Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.2. Welche Raubsucht und böse Wildheit hinter dem egoistischen §. 373. Der gesammte Ausdruck und die Bewegung der Persönlichkeit nimmt Die herben Ecken, das objectiv Markige verschwindet; süß, zierlich, 2. Welche Raubſucht und böſe Wildheit hinter dem egoiſtiſchen §. 373. Der geſammte Ausdruck und die Bewegung der Perſönlichkeit nimmt Die herben Ecken, das objectiv Markige verſchwindet; ſüß, zierlich, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <pb facs="#f0296" n="284"/> <p> <hi rendition="#et">2. Welche Raubſucht und böſe Wildheit hinter dem egoiſtiſchen<lb/> Verſtande der neuen Politik lauert, zeigen vorzüglich Ludwigs Einfälle in<lb/> Deutſchland, die Verwüſtung der Pfalz, ein tragiſches Bild, ein furcht-<lb/> barer und trauriger Stoff. Durch die Reunionskammern wird die Schmach<lb/> Deutſchlands vollendet. — Inzwiſchen hat ſich mehr und mehr der höhere<lb/> Norden an der Geſchichte betheiligt. Rußland, deſſen halbaſiatiſcher<lb/> Rohheit und Sklaverei Peter der Große deutſche Bildung aufpfropft,<lb/> deſſen verdorbene und blutige Pallaſtgeſchichten den orientaliſchen gleichen,<lb/> kämpft mit Carl <hi rendition="#aq">XII,</hi> dieſem ächt nordiſch deutſchen und mehr eigen-<lb/> ſinnigen, als großen Charakter, den großen nordiſchen Krieg. Preußen<lb/> war durch Friedr. Wilhelm, den großen Churfürſten, bedeutend geworden.<lb/> Friedrich der Große verbreitet franzöſiſche Aufklärung in Preußen und<lb/> vollendet ſo allerdings die Entfremdung Deutſchlands von ſeinen Sitten<lb/> und ſeiner Nationalität, aber er ſchlägt die Franzoſen im Felde und gibt<lb/> der Zeit wieder das Bild eines Helden im ſiebenjährigen Kriege. Seine<lb/> Siege ſind im Volksbewußtſein weſentlich auch Werke der Energie einer<lb/> proteſtantiſchen Macht und Preußen begreift Oeſtreich gegenüber ſeine<lb/> Beſtimmung. Ein treuloſes Werk des politiſchen Gleichgewichts iſt die<lb/> Theilung Polens. Die Polen, ritterlicher und den Franzoſen geiſtes-<lb/> verwandter, als alle anderen Slaven, treten von nun an in die Sympathie<lb/> der Völker. Durch ganz verkehrte Form der Republik ſelbſt an ihrem<lb/> Untergang ſchuldig geben ſie doch durch Feuer und edle Tapferkeit dem<lb/> Schönen nunmehr eine Reihe großer und durch tragiſchen Ausgang<lb/> rührender Stoffe. Der edle Koſeiusko und der tapfere, rohe, barbariſch<lb/> burleske Suwarow ſind ein ſchlagender Gegenſatz. Ob Europa nicht<lb/> gegen Rußland die Rolle Griechenlands gegen Perſien zu ſpielen haben<lb/> wird, ruht im Schooße der Zukunft.</hi> </p> </div><lb/> <div n="7"> <head>§. 373.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Der geſammte Ausdruck und die Bewegung der Perſönlichkeit nimmt<lb/> nun den Charakter der Bewußtheit, der Selbſtbeſpiegelung und der Berechnung<lb/> des Effects an, den höfiſche Zierlichkeit und Feinheit ſucht. Die Culturformen<lb/> entſprechen der ſubjectiven Willkühr des Verſtandes, der die Natur meiſtern will.<lb/> Dieſe wird eingezwängt und mißhandelt, aber man ſucht ſie auch poſitiv zu<lb/> überbieten und die von Frankreich nun geſetzgeberiſch ausgehende Mode ſetzt in<lb/> raſch wechſelnden Formen neben den ängſtlichen Zwang die zerfließende Buntheit,<lb/> den üppigen Auswuchs.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die herben Ecken, das objectiv Markige verſchwindet; ſüß, zierlich,<lb/> roſig, mit Bewußtſein der Wirkungen ihrer tänzeriſchen Grazie ſehen die<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [284/0296]
2. Welche Raubſucht und böſe Wildheit hinter dem egoiſtiſchen
Verſtande der neuen Politik lauert, zeigen vorzüglich Ludwigs Einfälle in
Deutſchland, die Verwüſtung der Pfalz, ein tragiſches Bild, ein furcht-
barer und trauriger Stoff. Durch die Reunionskammern wird die Schmach
Deutſchlands vollendet. — Inzwiſchen hat ſich mehr und mehr der höhere
Norden an der Geſchichte betheiligt. Rußland, deſſen halbaſiatiſcher
Rohheit und Sklaverei Peter der Große deutſche Bildung aufpfropft,
deſſen verdorbene und blutige Pallaſtgeſchichten den orientaliſchen gleichen,
kämpft mit Carl XII, dieſem ächt nordiſch deutſchen und mehr eigen-
ſinnigen, als großen Charakter, den großen nordiſchen Krieg. Preußen
war durch Friedr. Wilhelm, den großen Churfürſten, bedeutend geworden.
Friedrich der Große verbreitet franzöſiſche Aufklärung in Preußen und
vollendet ſo allerdings die Entfremdung Deutſchlands von ſeinen Sitten
und ſeiner Nationalität, aber er ſchlägt die Franzoſen im Felde und gibt
der Zeit wieder das Bild eines Helden im ſiebenjährigen Kriege. Seine
Siege ſind im Volksbewußtſein weſentlich auch Werke der Energie einer
proteſtantiſchen Macht und Preußen begreift Oeſtreich gegenüber ſeine
Beſtimmung. Ein treuloſes Werk des politiſchen Gleichgewichts iſt die
Theilung Polens. Die Polen, ritterlicher und den Franzoſen geiſtes-
verwandter, als alle anderen Slaven, treten von nun an in die Sympathie
der Völker. Durch ganz verkehrte Form der Republik ſelbſt an ihrem
Untergang ſchuldig geben ſie doch durch Feuer und edle Tapferkeit dem
Schönen nunmehr eine Reihe großer und durch tragiſchen Ausgang
rührender Stoffe. Der edle Koſeiusko und der tapfere, rohe, barbariſch
burleske Suwarow ſind ein ſchlagender Gegenſatz. Ob Europa nicht
gegen Rußland die Rolle Griechenlands gegen Perſien zu ſpielen haben
wird, ruht im Schooße der Zukunft.
§. 373.
Der geſammte Ausdruck und die Bewegung der Perſönlichkeit nimmt
nun den Charakter der Bewußtheit, der Selbſtbeſpiegelung und der Berechnung
des Effects an, den höfiſche Zierlichkeit und Feinheit ſucht. Die Culturformen
entſprechen der ſubjectiven Willkühr des Verſtandes, der die Natur meiſtern will.
Dieſe wird eingezwängt und mißhandelt, aber man ſucht ſie auch poſitiv zu
überbieten und die von Frankreich nun geſetzgeberiſch ausgehende Mode ſetzt in
raſch wechſelnden Formen neben den ängſtlichen Zwang die zerfließende Buntheit,
den üppigen Auswuchs.
Die herben Ecken, das objectiv Markige verſchwindet; ſüß, zierlich,
roſig, mit Bewußtſein der Wirkungen ihrer tänzeriſchen Grazie ſehen die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |