rein menschliche Typus, welcher zugleich mit dem schönen Gleichgewichte des Temperaments und der Anlagen nur in dieser Race ausgebildet ist. Die andern, mehr oder weniger thierähnlichen Racen können daher nur in unterordnender Zusammenstellung und Contrast mit ihr als ästhetischer Stoff auftreten.
1. Bisher war von solchen anthropologischen Formen die Rede, welche das Menschengeschlecht überall begleiten und daher, wiewohl sie Differenzen enthalten, allgemeiner Art sind; jetzt wird zu feststehenden Unterschieden, welche jene allgemeinen Formen selbst in ihre Kreise ziehen, übergegangen und zwar natürlich zunächst von der Verzweigung der Familien zu den Racen. Die Aesthetik hat sich nicht in die schwierige Frage nach der Entstehung derselben einzulassen; wenn man aber dagegen, daß die klimatischen und anderweitig physikalischen Bestimmtheiten der Wohnsitze die Ursache dieser Abartungen sei, die bekannte Beobachtung geltend machen will, daß in einerlei Erdstrich jetzt verschiedene Racen auftreten und daß eine Race, in einen anderen Erdstrich versetzt, keines- wegs von ihrem Typus lasse, so ist dieß keine Widerlegung. Die Racen müssen entweder auf verschiedenen Punkten nach Maßgabe der tellurischen und klimatischen Bedingungen entstanden und so das Menschengeschlecht von mehrerlei Individuen ausgegangen sein oder ein ursprünglich gleicher, an Einem Ort entstandener Menschentypus muß zur Zeit, da er noch weicher und bildsamer war, unter den Einflüßen veränderter Sitze in diese Typen auseinandergegangen sein, und in beiden Fällen versteht sich, daß, was am ursprünglich bildsamen Stoffe geschah, sich sofort verfestigt und die gleichen Bedingungen an der eingewurzelten und verhärteten Form nicht mehr dasselbe bewirken. Für die Aesthetik nun ist diese älteste Bildungsgeschichte zwar gleichgiltig, aber das fortdauernde Zusammensein der Race mit der Natur, zu welcher ihr Typus gehört, eine wesentliche Forderung; sie will den Kaukasier in seinen breiten und milden Strom- thälern zwischen Mittelgebirgen, an seinen auffordernden Meerküsten, sie will den Mongolen in seinen Steppen, über seine Schneegefilde mit den schiefgestellten, schmalgeschlitzten Augen hinblinzend, sie will den Neger in seinen glühenden Sandwüsten, in seiner erschlaffenden Tropen-Natur sehen. Allein freilich diese entsprechende Umgebung ist vielfach verschoben; der Mongole ist in die fruchtbaren Stromflächen Chinas gedrungen und zeigt sich hier in anderen Umgebungen, als in den Hochsteppen und Schnee- feldern des nördlichen Asiens, wo ursprünglich seine Gestalt zu der breiten und ärmlichen Form einfror, die wir an ihm kennen; der Neger findet sich ebenfalls in verschiedenen Zonen u. s. w. Diese Verschiebungen des Zusammengehörigen bereiten jedoch hier keine Verlegenheit, denn aus dem Grunde, der unter N. 2 im §. ausgesprochen ist, haben wir den Racen-
rein menſchliche Typus, welcher zugleich mit dem ſchönen Gleichgewichte des Temperaments und der Anlagen nur in dieſer Race ausgebildet iſt. Die andern, mehr oder weniger thierähnlichen Racen können daher nur in unterordnender Zuſammenſtellung und Contraſt mit ihr als äſthetiſcher Stoff auftreten.
1. Bisher war von ſolchen anthropologiſchen Formen die Rede, welche das Menſchengeſchlecht überall begleiten und daher, wiewohl ſie Differenzen enthalten, allgemeiner Art ſind; jetzt wird zu feſtſtehenden Unterſchieden, welche jene allgemeinen Formen ſelbſt in ihre Kreiſe ziehen, übergegangen und zwar natürlich zunächſt von der Verzweigung der Familien zu den Racen. Die Aeſthetik hat ſich nicht in die ſchwierige Frage nach der Entſtehung derſelben einzulaſſen; wenn man aber dagegen, daß die klimatiſchen und anderweitig phyſikaliſchen Beſtimmtheiten der Wohnſitze die Urſache dieſer Abartungen ſei, die bekannte Beobachtung geltend machen will, daß in einerlei Erdſtrich jetzt verſchiedene Racen auftreten und daß eine Race, in einen anderen Erdſtrich verſetzt, keines- wegs von ihrem Typus laſſe, ſo iſt dieß keine Widerlegung. Die Racen müſſen entweder auf verſchiedenen Punkten nach Maßgabe der telluriſchen und klimatiſchen Bedingungen entſtanden und ſo das Menſchengeſchlecht von mehrerlei Individuen ausgegangen ſein oder ein urſprünglich gleicher, an Einem Ort entſtandener Menſchentypus muß zur Zeit, da er noch weicher und bildſamer war, unter den Einflüßen veränderter Sitze in dieſe Typen auseinandergegangen