupt aber geht die Liebe am Rande des Komischen hin aus demselben Grunde, aus dem sie sich am Abgrunde des Tragischen bewegt: es steht der subjectiven Unendlichkeit eine objective Welt gegenüber, welche dem erfahrungslosen Idealismus dieses jugendlichen Pathos als unberechtigte Prosa erscheint, deren strengere Berechtigung es aber in tausend Anstößen zu erfahren bekommt.
§. 323.
Zucht und Vollendung der Liebe ist die Ehe, welche erst die einseitige1 Schönheit der Geschlechter thätig ergänzt. Als unbewegter Zustand ist sie ein ästhetisch weniger günstiger Stoff, die Störung aber, sei sie innere oder äußere, bringt die ungleich mächtigere Tiefe und Stärke dieses beruhigteren Pathos in furchtbaren Erschütterungen und herrlichen Thaten der Tugend zu Tage; zugleich geht durch vielfache innere Störungen unschädlicher Art und durch zahllose Reibungen mit dem Kleinen, welche diese Einwohnung der Liebe in die Wirk-
Geſchlechtsvorzüge iſt, gegenſeitig für ſchlechthin abſolut halten, ſo daß die andern Perſonen des Geſchlechts als Nullen erſcheinen. Freilich kann das Gemüth ſich auch über die Zuſammengehörigkeit täuſchen und dieß iſt ſchon eine Quelle tragiſcher (Göthe’s Wahlverwandtſchaften) oder komiſcher Schickſale. Die Liebe wächst, wird reif, ſtößt auf die Hinderniſſe, welche ihr die umgebende Welt entweder ungerecht durch Laune und ſinnloſen Zufall oder im Rechte eines wichtigeren, größeren Zuſammenhangs, für den ſie die Perſonen in Anſpruch nimmt, bereitet: die Beſiegung jener führt zum Komiſchen, das Unterliegen unter dieſe und die Erhebung im Untergang iſt tragiſch. Die Unſchuld und Heiligkeit der ſinnlichen Beſieglung des Bundes iſt nirgends ſchöner ausgeſprochen, als in Juliens Monolog. Daß aber auch ein Reichthum komiſcher Motive im ſinnlichen Momente der Liebe liege, wurde ſchon in der Lehre vom Komiſchen vielfach berührt. Das Komiſche fließt aus der Trennbarkeit des Sinnlichen von dem Gei- ſtigen, deſſen Zeuge und Schluß es ſein ſoll. Die Trennung braucht, damit komiſche Beleuchtung entſtehe, keine wirkliche zu ſein; freier Humor kann im Bewußtſein, das Getrennte leicht wieder zuſammenzufaſſen, die Momente der Liebe ſpielend in ſeiner Darſtellung trennen und in wider- ſprechendes Durcheinanderſchimmern ſtellen. Das Komiſche verlangt, daß aus dem Idealismus der Liebe ſinnliche Regung hervorſchimmere, aber jener darf nicht als Täuſchung in platten Genuß auslaufen nach der Philoſophie des Mephiſtopheles; umgekehrt muß die rohe Begierde ſelbſt wenigſtens den Schein der Vergeiſtigung des Weibes bedürfen und ſuchen, um irgend komiſcher Stoff werden zu können. Ebenſo verhält es ſich mit Eigennutz, Ehrgeiz und andern Triebfedern, die ſich in die Liebe ein- ſchleichen oder ihre bloße Maske anlegen. Ueberhaupt aber geht die Liebe am Rande des Komiſchen hin aus demſelben Grunde, aus dem ſie ſich am Abgrunde des Tragiſchen bewegt: es ſteht der ſubjectiven Unendlichkeit eine objective Welt gegenüber, welche dem erfahrungsloſen Idealismus dieſes jugendlichen Pathos als unberechtigte Proſa erſcheint, deren ſtrengere Berechtigung es aber in tauſend Anſtößen zu erfahren bekommt.
§. 323.
