gesagt, wenn man diese Erscheinung auf einen Schöpfer als sein Werk hinüberschiebt, es ist dasselbe, wie dort, es hilft der Natur gar nichts, wenn sie einen vorbildenden Spiegel hat, sie ist und bleibt auf sich selbst angewiesen. Kurz, es ist verkehrt, das Explicirte hinter das Implicirte als Explicirtes zurückzuwerfen und die Verkehrtheit leistet den erwarteten Dienst nicht, sie erklärt nichts.
Daß nun die Naturschönheit als eine schlechthin (so scheint es wenigstens vorerst) vorgefundene, unmittelbare und in dem doppelten Sinn des §. objective Form der realen Existenz des Schönen zuerst zu setzen sei, sollte selbst von denjenigen zugegeben sein, welche die Welt aus dem Theismus construiren; denn die Wendung steht ihnen immer noch frei, daß der göttliche Verstand und Wille beschloßen habe, der geistigen Schöpfung die natürliche zur Voraussetzung zu geben, und ebenso, in der Sphäre der Schönheit, dem menschlichen Künstlergeiste die Naturschönheit als seine Vorlage voranzuschicken. Freilich liegt es dieser Ansicht jeden- falls nahe, die Vorlage für das Vollkommene, also für das nicht nur der Folge, sondern auch dem Werthe nach Erste zu erklären. Die wahre und ganze Schönheit ist dann jenseits hinter der Welt in Gott, ihr erster, frischer Abglanz ist in der Natur, der schwächere zweite in der Kunst. In Wahrheit wäre dadurch die Aesthetik aufgehoben: ein geheimes Buch, das nicht in dieser Welt geschrieben werden kann. Doch nicht alle Schlußfolgen werden gezogen und die Nothwendigkeit, dem Kunstschönen das Naturschöne als Stoffwelt vorauszuschicken, kann als allgemein zugestanden angesehen werden. Nur Chr. H. Weiße macht Ernst aus der Logik der Transcendenz und stellt demgemäß das ganze System der Aesthetik auf den Kopf, indem er die Naturschönheit unter dem Namen "der Genius in objectiver Gestalt" an den Schluß des Ganzen setzt. Ihr voran stellt er den subjectiven Genius, den Künstlergeist, und vor diesen die Kunst. Während also nach jedem Begriffe einer richtigen Ordnung, nachdem der abstracte Begriff des Schönen dargestellt ist, zuerst die Naturschönheit, dann der Genius, zuletzt dessen Werk, die Kunst, stehen müßte, steht zuerst das Werk, dann der Meister des Werks, dann die Vorlage und Stoffwelt, von welcher der Meister ausgeht. So unbegreiflich diese Anordnung scheint, so folgt sie doch ganz richtig aus der strengen Consequenz des transcendenten Standpunkts. Der absolute Geist, welcher, der Welt jenseitig, nur den Abglanz einer höheren, über- sinnlichen Ordnung der Dinge auf sie wirft, offenbart sich als der einzig wahre Grund der Schönheit in dem Grade vollkommener, in welchem die fest beschlossene Gestalt gegenwärtiger Schönheit schwindet und dem Unbestimmten weicht, das auf ein Fernes und Jenseitiges hinüberzuweisen scheint. Er zieht sich aus dem Kunstwerk als inneres Selbst, als
geſagt, wenn man dieſe Erſcheinung auf einen Schöpfer als ſein Werk hinüberſchiebt, es iſt dasſelbe, wie dort, es hilft der Natur gar nichts, wenn ſie einen vorbildenden Spiegel hat, ſie iſt und bleibt auf ſich ſelbſt angewieſen. Kurz, es iſt verkehrt, das Explicirte hinter das Implicirte als Explicirtes zurückzuwerfen und die Verkehrtheit leiſtet den erwarteten Dienſt nicht, ſie erklärt nichts.
