sichtlichkeit, organische Einheit. Hierüber vergl. namentlich Gervinus Gesch. d. poet. National-Literatur d. Deutsch. Bd. 1.
§. 356.
Zugleich treffen aber die Germanen im römischen Volke und bei den von ihm latinisirten Nationen die eigentlichen Culturformen der römischen Welt an, vermischen sich mit diesen Völkern und nehmen jene auf. Das Letztere geschieht auch bei den Deutschen, die unvermischt in ihrer Heimath bleiben; es bereitet sich aber der Gegensatz der romanischen und deutschen Völker vor, der als weiterer Bruch die nun entstehende neue Welt von der geschlossenen nationalen Einheit der antiken streng unterscheidet.
In Italien vermischen sich Gothen und Longobarden mit Römern, in Spanien und Portugall Sueven, Vandalen, dann siegreich Westgothen mit latinisirten Kelt-Iberern, später tritt hier als wichtiges Moment die Eroberung der Araber ein; in Gallien mischen sich Burgunden und Franken mit latinisirten, durch ihre Beweglichkeit, ihr aufloderndes Feuer, ihre schwarzen Haare und Augen, ihre ovale, schwungvoller geschnittene Gesichts- form den Römern schon ursprünglich weniger fremden Kelten, Hier ist der deutsche Einschlag am stärksten und vermehrt sich noch durch die Niederlassung der Normanen an der Nordküste, jener kühnen Seefahrer, deren Züge wesentlich zur Ausbildung des Ritterlichen beitrugen und welche später selbst romanisirt einen Theil romanischen Feuers mit ihrer Eroberung zu den Angelsachsen nach England tragen. So entstehen die Italiener, Spanier, Franzosen; diese Völker sind die romanischen und ihr Gegensatz gegen die rein deutschen und gegen die germano-romanischen (Engländer, Belgier) ist der ganzen neueren Geschichte wesentlich. Das deutsche Blut bringt einen neuen Bildungstrieb in die römische Grundlage, obwohl es fast zum Unkenntlichen mit dem fremden, gegen dessen reife Bildung es sich nicht halten kann, verschmilzt. In dieser Verschmelzung aber bewahren diese Völker immer noch etwas von der antiken, d. h. der objectiven, bruchlosen, in Einheit der Natur und des Geistes frei ergossenen Weise des Daseins und unterscheiden sich dadurch streng von den unvermischt deutschen. Der Gegensatz tritt nicht sogleich, sondern erst durch den Vertrag von Verdün, durch das Steigen des Papstthums in Italien, durch die Isolirung Spaniens hervor; es ist aber höchst wichtig, daß auch in dieser Beziehung die nun entstehende neue Welt sich über einen Bruch bewegt. Im Alterthum ist immer nur Ein Volk modern, Culturvolk, von nun an sind es zwei gegensätzliche, rivalisirende Völker- gruppen. Vorläufig jedoch können auch die unvermischt deutschen Völker
ſichtlichkeit, organiſche Einheit. Hierüber vergl. namentlich Gervinus Geſch. d. poet. National-Literatur d. Deutſch. Bd. 1.
§. 356.
Zugleich treffen aber die Germanen im römiſchen Volke und bei den von ihm latiniſirten Nationen die eigentlichen Culturformen der römiſchen Welt an, vermiſchen ſich mit dieſen Völkern und nehmen jene auf. Das Letztere geſchieht auch bei den Deutſchen, die unvermiſcht in ihrer Heimath bleiben; es bereitet ſich aber der Gegenſatz der romaniſchen und deutſchen Völker vor, der als weiterer Bruch die nun entſtehende neue Welt von der geſchloſſenen nationalen Einheit der antiken ſtreng unterſcheidet.
