Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
Wesen über eine Wehre gehe, diese Negativität der Ueberwindung und 2. Das Christenthum wird hier noch nicht nach seinem inneren 3. Wie sich die in Anm. 1 erwähnten Urformen brachen, zeigt
Weſen über eine Wehre gehe, dieſe Negativität der Ueberwindung und 2. Das Chriſtenthum wird hier noch nicht nach ſeinem inneren 3. Wie ſich die in Anm. 1 erwähnten Urformen brachen, zeigt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0262" n="250"/> Weſen über eine Wehre gehe, dieſe Negativität der Ueberwindung und<lb/> Aneignung des ganz Fremden in ſich aufnehme. Griechen und Römer<lb/> dehnten ihre Macht langſam aus und ebenſo langſam reifte ihre rein<lb/> volksmäßige Bildung. Dieſe war ſchon an ſich entſchieden müheloſer,<lb/> vergleichungsweiſe ſelbſt bei den Römern, als bei den Deutſchen. An-<lb/> ſtand, Grazie, Fluß und Maaß, Beweglichkeit und Geſchicklichkeit,<lb/> Gelenkigkeit und Biegſamkeit lag hier ſchon in der Race. Wie noch<lb/> heute der deutſche Rekrut in vier Wochen kaum die Handgriffe lernt, die<lb/> der Italiener in vier Tagen weg hat, ſo ſollte alle deutſche Bildung<lb/> einer rohen Natur erſt abgerungen werden. Griechen und Römer nahmen<lb/> fremde Formen aus Luxus auf am Schluſſe ihrer Zeit, ihrer Welter-<lb/> oberung; wohl auch in den frühen Anfängen ihrer Bildung verwandeln<lb/> ſie fremde Formen in ihr Eigenthum, aber Formen, die, an ſich unreif,<lb/> gerade auf Fortbildung warten, wie die orientaliſch unfreien in Griechen-<lb/> land. Die Deutſchen dagegen treten, wie ſie ihre Urwälder verlaſſen,<lb/> alsbald als Eroberer der Welt auf und finden hier die überreife Bildung<lb/> vor, welche, eine Frucht der objectiven Lebensform ſüdlicher Völker, ihrem<lb/> nordiſchen Naturell völlig fremdartig iſt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Das Chriſtenthum wird hier noch nicht nach ſeinem inneren<lb/> Kreiſe von Vorſtellungen, ſondern nur erſt ganz allgemein nach ſeinem<lb/> Prinzip und als geſchichtliche vom Orient nach Rom, wo es die Gothen<lb/> antreffen, verpflanzte Erſcheinung aufgeführt. Es kam nun freilich dem<lb/> innerlichen Weſen, der Anlage zur Idealität in der deutſchen Natur,<lb/> als etwas Verwandtes entgegen; dieß iſt aber nur die Eine Seite, die<lb/> andere, daß es auch für ſie einen unendlichen Bruch mit den auf Heiden-<lb/> thum begründeten Naturzuſtänden mit ſich führte, iſt ebenſo weſentlich.<lb/> Da ſollte nicht mehr die Rache ihren fürchterlichen Gang gehen, nicht<lb/> mehr das Greifliche und Große, ſondern das Unſinnliche und was ſich<lb/> ſelbſt erniedrigt, gelten. Und dabei ziehen wir noch Alles ab, was dem<lb/> Prinzip Jüdiſches, Indiſches, Griechiſches, Römiſches, und ſo zwar ſinnlich<lb/> Verſtändlicheres, aber einer fremdartigen Sinnlichkeit Entſproſſenes ſich<lb/> angehängt hatte. Sogleich aber mußte erwähnt werden, daß durch die<lb/> Negativität, die im Chriſtenthum und ebenſo im deutſchen Naturell liegt,<lb/> eine Bürgſchaft des ſittlichen Lebens und daher der geſchichtlichen Dauer-<lb/> haftigkeit gegeben war, wie ſie das Alterthum nicht kannte (vergl. §. 351).</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">3. Wie ſich die in Anm. 1 erwähnten Urformen brachen, zeigt<lb/> nichts beſſer, als die eigene Heldenſage der Deutſchen. Sie hatten in<lb/> ihr einen gewaltigen Stoff, aber er verſchob ſich durch den Wirrwarr<lb/> der Völkerwanderung und dann durch die Eintragung der Formen des<lb/> Ritterlebens in die des Reckenlebens, verlor ſeine Compactheit, Ueber-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [250/0262]