Daß nun die Naturſchönheit als eine ſchlechthin (ſo ſcheint es wenigſtens vorerſt) vorgefundene, unmittelbare und in dem doppelten Sinn des §. objective Form der realen Exiſtenz des Schönen zuerſt zu ſetzen ſei, ſollte ſelbſt von denjenigen zugegeben ſein, welche die Welt aus dem Theismus conſtruiren; denn die Wendung ſteht ihnen immer noch frei, daß der göttliche Verſtand und Wille beſchloßen habe, der geiſtigen Schöpfung die natürliche zur Vorausſetzung zu geben, und ebenſo, in der Sphäre der Schönheit, dem menſchlichen Künſtlergeiſte die Naturſchönheit als ſeine Vorlage voranzuſchicken. Freilich liegt es dieſer Anſicht jeden- falls nahe, die Vorlage für das Vollkommene, alſo für das nicht nur der Folge, ſondern auch dem Werthe nach Erſte zu erklären. Die wahre und ganze Schönheit iſt dann jenſeits hinter der Welt in Gott, ihr erſter, friſcher Abglanz iſt in der Natur, der ſchwächere zweite in der Kunſt. In Wahrheit wäre dadurch die Aeſthetik aufgehoben: ein geheimes Buch, das nicht in dieſer Welt geſchrieben werden kann. Doch nicht alle Schlußfolgen werden gezogen und die Nothwendigkeit, dem Kunſtſchönen das Naturſchöne als Stoffwelt vorauszuſchicken, kann als allgemein zugeſtanden angeſehen werden. Nur Chr. H. Weiße macht Ernſt aus der Logik der Tranſcendenz und ſtellt demgemäß das ganze Syſtem der Aeſthetik auf den Kopf, indem er die Naturſchönheit unter dem Namen „der Genius in objectiver Geſtalt“ an den Schluß des Ganzen ſetzt. Ihr voran ſtellt er den ſubjectiven Genius, den Künſtlergeiſt, und vor dieſen die Kunſt. Während alſo nach jedem Begriffe einer richtigen Ordnung, nachdem der abſtracte Begriff des Schönen dargeſtellt iſt, zuerſt die Naturſchönheit, dann der Genius, zuletzt deſſen Werk, die Kunſt, ſtehen müßte, ſteht zuerſt das Werk, dann der Meiſter des Werks, dann die Vorlage und Stoffwelt, von welcher der Meiſter ausgeht. So unbegreiflich dieſe Anordnung ſcheint, ſo folgt ſie doch ganz richtig aus der ſtrengen Conſequenz des tranſcendenten Standpunkts. Der abſolute Geiſt, welcher, der Welt jenſeitig, nur den Abglanz einer höheren, über- ſinnlichen Ordnung der Dinge auf ſie wirft, offenbart ſich als der einzig wahre Grund der Schönheit in dem Grade vollkommener, in welchem die feſt beſchloſſene Geſtalt gegenwärtiger Schönheit ſchwindet und dem Unbeſtimmten weicht, das auf ein Fernes und Jenſeitiges hinüberzuweiſen ſcheint. Er zieht ſich aus dem Kunſtwerk als inneres Selbſt, als
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geſagt, wenn man dieſe Erſcheinung auf einen Schöpfer als ſein Werk
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wenn ſie einen vorbildenden Spiegel hat, ſie iſt und bleibt auf ſich ſelbſt
angewieſen. Kurz, es iſt verkehrt, das Explicirte hinter das Implicirte
als Explicirtes zurückzuwerfen und die Verkehrtheit leiſtet den erwarteten
Dienſt nicht, ſie erklärt nichts.
Daß nun die Naturſchönheit als eine ſchlechthin (ſo ſcheint es
wenigſtens vorerſt) vorgefundene, unmittelbare und in dem doppelten
Sinn des §. objective Form der realen Exiſtenz des Schönen zuerſt zu
ſetzen ſei, ſollte ſelbſt von denjenigen zugegeben ſein, welche die Welt aus
dem Theismus conſtruiren; denn die Wendung ſteht ihnen immer noch
frei, daß der göttliche Verſtand und Wille beſchloßen habe, der geiſtigen
Schöpfung die natürliche zur Vorausſetzung zu geben, und ebenſo, in der
Sphäre der Schönheit, dem menſchlichen Künſtlergeiſte die Naturſchönheit
als ſeine Vorlage voranzuſchicken. Freilich liegt es dieſer Anſicht jeden-
falls nahe, die Vorlage für das Vollkommene, alſo für das nicht nur der
Folge, ſondern auch dem Werthe nach Erſte zu erklären. Die wahre und
ganze Schönheit iſt dann jenſeits hinter der Welt in Gott, ihr erſter,
friſcher Abglanz iſt in der Natur, der ſchwächere zweite in der Kunſt.
In Wahrheit wäre dadurch die Aeſthetik aufgehoben: ein geheimes Buch,
das nicht in dieſer Welt geſchrieben werden kann. Doch nicht alle
Schlußfolgen werden gezogen und die Nothwendigkeit, dem Kunſtſchönen
das Naturſchöne als Stoffwelt vorauszuſchicken, kann als allgemein
zugeſtanden angeſehen werden. Nur Chr. H. Weiße macht Ernſt aus
der Logik der Tranſcendenz und ſtellt demgemäß das ganze Syſtem der
Aeſthetik auf den Kopf, indem er die Naturſchönheit unter dem Namen
„der Genius in objectiver Geſtalt“ an den Schluß des Ganzen ſetzt.
Ihr voran ſtellt er den ſubjectiven Genius, den Künſtlergeiſt, und vor
dieſen die Kunſt. Während alſo nach jedem Begriffe einer richtigen
Ordnung, nachdem der abſtracte Begriff des Schönen dargeſtellt iſt, zuerſt
die Naturſchönheit, dann der Genius, zuletzt deſſen Werk, die Kunſt,
ſtehen müßte, ſteht zuerſt das Werk, dann der Meiſter des Werks, dann
die Vorlage und Stoffwelt, von welcher der Meiſter ausgeht. So
unbegreiflich dieſe Anordnung ſcheint, ſo folgt ſie doch ganz richtig aus
der ſtrengen Conſequenz des tranſcendenten Standpunkts. Der abſolute
Geiſt, welcher, der Welt jenſeitig, nur den Abglanz einer höheren, über-
ſinnlichen Ordnung der Dinge auf ſie wirft, offenbart ſich als der einzig
wahre Grund der Schönheit in dem Grade vollkommener, in welchem die
feſt beſchloſſene Geſtalt gegenwärtiger Schönheit ſchwindet und dem
Unbeſtimmten weicht, das auf ein Fernes und Jenſeitiges hinüberzuweiſen
ſcheint. Er zieht ſich aus dem Kunſtwerk als inneres Selbſt, als
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/19>, abgerufen am 16.07.2024.
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