Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
gang eintritt, faßt sich die höchste Reife in dem Heldenjüngling zusammen, der Griechenland lernte vom Orient als freier Schüler, der das Gegebene
gang eintritt, faßt ſich die höchſte Reife in dem Heldenjüngling zuſammen, der Griechenland lernte vom Orient als freier Schüler, der das Gegebene <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0252" n="240"/> gang eintritt, faßt ſich die höchſte Reife in dem Heldenjüngling zuſammen, der<lb/> Griechenland am Orient rächt und durch ſeine Ueberwindung ein Weltreich<lb/> gründet, worin griechiſche Bildung univerſell wird.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Griechenland lernte vom Orient als freier Schüler, der das Gegebene<lb/> umſchafft, aber mehr von dem contemplativen Aegypten, als von dem<lb/> energiſchen Perſien. Zu dieſem war das Verhältniß das des realen<lb/> Kampfes. Die berühmten Freiheitsſchlachten nun und ihre Helden ſtehen<lb/> dadurch einzig in der Geſchichte, daß ſie für alle Zukunft und Menſchheit<lb/> den jugendlichen Keim occidentaliſcher Bildung, europäiſcher Freiheit gerettet<lb/> haben; aber zugleich iſt die überſchauliche Einfachheit dieſer Schlachten,<lb/> die ſinnliche Lebendigkeit der Kriegsführung vom höchſten äſthetiſchen<lb/> Vortheil. Nicht wieder in der Welt iſt Idee und Bild ſo zuſammen-<lb/> getroffen und die Schlachten in den Thermophylen, bei Salamis, Marathon,<lb/> Platää harren, da man nun auch das Terrain wieder kennt, auf den<lb/> Maler, der dieſe Schätze heben ſoll. Man kennt durch Herodot die<lb/> Völker, die Bewaffnung, die Aufſtellung; man darf das Amphitheater<lb/> von Marathon nur anſehen, um ſich das große Bild hervorzurufen, wie<lb/> die geſchloſſenen Griechen von den Anhöhen herunterſtürzen und die<lb/> Barbarenhorden, die Negermaſſen in die Sümpfe hineinwürgen. Die<lb/> hervorragenden Heroen, Miltiades, Themiſtokles, Pauſanias, Cimon,<lb/> Ariſtides, der herrliche Perikles, dann der peloponneſiſche Krieg, mit<lb/> großen Scenen und Männern im Einzelnen, aber ein Gang der Auf-<lb/> löſung, der vernichtenden Reibung zwiſchen dem Doriſchen und Joniſchen,<lb/> eines Gegenſatzes, der durch ſeine Spannung die Einheit der griechiſchen<lb/> Größe begründete, aber auch den Wurm ihres Todes in ſich trug, zugleich<lb/> die innere Auflöſung durch das Aufkommen des ſubjectiven Elements,<lb/> der Sophiſten, Sykophanten, der Demagogen, eines Kleon u. ſ. w.: welch<lb/> ein bewegt fortſchreitendes, im Sinken noch unendlich fruchtbares Schau-<lb/> ſpiel! Ein anderes Geſchlecht, ſchlanker, beweglicher, nervöſer, feiner,<lb/> leidenſchaftlicher war nach der großen Peſt in Athen aufgeſtanden. In<lb/> dieſer aufgeregten Welt beginnen die pathetiſchen, ſentimentalen, aber auch<lb/> die komiſchen Stoffe. Der ſchöne Alcibiades, jugendlicher Held, aber auch<lb/> leichtfertig, üppig und gewiſſenlos, gehört ſchon zu ihnen. Die letzten<lb/> Kriege vor der Macedoniſchen Oberherrſchaft ſtellen jene rührenden<lb/> Geſtalten dar, welche in iſolirter Tugend noch halten wollen, was nicht<lb/> mehr zu halten iſt, und tragiſch untergehen, einen Epaminondas,<lb/> Demoſthenes, ſpät noch einen Kleomens, Philopömen und And. Inzwiſchen<lb/> hat ſich nördliche Kraft in unverwelkter Friſche aufgemacht, das müde<lb/> Griechenland in Eins zuſammenzufaſſen und den Samen, der aus der<lb/> welken Fruchtkapſel gefallen, erobernd hinauszuführen nach Aſien. Alexander<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [240/0252]
gang eintritt, faßt ſich die höchſte Reife in dem Heldenjüngling zuſammen, der
Griechenland am Orient rächt und durch ſeine Ueberwindung ein Weltreich
gründet, worin griechiſche Bildung univerſell wird.
