Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
nur die weiten Puffen am Oberschenkel, von da steckt das Bein in
nur die weiten Puffen am Oberſchenkel, von da ſteckt das Bein in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0290" n="278"/> nur die weiten Puffen am Oberſchenkel, von da ſteckt das Bein in<lb/> enganliegender (meiſt ſeidener) Hoſe, den Oberleib ziert ein mit Puffen<lb/> und Treſſen beſetztes Wamms, darüber ein kurzer Mantel, den Hals<lb/> umgibt ſcheibenförmig der gefältelte Kragen, der längere Haare gar nicht<lb/> zulaſſen würde. Doch dieſe Tracht kann ſich als höfiſche nur kurze Zeit<lb/> halten; das ſpaniſche Beinkleid weicht wieder dem bequemen, mäßig<lb/> weiten, unten offenen, das Mäntelchen dem Rocke, das Barett oder<lb/> der mit der ſpaniſchen Tracht ebenſo häufig vorkommende Spitzhut dem<lb/> breitkrämpigen Hute, jene leidenſchaftlich bewegten, der Freilaſſung der<lb/> Perſönlichkeit entſprechenden Formen aus der Reformationszeit dringen<lb/> wieder ein und bilden die Tracht der Zeit des dreißigjährigen Krieges.<lb/> Aus dem brüchigen, verbogenen, verkniffenen, auf einer beliebigen Seite<lb/> aufgekrämpten, federngeſchmückten Hute ſchaut mit einem kecken, pathetiſchen,<lb/> naturaliſtiſch genialen Wurfe das Angeſicht jener Männer aus einer ſo<lb/> ſtürmiſchen, ſo wilden, ſo energiſchen und zugleich perfiden Zeit. Das<lb/> Haar wächst wieder frei und fällt auf den Kragen, der ſich nun glatt<lb/> über die Schulter legt (der letzte Reſt deſſelben ſind die Prieſterbäffchen),<lb/> der Bart ſtutzt ſich zum muthwillig aufgedrehten Zwickelbärtchen und<lb/> ſchmalen Knebelbart. Die gegebenen Formen wurden nun mit wachſender<lb/> Willkühr im Einzelnen gebogen, ausgeſchweift, dreſſirt und die Klagen<lb/> über das insbeſondere von Frankreich eindringende „Alamodeweſen“ immer<lb/> häufiger, ſtärker. Philander von Sittewald (Moſcheroſch) ſagt z. B. von<lb/> den Hüten: jetzt wie ein Ankenhafen, dann wie ein Zuckerhut, wie ein<lb/> Cardinalshut; da ein Stilp ellenbreit, dort ein Stilp fingersbreit; dann<lb/> von Geißenhaar, dann von Kameelshaar, dann von Biberhaar, von<lb/> Affenhaar, von Narrenhaar; dann ein Hut als ein Schwarzwälderkäs,<lb/> dann wie ein Schweizerkäs, dann wie ein Münſterkäs. Der Bart, ſagt<lb/> er, werde alle Morgen mit Eiſen und Feuer gepeinigt, gefoltert und<lb/> gemartert, gezogen und gezerrt: jetzt wie ein Zirkelbärtel, jetzt ein Schnecken-<lb/> bärtel, bald ein Jungfrauenbärtel, ein Dellerbärtel, ein Spitzbärtel, ein<lb/> Entenwädele, ein Schmalbärtel, ein Zuckerbärtel, ein Türkenbärtel, ein<lb/> ſpaniſch Bärtel, ein italieniſch Bärtel, ein Sonntagsbärtel, ein Oſterbärtel,<lb/> ein Lillbärtel, ein Spillbärtel, ein Drillbärtel, ein Schmutzbärtel, ein<lb/> Stutzbärtel, ein Trutzbärtel u. ſ. w. Die Kleidung wird im Allgemeinen<lb/> ſo überladen, daß „Einer eine ganze Mühl, einen Meierhof, ein ganz<lb/> Dorf auf dem Leibe trägt.“ Bauſchig wird auch die Weiberkleidung; es<lb/> herrſchen ſehr weite Aermel und als Vorbote des Reifrocks kommt der<lb/> ſogenannte Speck auf, ein oft 25 Pfund ſchwerer Wulſt um die Hüfte.<lb/> An den Beinkleidern der Männer wird mit Neſteln, Strumpfbändern,<lb/> Stickereien, Metallſtiften u. ſ. w. großer Staat gemacht, die Schuhe<lb/> ſchmücken große Roſen, das Rohr des Stiefels ladet ſich im Stulpſtiefel<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [278/0290]