Zucht und Vollendung der Liebe iſt die Ehe, welche erſt die einſeitige1 Schönheit der Geſchlechter thätig ergänzt. Als unbewegter Zuſtand iſt ſie ein äſthetiſch weniger günſtiger Stoff, die Störung aber, ſei ſie innere oder äußere, bringt die ungleich mächtigere Tiefe und Stärke dieſes beruhigteren Pathos in furchtbaren Erſchütterungen und herrlichen Thaten der Tugend zu Tage; zugleich geht durch vielfache innere Störungen unſchädlicher Art und durch zahlloſe Reibungen mit dem Kleinen, welche dieſe Einwohnung der Liebe in die Wirk-
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Geſchlechtsvorzüge iſt, gegenſeitig für ſchlechthin abſolut halten, ſo daß
die andern Perſonen des Geſchlechts als Nullen erſcheinen. Freilich kann
das Gemüth ſich auch über die Zuſammengehörigkeit täuſchen und dieß iſt
ſchon eine Quelle tragiſcher (Göthe’s Wahlverwandtſchaften) oder komiſcher
Schickſale. Die Liebe wächst, wird reif, ſtößt auf die Hinderniſſe, welche
ihr die umgebende Welt entweder ungerecht durch Laune und ſinnloſen
Zufall oder im Rechte eines wichtigeren, größeren Zuſammenhangs, für
den ſie die Perſonen in Anſpruch nimmt, bereitet: die Beſiegung jener
führt zum Komiſchen, das Unterliegen unter dieſe und die Erhebung im
Untergang iſt tragiſch. Die Unſchuld und Heiligkeit der ſinnlichen Beſieglung
des Bundes iſt nirgends ſchöner ausgeſprochen, als in Juliens Monolog.
Daß aber auch ein Reichthum komiſcher Motive im ſinnlichen Momente
der Liebe liege, wurde ſchon in der Lehre vom Komiſchen vielfach berührt.
Das Komiſche fließt aus der Trennbarkeit des Sinnlichen von dem Gei-
ſtigen, deſſen Zeuge und Schluß es ſein ſoll. Die Trennung braucht,
damit komiſche Beleuchtung entſtehe, keine wirkliche zu ſein; freier Humor
kann im Bewußtſein, das Getrennte leicht wieder zuſammenzufaſſen, die
Momente der Liebe ſpielend in ſeiner Darſtellung trennen und in wider-
ſprechendes Durcheinanderſchimmern ſtellen. Das Komiſche verlangt, daß
aus dem Idealismus der Liebe ſinnliche Regung hervorſchimmere, aber
jener darf nicht als Täuſchung in platten Genuß auslaufen nach der
Philoſophie des Mephiſtopheles; umgekehrt muß die rohe Begierde ſelbſt
wenigſtens den Schein der Vergeiſtigung des Weibes bedürfen und ſuchen,
um irgend komiſcher Stoff werden zu können. Ebenſo verhält es ſich mit
Eigennutz, Ehrgeiz und andern Triebfedern, die ſich in die Liebe ein-
ſchleichen oder ihre bloße Maske anlegen. Ueberhaupt aber geht die Liebe
am Rande des Komiſchen hin aus demſelben Grunde, aus dem ſie ſich
am Abgrunde des Tragiſchen bewegt: es ſteht der ſubjectiven Unendlichkeit
eine objective Welt gegenüber, welche dem erfahrungsloſen Idealismus
dieſes jugendlichen Pathos als unberechtigte Proſa erſcheint, deren ſtrengere
Berechtigung es aber in tauſend Anſtößen zu erfahren bekommt.
§. 323.
Zucht und Vollendung der Liebe iſt die Ehe, welche erſt die einſeitige
Schönheit der Geſchlechter thätig ergänzt. Als unbewegter Zuſtand iſt ſie ein
äſthetiſch weniger günſtiger Stoff, die Störung aber, ſei ſie innere oder äußere,
bringt die ungleich mächtigere Tiefe und Stärke dieſes beruhigteren Pathos in
furchtbaren Erſchütterungen und herrlichen Thaten der Tugend zu Tage; zugleich
geht durch vielfache innere Störungen unſchädlicher Art und durch zahlloſe
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/185>, abgerufen am 16.07.2024.
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