Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
merte, durch allzuharte Arbeit und schlechte Kost verkrümmte, in der §. 376. So in seinem Innern eine Welt, nach außen thatlos verzehrt sich das1 1. Zerrissenheit ist die vorletzte, Blasirtheit die letzte Form. Die 19*
merte, durch allzuharte Arbeit und ſchlechte Koſt verkrümmte, in der §. 376. So in ſeinem Innern eine Welt, nach außen thatlos verzehrt ſich das1 1. Zerriſſenheit iſt die vorletzte, Blaſirtheit die letzte Form. Die 19*
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merte, durch allzuharte Arbeit und ſchlechte Koſt verkrümmte, in der
Race geſunkene Bauer, der hungrige, verlumpte, murrende Fabrikarbeiter:
wo man ſie auf Märkten, in Wirthshäuſern beiſammen ſieht, da findet
das Auge nirgends die Formen ſchönen Volkslebens.
§. 376.
So in ſeinem Innern eine Welt, nach außen thatlos verzehrt ſich das
Individuum in ſich, wird zerriſſen und dann blaſirt. Völlig naturlos verſchließt
es ſich inmitten der Mittheilung. Gutes und Böſes haßt die Fülle der
Erſcheinung; alle geſellige Bewegung wird flach und unwahr, Sinnlichkeit wird
Lüſternheit, der Freude ſchämt man ſich, Abſichtlichkeit hebt allen Genuß auf.
Den Culturformen hat die Zeit der Revolution auch jene Auswüchſe (§. 373)
abgeſtreift und völlige Kahlheit, armſelige Knappheit, ſchmutzige Farbloſigkeit,
unſtete Bettelei dageweſener Formen zum Geſetz erhoben, während zugleich
eine Menge neuer Erfindungen aus einer Sphäre um die andere die lebendige
Bethätigung der Individualität abſchneidet.
1. Zerriſſenheit iſt die vorletzte, Blaſirtheit die letzte Form. Die
erſtere folgte auf die Sentimentalität, welche uns erſt in der Lehre von
der Phantaſie beſchäftigen wird, allerdings aber bewegteres Leben auch
in die Sitte, alſo in die Stoffwelt einführte. Die Kritik des enttäuſchten
Bewußtſeins zerſtörte ſie und ſchuf die Form der Zerriſſenheit. Da klagte
das Subject noch, daß ihm in der Ueberladung der inneren Geiſteswelt
Täuſchung um Täuſchung hinabſank und wenigſtens Selbſtmord war noch
Stoff. Dem Blaſirten aber iſt auch die Zerriſſenheit noch eine Naivetät,
eine Täuſchung, ein Inhalt. Es wird nun im geſelligen Leben Schande,
die Leidenſchaft, den Charakter, das Pathos herauszulaſſen, dieß wäre
naiv. Indolenz iſt der faſhionable Ton, der kaum noch komiſche Behand-
lung zuläßt (Bulwers Pelham). Alle Geſelligkeit iſt ſtumpf und eine
Lüge geworden. Die Höflichkeit, die Ceremonioſität des vorigen Jahr-
hunderts hatte noch Charakter; jetzt iſt auch dieſe zur Naivetät und jeder
Duft, jede Phantaſie im Umgang, jede vollere Ausladung der Perſön-
lichkeit lächerlich geworden. Faſt das Sprechen iſt zu viel, man tafelt
ſtundenlang lautlos wie das Vieh. Kaum kann man einen Fremden
anreden, Jeder bleibt einſam in ſich. Nicht Auffallen iſt Prinzip, nach
etwas Beſtimmtem Ausſehen iſt gemein. Am kläglichſten ſind die Ver-
gnügungen; verſchwunden ſind die muntern Geſellſchaftſpiele, die gymna-
ſtiſchen Unterhaltungen, unter denen wir z. B. das ſchöne Ballſpiel nennen
wollen, das noch heute bei den italieniſchen Balloneſchlägern ſo herrliche
Stellungen zeigt; das mercurialiſche Kartenſpiel, das perfid ſchweigende,
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