nur die weiten Puffen am Oberſchenkel, von da ſteckt das Bein in
enganliegender (meiſt ſeidener) Hoſe, den Oberleib ziert ein mit Puffen
und Treſſen beſetztes Wamms, darüber ein kurzer Mantel, den Hals
umgibt ſcheibenförmig der gefältelte Kragen, der längere Haare gar nicht
zulaſſen würde. Doch dieſe Tracht kann ſich als höfiſche nur kurze Zeit
halten; das ſpaniſche Beinkleid weicht wieder dem bequemen, mäßig
weiten, unten offenen, das Mäntelchen dem Rocke, das Barett oder
der mit der ſpaniſchen Tracht ebenſo häufig vorkommende Spitzhut dem
breitkrämpigen Hute, jene leidenſchaftlich bewegten, der Freilaſſung der
Perſönlichkeit entſprechenden Formen aus der Reformationszeit dringen
wieder ein und bilden die Tracht der Zeit des dreißigjährigen Krieges.
Aus dem brüchigen, verbogenen, verkniffenen, auf einer beliebigen Seite
aufgekrämpten, federngeſchmückten Hute ſchaut mit einem kecken, pathetiſchen,
naturaliſtiſch genialen Wurfe das Angeſicht jener Männer aus einer ſo
ſtürmiſchen, ſo wilden, ſo energiſchen und zugleich perfiden Zeit. Das
Haar wächst wieder frei und fällt auf den Kragen, der ſich nun glatt
über die Schulter legt (der letzte Reſt deſſelben ſind die Prieſterbäffchen),
der Bart ſtutzt ſich zum muthwillig aufgedrehten Zwickelbärtchen und
ſchmalen Knebelbart. Die gegebenen Formen wurden nun mit wachſender
Willkühr im Einzelnen gebogen, ausgeſchweift, dreſſirt und die Klagen
über das insbeſondere von Frankreich eindringende „Alamodeweſen“ immer
häufiger, ſtärker. Philander von Sittewald (Moſcheroſch) ſagt z. B. von
den Hüten: jetzt wie ein Ankenhafen, dann wie ein Zuckerhut, wie ein
Cardinalshut; da ein Stilp ellenbreit, dort ein Stilp fingersbreit; dann
von Geißenhaar, dann von Kameelshaar, dann von Biberhaar, von
Affenhaar, von Narrenhaar; dann ein Hut als ein Schwarzwälderkäs,
dann wie ein Schweizerkäs, dann wie ein Münſterkäs. Der Bart, ſagt
er, werde alle Morgen mit Eiſen und Feuer gepeinigt, gefoltert und
gemartert, gezogen und gezerrt: jetzt wie ein Zirkelbärtel, jetzt ein Schnecken-
bärtel, bald ein Jungfrauenbärtel, ein Dellerbärtel, ein Spitzbärtel, ein
Entenwädele, ein Schmalbärtel, ein Zuckerbärtel, ein Türkenbärtel, ein
ſpaniſch Bärtel, ein italieniſch Bärtel, ein Sonntagsbärtel, ein Oſterbärtel,
ein Lillbärtel, ein Spillbärtel, ein Drillbärtel, ein Schmutzbärtel, ein
Stutzbärtel, ein Trutzbärtel u. ſ. w. Die Kleidung wird im Allgemeinen
ſo überladen, daß „Einer eine ganze Mühl, einen Meierhof, ein ganz
Dorf auf dem Leibe trägt.“ Bauſchig wird auch die Weiberkleidung; es
herrſchen ſehr weite Aermel und als Vorbote des Reifrocks kommt der
ſogenannte Speck auf, ein oft 25 Pfund ſchwerer Wulſt um die Hüfte.
An den Beinkleidern der Männer wird mit Neſteln, Strumpfbändern,
Stickereien, Metallſtiften u. ſ. w. großer Staat gemacht, die Schuhe
ſchmücken große Roſen, das Rohr des Stiefels ladet ſich im Stulpſtiefel
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