des Unmittelbaren, Begründung einer Bildung bewirken, welche zur Natur zurückkehrt: die wahre Freiheit muß wieder schöne Culturformen erzeugen.
Wie die wahre Freiheit Schönheit bringt, sieht man schon an den Punkten, an denen die Kraft der öffentlichen Meinung jetzt arbeitet: öffentliches Rechtsverfahren ist anschaulich, bildet die Individuen zur Menschheit vorzüglich durch Entwicklung der Beredtsamkeit; Volksbe- waffnung muß mit der Kraft, Gesundheit, dem Selbstgefühl auch die Schönheit heben, und so verhält es sich mit allen Forderungen der Gegenwart. Die Monarchie hatte den Beruf, das Mittelalter in die neue Zeit herüberzuführen, sie hat Ordnung geschafft, ihr Werk ist gethan und die Bestimmung der Zukunft, die Aufgabe besonnenen Fortschritts ist flüssige Allgemeinheit, geistige, nicht sinnlich in dem zufällig geborenen Einen verkörperte Einheit, ein Organismus, der Allen die Freiheit, die Regung, das öffentliche Interesse zum Lebenselemente macht. Möglichste Ausgleichung des Besitzes durch vernünftige Beschränkung des Erbrechts gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Zukunft; gewiß aber ist, daß nur dadurch wieder Schönheit in das Volk kommen kann. Der Abgrund der Armuth, der Schlund der Verbrechen, den das Gebiet des Proleta- riats arbeitet, die Region der mysteres de Paris kann kein Fundort für ächte Schönheit sein, weil dem Furchtbaren die Versöhnung fehlt, wo solche nur in Hoffnungen und Forderungen an die Zukunft liegt. Die Hebung des politischen und socialen Lebens wird aber auf dem Grunde allgemein europäischer Bildung wesentlich zugleich eine Hebung der Nationa- litäten in ihrer Selbständigkeit sein und vielleicht daß diese es vermag, der Herrschaft der abstracten Form auch in der Tracht ein Ende zu machen. Wenn nun auf vielen Punkten das Maschinenmäßige, das immer einen Theil der Formen ertödtet, mit dieser Hebung in gleichem Verhältnisse steigen muß, ja wenn jene von diesem Steigen als einer beschleunigten Macht über die Materie abhängt, so wird doch die innere Belebung des Menschen, die Erfüllung des Individuums mit Geist der Oeffentlichkeit, der Berechtigung im Ganzen einen Kreis übrig behalten, worin sie die Formen erhöhen und erfrischen, verjüngen kann. Diese Verjüngung soll eine Rückkehr der Bildung gegen die Natur zu einer Naturbildung sein. Die Frage, vor der wir stehen, ist diese: ist es denkbar, daß die abstracten Gedanken, die innere Ideenwelt, die jetzt zur That drängt, aus der Ver- mittlung der Reflexion in Unmittelbarkeit umschlagen, zum Sein, zum Naturgewächs werden kann und daß wir einst mit der ganzen Unend- lichkeit unserer inneren Welt, der ganzen Geltung der Individualität und zugleich der ganzen Begründung des Allgemeinen in Gedankenform,
des Unmittelbaren, Begründung einer Bildung bewirken, welche zur Natur zurückkehrt: die wahre Freiheit muß wieder ſchöne Culturformen erzeugen.
Wie die wahre Freiheit Schönheit bringt, ſieht man ſchon an den Punkten, an denen die Kraft der öffentlichen Meinung jetzt arbeitet: öffentliches Rechtsverfahren iſt anſchaulich, bildet die Individuen zur Menſchheit vorzüglich durch Entwicklung der Beredtſamkeit; Volksbe- waffnung muß mit der Kraft, Geſundheit, dem Selbſtgefühl auch die Schönheit heben, und ſo verhält es ſich mit allen Forderungen der Gegenwart. Die Monarchie hatte den Beruf, das Mittelalter in die neue Zeit herüberzuführen, ſie hat Ordnung geſchafft, ihr Werk iſt gethan und die Beſtimmung der Zukunft, die Aufgabe beſonnenen Fortſchritts iſt flüſſige Allgemeinheit, geiſtige, nicht ſinnlich in dem zufällig geborenen Einen verkörperte Einheit, ein Organiſmus, der Allen die Freiheit, die Regung, das öffentliche Intereſſe zum Lebenselemente macht. Möglichſte Ausgleichung des Beſitzes durch vernünftige Beſchränkung des Erbrechts gehört zu den ſchwierigſten Aufgaben der Zukunft; gewiß aber iſt, daß nur dadurch wieder Schönheit in das Volk kommen kann. Der Abgrund der Armuth, der Schlund der Verbrechen, den das Gebiet des Proleta- riats arbeitet, die Region der mystères de Paris kann kein Fundort für ächte Schönheit ſein, weil dem Furchtbaren die Verſöhnung fehlt, wo ſolche nur in Hoffnungen und Forderungen an die Zukunft