In Italien vermiſchen ſich Gothen und Longobarden mit Römern, in Spanien und Portugall Sueven, Vandalen, dann ſiegreich Weſtgothen mit latiniſirten Kelt-Iberern, ſpäter tritt hier als wichtiges Moment die Eroberung der Araber ein; in Gallien miſchen ſich Burgunden und Franken mit latiniſirten, durch ihre Beweglichkeit, ihr aufloderndes Feuer, ihre ſchwarzen Haare und Augen, ihre ovale, ſchwungvoller geſchnittene Geſichts- form den Römern ſchon urſprünglich weniger fremden Kelten, Hier iſt der deutſche Einſchlag am ſtärkſten und vermehrt ſich noch durch die Niederlaſſung der Normanen an der Nordküſte, jener kühnen Seefahrer, deren Züge weſentlich zur Ausbildung des Ritterlichen beitrugen und welche ſpäter ſelbſt romaniſirt einen Theil romaniſchen Feuers mit ihrer Eroberung zu den Angelſachſen nach England tragen. So entſtehen die Italiener, Spanier, Franzoſen; dieſe Völker ſind die romaniſchen und ihr Gegenſatz gegen die rein deutſchen und gegen die germano-romaniſchen (Engländer, Belgier) iſt der ganzen neueren Geſchichte weſentlich. Das deutſche Blut bringt einen neuen Bildungstrieb in die römiſche Grundlage, obwohl es faſt zum Unkenntlichen mit dem fremden, gegen deſſen reife Bildung es ſich nicht halten kann, verſchmilzt. In dieſer Verſchmelzung aber bewahren dieſe Völker immer noch etwas von der antiken, d. h. der objectiven, bruchloſen, in Einheit der Natur und des Geiſtes frei ergoſſenen Weiſe des Daſeins und unterſcheiden ſich dadurch ſtreng von den unvermiſcht deutſchen. Der Gegenſatz tritt nicht ſogleich, ſondern erſt durch den Vertrag von Verdün, durch das Steigen des Papſtthums in Italien, durch die Iſolirung Spaniens hervor; es iſt aber höchſt wichtig, daß auch in dieſer Beziehung die nun entſtehende neue Welt ſich über einen Bruch bewegt. Im Alterthum iſt immer nur Ein Volk modern, Culturvolk, von nun an ſind es zwei gegenſätzliche, rivaliſirende Völker- gruppen. Vorläufig jedoch können auch die unvermiſcht deutſchen Völker
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ſichtlichkeit, organiſche Einheit. Hierüber vergl. namentlich Gervinus
Geſch. d. poet. National-Literatur d. Deutſch. Bd. 1.
§. 356.
Zugleich treffen aber die Germanen im römiſchen Volke und bei den von
ihm latiniſirten Nationen die eigentlichen Culturformen der römiſchen Welt an,
vermiſchen ſich mit dieſen Völkern und nehmen jene auf. Das Letztere geſchieht
auch bei den Deutſchen, die unvermiſcht in ihrer Heimath bleiben; es bereitet
ſich aber der Gegenſatz der romaniſchen und deutſchen Völker vor, der als
weiterer Bruch die nun entſtehende neue Welt von der geſchloſſenen nationalen
Einheit der antiken ſtreng unterſcheidet.
In Italien vermiſchen ſich Gothen und Longobarden mit Römern,
in Spanien und Portugall Sueven, Vandalen, dann ſiegreich Weſtgothen
mit latiniſirten Kelt-Iberern, ſpäter tritt hier als wichtiges Moment die
Eroberung der Araber ein; in Gallien miſchen ſich Burgunden und Franken
mit latiniſirten, durch ihre Beweglichkeit, ihr aufloderndes Feuer, ihre
ſchwarzen Haare und Augen, ihre ovale, ſchwungvoller geſchnittene Geſichts-
form den Römern ſchon urſprünglich weniger fremden Kelten, Hier iſt
der deutſche Einſchlag am ſtärkſten und vermehrt ſich noch durch die
Niederlaſſung der Normanen an der Nordküſte, jener kühnen Seefahrer,
deren Züge weſentlich zur Ausbildung des Ritterlichen beitrugen und
welche ſpäter ſelbſt romaniſirt einen Theil romaniſchen Feuers mit ihrer
Eroberung zu den Angelſachſen nach England tragen. So entſtehen die
Italiener, Spanier, Franzoſen; dieſe Völker ſind die romaniſchen und ihr
Gegenſatz gegen die rein deutſchen und gegen die germano-romaniſchen
(Engländer, Belgier) iſt der ganzen neueren Geſchichte weſentlich. Das
deutſche Blut bringt einen neuen Bildungstrieb in die römiſche Grundlage,
obwohl es faſt zum Unkenntlichen mit dem fremden, gegen deſſen reife
Bildung es ſich nicht halten kann, verſchmilzt. In dieſer Verſchmelzung
aber bewahren dieſe Völker immer noch etwas von der antiken, d. h.
der objectiven, bruchloſen, in Einheit der Natur und des Geiſtes frei
ergoſſenen Weiſe des Daſeins und unterſcheiden ſich dadurch ſtreng von
den unvermiſcht deutſchen. Der Gegenſatz tritt nicht ſogleich, ſondern erſt
durch den Vertrag von Verdün, durch das Steigen des Papſtthums in
Italien, durch die Iſolirung Spaniens hervor; es iſt aber höchſt wichtig,
daß auch in dieſer Beziehung die nun entſtehende neue Welt ſich über
einen Bruch bewegt. Im Alterthum iſt immer nur Ein Volk modern,
Culturvolk, von nun an ſind es zwei gegenſätzliche, rivaliſirende Völker-
gruppen. Vorläufig jedoch können auch die unvermiſcht deutſchen Völker
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/263>, abgerufen am 16.07.2024.
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