Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
diese auch für die Naturwissenschaft Störungen sind, so ist queere Bildung Wenn wir nun behaupten, daß auf solche Weise die Aesthetik und
dieſe auch für die Naturwiſſenſchaft Störungen ſind, ſo iſt queere Bildung Wenn wir nun behaupten, daß auf ſolche Weiſe die Aeſthetik und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0028" n="16"/> dieſe auch für die Naturwiſſenſchaft Störungen ſind, ſo iſt queere Bildung<lb/> auch für ſie, obwohl nothwendig und geſetzmäßig zuſammenhängend, wenn<lb/> ſie die Gattung nur mit ſich vergleicht, doch, wenn ſie das Thierreich über-<lb/> blickt und das Zuſammengehören der Glieder in anderen Stufen an die vor-<lb/> liegende hält, auffallend und gewaltſam. Die Aeſthetik aber nennt auch<lb/> dieß häßlich und ſtößt es von ſich. Die Naturwiſſenſchaft hebt nun das<lb/> Gefühl der Zweckwidrigkeit, das auch ihre Einſicht in die verworrene<lb/> Bildung als ſolche (wie oben in die Entſtellung als Entſtellung) begleitet,<lb/> durch die weitere Einſicht auf, daß unter ſolchen Bedingungen und auf<lb/> ſolcher Stufe nichts Anderes entſtehen konnte, daß, wie die Krankheit ihre<lb/> Geſetze hat, auch das ſeltſam gebildete Thier gerade die Organe beſitzt,<lb/> die es auf ſeiner Stufe haben kann und braucht. Dieß beruht aber auf<lb/> einer weitſchichtigen Unterſuchung, wogegen im Schönen das Häßliche in<lb/> Einem und demſelben Zuſammenhang raſch in das Licht des Erhabenen<lb/> oder Komiſchen gerückt wird. Dieß Letztere erſt begründet den ganzen<lb/> Unterſchied. Raſch, in Einem Acte, muß für die äſthetiſche Anſchauung<lb/> das Häßliche umſchlagen; langſam auf dem Wege der Forſchung wird<lb/> für die Wiſſenſchaft das Zweckwidrige zu einem Nothwendigen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Wenn wir nun behaupten, daß auf ſolche Weiſe die Aeſthetik und<lb/> die Naturwiſſenſchaft auseinander gehen, ſo iſt dieß etwas ganz Anderes,<lb/> als wenn wir behaupteten, es gebe nichts (Schönes und nichts) Häßliches<lb/> in der Natur (ſondern nur in der Phantaſie und Kunſt). Auch noch<lb/> ehe wir die Kunſt kennen, behaupten wir ein Schönes und Häßliches,<lb/> ſowie ein in das Erhabene oder Komiſche übergehendes Häßliches, das<lb/> in der Natur vor uns tritt; nur ſagen wir aus, daß dieß vermöge einer<lb/> andern Betrachtungsweiſe geſchehe, als vermöge der naturwiſſenſchaftlichen,<lb/> durch diejenige nämlich, welche nur die Geſammtwirkung der Oberfläche<lb/> im Auge hat. Liegt es im Unterſchiede der Betrachtungsweiſen, ſo iſt ja<lb/> aber, wird man uns einwenden, der ſubjective Sitz des Schönen eben-<lb/> hiemit ſchon ausgeſprochen. Wir antworten darauf: dieß heißt zu viel,<lb/> alſo nichts beweiſen. Das Subject iſt in jedem Prädikate, das ich einem<lb/> Objecte gebe, mitgeſetzt, allein es kommt darauf an, welche ſeiner Seiten<lb/> das Object dem Subjecte entgegenhält. Freilich kann das Subject mit<lb/> Willkühr den Gegenſtand wenden und drehen und dann tritt ein Verhältniß<lb/> ein, wo dieſer durch jenes beſtimmt erſcheint; dieß gehört dann ſchon in<lb/> die Lehre von der Phantaſie, wo unſere ganze Betrachtung ſubjectiv<lb/> werden wird; allein auch ohne dieſen willkührlich beſtimmenden Act des<lb/> Subjects und außer ihm wechſelt das Object ſo ſeine Seiten, daß der<lb/> beſtimmende Eindruck von ihm ausgeht, und davon iſt jetzt die Rede.<lb/> Die Häßlichkeit des Crokodils geht auch ohne beſonderen Act der Phantaſie<lb/> auf Seiten des Zuſchauers in den äſthetiſchen Eindruck des Furchtbaren<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0028]
dieſe auch für die Naturwiſſenſchaft Störungen ſind, ſo iſt queere Bildung
auch für ſie, obwohl nothwendig und geſetzmäßig zuſammenhängend, wenn
ſie die Gattung nur mit ſich vergleicht, doch, wenn ſie das Thierreich über-
blickt und das Zuſammengehören der Glieder in anderen Stufen an die vor-
liegende hält, auffallend und gewaltſam. Die Aeſthetik aber nennt auch
dieß häßlich und ſtößt es von ſich. Die Naturwiſſenſchaft hebt nun das
Gefühl der Zweckwidrigkeit, das auch ihre Einſicht in die verworrene
Bildung als ſolche (wie oben in die Entſtellung als Entſtellung) begleitet,
durch die weitere Einſicht auf, daß unter ſolchen Bedingungen und auf
ſolcher Stufe nichts Anderes entſtehen konnte, daß, wie die Krankheit ihre
Geſetze hat, auch das ſeltſam gebildete Thier gerade die Organe beſitzt,
die es auf ſeiner Stufe haben kann und braucht. Dieß beruht aber auf
einer weitſchichtigen Unterſuchung, wogegen im Schönen das Häßliche in
Einem und demſelben Zuſammenhang raſch in das Licht des Erhabenen
oder Komiſchen gerückt wird. Dieß Letztere erſt begründet den ganzen
Unterſchied. Raſch, in Einem Acte, muß für die äſthetiſche Anſchauung
das Häßliche umſchlagen; langſam auf dem Wege der Forſchung wird
für die Wiſſenſchaft das Zweckwidrige zu einem Nothwendigen.
Wenn wir nun behaupten, daß auf ſolche Weiſe die Aeſthetik und
die Naturwiſſenſchaft auseinander gehen, ſo iſt dieß etwas ganz Anderes,
als wenn wir behaupteten, es gebe nichts (Schönes und nichts) Häßliches
in der Natur (ſondern nur in der Phantaſie und Kunſt). Auch noch
ehe wir die Kunſt kennen, behaupten wir ein Schönes und Häßliches,
ſowie ein in das Erhabene oder Komiſche übergehendes Häßliches, das
in der Natur vor uns tritt; nur ſagen wir aus, daß dieß vermöge einer
andern Betrachtungsweiſe geſchehe, als vermöge der naturwiſſenſchaftlichen,
durch diejenige nämlich, welche nur die Geſammtwirkung der Oberfläche
im Auge hat. Liegt es im Unterſchiede der Betrachtungsweiſen, ſo iſt ja
aber, wird man uns einwenden, der ſubjective Sitz des Schönen eben-
hiemit ſchon ausgeſprochen. Wir antworten darauf: dieß heißt zu viel,
alſo nichts beweiſen. Das Subject iſt in jedem Prädikate, das ich einem
Objecte gebe, mitgeſetzt, allein es kommt darauf an, welche ſeiner Seiten
das Object dem Subjecte entgegenhält. Freilich kann das Subject mit
Willkühr den Gegenſtand wenden und drehen und dann tritt ein Verhältniß
ein, wo dieſer durch jenes beſtimmt erſcheint; dieß gehört dann ſchon in
die Lehre von der Phantaſie, wo unſere ganze Betrachtung ſubjectiv
werden wird; allein auch ohne dieſen willkührlich beſtimmenden Act des
Subjects und außer ihm wechſelt das Object ſo ſeine Seiten, daß der
beſtimmende Eindruck von ihm ausgeht, und davon iſt jetzt die Rede.
Die Häßlichkeit des Crokodils geht auch ohne beſonderen Act der Phantaſie
auf Seiten des Zuſchauers in den äſthetiſchen Eindruck des Furchtbaren
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