liegt. Die Hebung des politiſchen und ſocialen Lebens wird aber auf dem Grunde allgemein europäiſcher Bildung weſentlich zugleich eine Hebung der Nationa- litäten in ihrer Selbſtändigkeit ſein und vielleicht daß dieſe es vermag, der Herrſchaft der abſtracten Form auch in der Tracht ein Ende zu machen. Wenn nun auf vielen Punkten das Maſchinenmäßige, das immer einen Theil der Formen ertödtet, mit dieſer Hebung in gleichem Verhältniſſe ſteigen muß, ja wenn jene von dieſem Steigen als einer beſchleunigten Macht über die Materie abhängt, ſo wird doch die innere Belebung des Menſchen, die Erfüllung des Individuums mit Geiſt der Oeffentlichkeit, der Berechtigung im Ganzen einen Kreis übrig behalten, worin ſie die Formen erhöhen und erfriſchen, verjüngen kann. Dieſe Verjüngung ſoll eine Rückkehr der Bildung gegen die Natur zu einer Naturbildung ſein. Die Frage, vor der wir ſtehen, iſt dieſe: iſt es denkbar, daß die abſtracten Gedanken, die innere Ideenwelt, die jetzt zur That drängt, aus der Ver- mittlung der Reflexion in Unmittelbarkeit umſchlagen, zum Sein, zum Naturgewächs werden kann und daß wir einſt mit der ganzen Unend- lichkeit unſerer inneren Welt, der ganzen Geltung der Individualität und zugleich der ganzen Begründung des Allgemeinen in Gedankenform,
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des Unmittelbaren, Begründung einer Bildung bewirken, welche zur Natur
zurückkehrt: die wahre Freiheit muß wieder ſchöne Culturformen erzeugen.
Wie die wahre Freiheit Schönheit bringt, ſieht man ſchon an den
Punkten, an denen die Kraft der öffentlichen Meinung jetzt arbeitet:
öffentliches Rechtsverfahren iſt anſchaulich, bildet die Individuen zur
Menſchheit vorzüglich durch Entwicklung der Beredtſamkeit; Volksbe-
waffnung muß mit der Kraft, Geſundheit, dem Selbſtgefühl auch die
Schönheit heben, und ſo verhält es ſich mit allen Forderungen der
Gegenwart. Die Monarchie hatte den Beruf, das Mittelalter in die
neue Zeit herüberzuführen, ſie hat Ordnung geſchafft, ihr Werk iſt gethan
und die Beſtimmung der Zukunft, die Aufgabe beſonnenen Fortſchritts iſt
flüſſige Allgemeinheit, geiſtige, nicht ſinnlich in dem zufällig geborenen
Einen verkörperte Einheit, ein Organiſmus, der Allen die Freiheit, die
Regung, das öffentliche Intereſſe zum Lebenselemente macht. Möglichſte
Ausgleichung des Beſitzes durch vernünftige Beſchränkung des Erbrechts
gehört zu den ſchwierigſten Aufgaben der Zukunft; gewiß aber iſt, daß
nur dadurch wieder Schönheit in das Volk kommen kann. Der Abgrund
der Armuth, der Schlund der Verbrechen, den das Gebiet des Proleta-
riats arbeitet, die Region der mystères de Paris kann kein Fundort für
ächte Schönheit ſein, weil dem Furchtbaren die Verſöhnung fehlt, wo
ſolche nur in Hoffnungen und Forderungen an die Zukunft liegt. Die
Hebung des politiſchen und ſocialen Lebens wird aber auf dem Grunde
allgemein europäiſcher Bildung weſentlich zugleich eine Hebung der Nationa-
litäten in ihrer Selbſtändigkeit ſein und vielleicht daß dieſe es vermag,
der Herrſchaft der abſtracten Form auch in der Tracht ein Ende zu machen.
Wenn nun auf vielen Punkten das Maſchinenmäßige, das immer einen
Theil der Formen ertödtet, mit dieſer Hebung in gleichem Verhältniſſe
ſteigen muß, ja wenn jene von dieſem Steigen als einer beſchleunigten
Macht über die Materie abhängt, ſo wird doch die innere Belebung des
Menſchen, die Erfüllung des Individuums mit Geiſt der Oeffentlichkeit,
der Berechtigung im Ganzen einen Kreis übrig behalten, worin ſie die
Formen erhöhen und erfriſchen, verjüngen kann. Dieſe Verjüngung ſoll
eine Rückkehr der Bildung gegen die Natur zu einer Naturbildung ſein.
Die Frage, vor der wir ſtehen, iſt dieſe: iſt es denkbar, daß die abſtracten
Gedanken, die innere Ideenwelt, die jetzt zur That drängt, aus der Ver-
mittlung der Reflexion in Unmittelbarkeit umſchlagen, zum Sein, zum
Naturgewächs werden kann und daß wir einſt mit der ganzen Unend-
lichkeit unſerer inneren Welt, der ganzen Geltung der Individualität
und zugleich der ganzen Begründung des Allgemeinen in Gedankenform,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/309>, abgerufen am 17.07.2024.
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