ſein, und in beiden Fällen verſteht ſich, daß, was am urſprünglich bildſamen Stoffe geſchah, ſich ſofort verfeſtigt und die gleichen Bedingungen an der eingewurzelten und verhärteten Form nicht mehr daſſelbe bewirken. Für die Aeſthetik nun iſt dieſe älteſte Bildungsgeſchichte zwar gleichgiltig, aber das fortdauernde Zuſammenſein der Race mit der Natur, zu welcher ihr Typus gehört, eine weſentliche Forderung; ſie will den Kaukaſier in ſeinen breiten und milden Strom- thälern zwiſchen Mittelgebirgen, an ſeinen auffordernden Meerküſten, ſie will den Mongolen in ſeinen Steppen, über ſeine Schneegefilde mit den ſchiefgeſtellten, ſchmalgeſchlitzten Augen hinblinzend, ſie will den Neger in ſeinen glühenden Sandwüſten, in ſeiner erſchlaffenden Tropen-Natur ſehen. Allein freilich dieſe entſprechende Umgebung iſt vielfach verſchoben; der Mongole iſt in die fruchtbaren Stromflächen Chinas gedrungen und zeigt ſich hier in anderen Umgebungen, als in den Hochſteppen und Schnee- feldern des nördlichen Aſiens, wo urſprünglich ſeine Geſtalt zu der breiten und ärmlichen Form einfror, die wir an ihm kennen; der Neger findet ſich ebenfalls in verſchiedenen Zonen u. ſ. w. Dieſe Verſchiebungen des Zuſammengehörigen bereiten jedoch hier keine Verlegenheit, denn aus dem Grunde, der unter N. 2 im §. ausgeſprochen iſt, haben wir den Racen-
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rein menſchliche Typus, welcher zugleich mit dem ſchönen Gleichgewichte des
Temperaments und der Anlagen nur in dieſer Race ausgebildet iſt. Die andern,
mehr oder weniger thierähnlichen Racen können daher nur in unterordnender
Zuſammenſtellung und Contraſt mit ihr als äſthetiſcher Stoff auftreten.
1. Bisher war von ſolchen anthropologiſchen Formen die Rede,
welche das Menſchengeſchlecht überall begleiten und daher, wiewohl ſie
Differenzen enthalten, allgemeiner Art ſind; jetzt wird zu feſtſtehenden
Unterſchieden, welche jene allgemeinen Formen ſelbſt in ihre Kreiſe ziehen,
übergegangen und zwar natürlich zunächſt von der Verzweigung der
Familien zu den Racen. Die Aeſthetik hat ſich nicht in die ſchwierige
Frage nach der Entſtehung derſelben einzulaſſen; wenn man aber dagegen,
daß die klimatiſchen und anderweitig phyſikaliſchen Beſtimmtheiten der
Wohnſitze die Urſache dieſer Abartungen ſei, die bekannte Beobachtung
geltend machen will, daß in einerlei Erdſtrich jetzt verſchiedene Racen
auftreten und daß eine Race, in einen anderen Erdſtrich verſetzt, keines-
wegs von ihrem Typus laſſe, ſo iſt dieß keine Widerlegung. Die Racen
müſſen entweder auf verſchiedenen Punkten nach Maßgabe der telluriſchen
und klimatiſchen Bedingungen entſtanden und ſo das Menſchengeſchlecht
von mehrerlei Individuen ausgegangen ſein oder ein urſprünglich gleicher,
an Einem Ort entſtandener Menſchentypus muß zur Zeit, da er noch
weicher und bildſamer war, unter den Einflüßen veränderter Sitze in dieſe
Typen auseinandergegangen ſein, und in beiden Fällen verſteht ſich, daß,
was am urſprünglich bildſamen Stoffe geſchah, ſich ſofort verfeſtigt und
die gleichen Bedingungen an der eingewurzelten und verhärteten Form
nicht mehr daſſelbe bewirken. Für die Aeſthetik nun iſt dieſe älteſte
Bildungsgeſchichte zwar gleichgiltig, aber das fortdauernde Zuſammenſein
der Race mit der Natur, zu welcher ihr Typus gehört, eine weſentliche
Forderung; ſie will den Kaukaſier in ſeinen breiten und milden Strom-
thälern zwiſchen Mittelgebirgen, an ſeinen auffordernden Meerküſten, ſie
will den Mongolen in ſeinen Steppen, über ſeine Schneegefilde mit den
ſchiefgeſtellten, ſchmalgeſchlitzten Augen hinblinzend, ſie will den Neger in
ſeinen glühenden Sandwüſten, in ſeiner erſchlaffenden Tropen-Natur ſehen.
Allein freilich dieſe entſprechende Umgebung iſt vielfach verſchoben; der
Mongole iſt in die fruchtbaren Stromflächen Chinas gedrungen und zeigt
ſich hier in anderen Umgebungen, als in den Hochſteppen und Schnee-
feldern des nördlichen Aſiens, wo urſprünglich ſeine Geſtalt zu der breiten
und ärmlichen Form einfror, die wir an ihm kennen; der Neger findet
ſich ebenfalls in verſchiedenen Zonen u. ſ. w. Dieſe Verſchiebungen des
Zuſammengehörigen bereiten jedoch hier keine Verlegenheit, denn aus dem
Grunde, der unter N. 2 im §. ausgeſprochen iſt, haben wir den Racen-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/188>, abgerufen am 17.02.2025.
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