Griechenland lernte vom Orient als freier Schüler, der das Gegebene
umſchafft, aber mehr von dem contemplativen Aegypten, als von dem
energiſchen Perſien. Zu dieſem war das Verhältniß das des realen
Kampfes. Die berühmten Freiheitsſchlachten nun und ihre Helden ſtehen
dadurch einzig in der Geſchichte, daß ſie für alle Zukunft und Menſchheit
den jugendlichen Keim occidentaliſcher Bildung, europäiſcher Freiheit gerettet
haben; aber zugleich iſt die überſchauliche Einfachheit dieſer Schlachten,
die ſinnliche Lebendigkeit der Kriegsführung vom höchſten äſthetiſchen
Vortheil. Nicht wieder in der Welt iſt Idee und Bild ſo zuſammen-
getroffen und die Schlachten in den Thermophylen, bei Salamis, Marathon,
Platää harren, da man nun auch das Terrain wieder kennt, auf den
Maler, der dieſe Schätze heben ſoll. Man kennt durch Herodot die
Völker, die Bewaffnung, die Aufſtellung; man darf das Amphitheater
von Marathon nur anſehen, um ſich das große Bild hervorzurufen, wie
die geſchloſſenen Griechen von den Anhöhen herunterſtürzen und die
Barbarenhorden, die Negermaſſen in die Sümpfe hineinwürgen. Die
hervorragenden Heroen, Miltiades, Themiſtokles, Pauſanias, Cimon,
Ariſtides, der herrliche Perikles, dann der peloponneſiſche Krieg, mit
großen Scenen und Männern im Einzelnen, aber ein Gang der Auf-
löſung, der vernichtenden Reibung zwiſchen dem Doriſchen und Joniſchen,
eines Gegenſatzes, der durch ſeine Spannung die Einheit der griechiſchen
Größe begründete, aber auch den Wurm ihres Todes in ſich trug, zugleich
die innere Auflöſung durch das Aufkommen des ſubjectiven Elements,
der Sophiſten, Sykophanten, der Demagogen, eines Kleon u. ſ. w.: welch
ein bewegt fortſchreitendes, im Sinken noch unendlich fruchtbares Schau-
ſpiel! Ein anderes Geſchlecht, ſchlanker, beweglicher, nervöſer, feiner,
leidenſchaftlicher war nach der großen Peſt in Athen aufgeſtanden. In
dieſer aufgeregten Welt beginnen die pathetiſchen, ſentimentalen, aber auch
die komiſchen Stoffe. Der ſchöne Alcibiades, jugendlicher Held, aber auch
leichtfertig, üppig und gewiſſenlos, gehört ſchon zu ihnen. Die letzten
Kriege vor der Macedoniſchen Oberherrſchaft ſtellen jene rührenden
Geſtalten dar, welche in iſolirter Tugend noch halten wollen, was nicht
mehr zu halten iſt, und tragiſch untergehen, einen Epaminondas,
Demoſthenes, ſpät noch einen Kleomens, Philopömen und And. Inzwiſchen
hat ſich nördliche Kraft in unverwelkter Friſche aufgemacht, das müde
Griechenland in Eins zuſammenzufaſſen und den Samen, der aus der
welken Fruchtkapſel gefallen, erobernd hinauszuführen nach Aſien. Alexander
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