Weſen über eine Wehre gehe, dieſe Negativität der Ueberwindung und
Aneignung des ganz Fremden in ſich aufnehme. Griechen und Römer
dehnten ihre Macht langſam aus und ebenſo langſam reifte ihre rein
volksmäßige Bildung. Dieſe war ſchon an ſich entſchieden müheloſer,
vergleichungsweiſe ſelbſt bei den Römern, als bei den Deutſchen. An-
ſtand, Grazie, Fluß und Maaß, Beweglichkeit und Geſchicklichkeit,
Gelenkigkeit und Biegſamkeit lag hier ſchon in der Race. Wie noch
heute der deutſche Rekrut in vier Wochen kaum die Handgriffe lernt, die
der Italiener in vier Tagen weg hat, ſo ſollte alle deutſche Bildung
einer rohen Natur erſt abgerungen werden. Griechen und Römer nahmen
fremde Formen aus Luxus auf am Schluſſe ihrer Zeit, ihrer Welter-
oberung; wohl auch in den frühen Anfängen ihrer Bildung verwandeln
ſie fremde Formen in ihr Eigenthum, aber Formen, die, an ſich unreif,
gerade auf Fortbildung warten, wie die orientaliſch unfreien in Griechen-
land. Die Deutſchen dagegen treten, wie ſie ihre Urwälder verlaſſen,
alsbald als Eroberer der Welt auf und finden hier die überreife Bildung
vor, welche, eine Frucht der objectiven Lebensform ſüdlicher Völker, ihrem
nordiſchen Naturell völlig fremdartig iſt.
2. Das Chriſtenthum wird hier noch nicht nach ſeinem inneren
Kreiſe von Vorſtellungen, ſondern nur erſt ganz allgemein nach ſeinem
Prinzip und als geſchichtliche vom Orient nach Rom, wo es die Gothen
antreffen, verpflanzte Erſcheinung aufgeführt. Es kam nun freilich dem
innerlichen Weſen, der Anlage zur Idealität in der deutſchen Natur,
als etwas Verwandtes entgegen; dieß iſt aber nur die Eine Seite, die
andere, daß es auch für ſie einen unendlichen Bruch mit den auf Heiden-
thum begründeten Naturzuſtänden mit ſich führte, iſt ebenſo weſentlich.
Da ſollte nicht mehr die Rache ihren fürchterlichen Gang gehen, nicht
mehr das Greifliche und Große, ſondern das Unſinnliche und was ſich
ſelbſt erniedrigt, gelten. Und dabei ziehen wir noch Alles ab, was dem
Prinzip Jüdiſches, Indiſches, Griechiſches, Römiſches, und ſo zwar ſinnlich
Verſtändlicheres, aber einer fremdartigen Sinnlichkeit Entſproſſenes ſich
angehängt hatte. Sogleich aber mußte erwähnt werden, daß durch die
Negativität, die im Chriſtenthum und ebenſo im deutſchen Naturell liegt,
eine Bürgſchaft des ſittlichen Lebens und daher der geſchichtlichen Dauer-
haftigkeit gegeben war, wie ſie das Alterthum nicht kannte (vergl. §. 351).
3. Wie ſich die in Anm. 1 erwähnten Urformen brachen, zeigt
nichts beſſer, als die eigene Heldenſage der Deutſchen. Sie hatten in
ihr einen gewaltigen Stoff, aber er verſchob ſich durch den Wirrwarr
der Völkerwanderung und dann durch die Eintragung der Formen des
Ritterlebens in die des Reckenlebens, verlor ſeine Compactheit, Ueber-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |