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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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bewegten tragischen Gruppen, wird derselbe Maler in Landschaft, Genre,
Historie gleich sehr Genie sein? Derselbe Dichter in der Tragödie und
Komödie und wieder in der hohen Tragödie und im bürgerlichen Drama,
der hohen Komödie und dem sozialen Lustspiel? Diese Frage zieht sich
wie gesagt in die zweite, im §. aufgeführte Materie hinein.

2. Es sind im Genie selbst wieder Stufen zu unterscheiden und von die-
sen gelten dann die Schlußsätze von §. 402 und 403: je reicher eine Phan-
tasie sei, desto mehr der Arten werde sie umfassen. Allein diesem Umfang
ist nun durch die nothwendige Beschränkung des Genies seine Schranke
gegeben und erhalten nun alle zu jenen §§. gegebenen Bemerkungen
nähere Bestimmung. Ueber die Arten nämlich, welche durch jene zwei
ersten Eintheilungsprinzipien gegeben sind, kann sich das Genie nur soweit
ausdehnen, als diejenige Sphäre, auf die es durch das Eintheilungsprinzip
§. 404 beschränkt ist, sich auf dieselben ausbreitet, und auch dieß wieder
nur in der besondern Begrenzung der aus diesem Prinzip abgeleiteten Un-
terart. So kann also ein bildendes Genie nur entweder ein bauendes,
plastisches oder malendes sein. Der Baukünstler nun mag wohl das
Anmuthige in Tempel und Pallast mit dem Großen und Erhabenen in
Burg und Tempel gleichmäßig umfassen. Ein plastisches Genie hat mit
dem Komischen wenig zu thun; ob es zugleich in mächtigen Götterbildern,
im Genre, in epischen Scenen, in tragisch rührenden Auftritten groß sein
werde, ist nicht leicht zu beantworten; gewiß eher wird es das erste und
dritte, etwa dazu das vierte Feld umspannen, als das erste und zweite,
und, theilen wir das letztere noch einmal in naives und ernstes, immer
noch eher das große Götterbild und das ernste, als das naive Genre.
Ein Maler wird etwa Landschaft und Historie umfassen, ebenfalls aber
schwerlich das Genre dazu, und wieder von diesem eher das ernste, als
das komische, außer sofern dieses bedeutende geschichtliche Beziehungen hat.
Der Genremaler wird eher zugleich Landschaftmaler, als Historienmaler
sein, doch auch jenes schwerlich, wenn er das ergreifendere, reflectirtere
soziale Genre, leichter, wenn er das idyllische anbaut. Ein Musiker wird
schwerlich in Kirchenmusik, liederartiger Melodie und Oper zugleich groß
sein, eher in den beiden letztern und ihren verschiedenen Stimmungen, der
ernsten und heitern. Vom Dichter ist schon zu 1 angedeutet, daß er nicht
leicht in Epos, Lyrik, Drama gleich genial sein kann, wohl aber in Epos
und Lyrik oder in Lyrik und Drama. Nun sondern sich auch hier die
einzelnen Zweige wieder nach der Eintheilung von §. 402 und 403,
und was diese weitere Ausdehnung betrifft, so vergleiche man die bisheri-
gen Bemerkungen.


bewegten tragiſchen Gruppen, wird derſelbe Maler in Landſchaft, Genre,
Hiſtorie gleich ſehr Genie ſein? Derſelbe Dichter in der Tragödie und
Komödie und wieder in der hohen Tragödie und im bürgerlichen Drama,
der hohen Komödie und dem ſozialen Luſtſpiel? Dieſe Frage zieht ſich
wie geſagt in die zweite, im §. aufgeführte Materie hinein.

2. Es ſind im Genie ſelbſt wieder Stufen zu unterſcheiden und von die-
ſen gelten dann die Schlußſätze von §. 402 und 403: je reicher eine Phan-
taſie ſei, deſto mehr der Arten werde ſie umfaſſen. Allein dieſem Umfang
iſt nun durch die nothwendige Beſchränkung des Genies ſeine Schranke
gegeben und erhalten nun alle zu jenen §§. gegebenen Bemerkungen
nähere Beſtimmung. Ueber die Arten nämlich, welche durch jene zwei
erſten Eintheilungsprinzipien gegeben ſind, kann ſich das Genie nur ſoweit
ausdehnen, als diejenige Sphäre, auf die es durch das Eintheilungsprinzip
§. 404 beſchränkt iſt, ſich auf dieſelben ausbreitet, und auch dieß wieder
nur in der beſondern Begrenzung der aus dieſem Prinzip abgeleiteten Un-
terart. So kann alſo ein bildendes Genie nur entweder ein bauendes,
plaſtiſches oder malendes ſein. Der Baukünſtler nun mag wohl das
Anmuthige in Tempel und Pallaſt mit dem Großen und Erhabenen in
Burg und Tempel gleichmäßig umfaſſen. Ein plaſtiſches Genie hat mit
dem Komiſchen wenig zu thun; ob es zugleich in mächtigen Götterbildern,
im Genre, in epiſchen Scenen, in tragiſch rührenden Auftritten groß ſein
werde, iſt nicht leicht zu beantworten; gewiß eher wird es das erſte und
dritte, etwa dazu das vierte Feld umſpannen, als das erſte und zweite,
und, theilen wir das letztere noch einmal in naives und ernſtes, immer
noch eher das große Götterbild und das ernſte, als das naive Genre.
Ein Maler wird etwa Landſchaft und Hiſtorie umfaſſen, ebenfalls aber
ſchwerlich das Genre dazu, und wieder von dieſem eher das ernſte, als
das komiſche, außer ſofern dieſes bedeutende geſchichtliche Beziehungen hat.
Der Genremaler wird eher zugleich Landſchaftmaler, als Hiſtorienmaler
ſein, doch auch jenes ſchwerlich, wenn er das ergreifendere, reflectirtere
ſoziale Genre, leichter, wenn er das idylliſche anbaut. Ein Muſiker wird
ſchwerlich in Kirchenmuſik, liederartiger Melodie und Oper zugleich groß
ſein, eher in den beiden letztern und ihren verſchiedenen Stimmungen, der
ernſten und heitern. Vom Dichter iſt ſchon zu 1 angedeutet, daß er nicht
leicht in Epos, Lyrik, Drama gleich genial ſein kann, wohl aber in Epos
und Lyrik oder in Lyrik und Drama. Nun ſondern ſich auch hier die
einzelnen Zweige wieder nach der Eintheilung von §. 402 und 403,
und was dieſe weitere Ausdehnung betrifft, ſo vergleiche man die bisheri-
gen Bemerkungen.


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[399/0113] bewegten tragiſchen Gruppen, wird derſelbe Maler in Landſchaft, Genre, Hiſtorie gleich ſehr Genie ſein? Derſelbe Dichter in der Tragödie und Komödie und wieder in der hohen Tragödie und im bürgerlichen Drama, der hohen Komödie und dem ſozialen Luſtſpiel? Dieſe Frage zieht ſich wie geſagt in die zweite, im §. aufgeführte Materie hinein. 2. Es ſind im Genie ſelbſt wieder Stufen zu unterſcheiden und von die- ſen gelten dann die Schlußſätze von §. 402 und 403: je reicher eine Phan- taſie ſei, deſto mehr der Arten werde ſie umfaſſen. Allein dieſem Umfang iſt nun durch die nothwendige Beſchränkung des Genies ſeine Schranke gegeben und erhalten nun alle zu jenen §§. gegebenen Bemerkungen nähere Beſtimmung. Ueber die Arten nämlich, welche durch jene zwei erſten Eintheilungsprinzipien gegeben ſind, kann ſich das Genie nur ſoweit ausdehnen, als diejenige Sphäre, auf die es durch das Eintheilungsprinzip §. 404 beſchränkt iſt, ſich auf dieſelben ausbreitet, und auch dieß wieder nur in der beſondern Begrenzung der aus dieſem Prinzip abgeleiteten Un- terart. So kann alſo ein bildendes Genie nur entweder ein bauendes, plaſtiſches oder malendes ſein. Der Baukünſtler nun mag wohl das Anmuthige in Tempel und Pallaſt mit dem Großen und Erhabenen in Burg und Tempel gleichmäßig umfaſſen. Ein plaſtiſches Genie hat mit dem Komiſchen wenig zu thun; ob es zugleich in mächtigen Götterbildern, im Genre, in epiſchen Scenen, in tragiſch rührenden Auftritten groß ſein werde, iſt nicht leicht zu beantworten; gewiß eher wird es das erſte und dritte, etwa dazu das vierte Feld umſpannen, als das erſte und zweite, und, theilen wir das letztere noch einmal in naives und ernſtes, immer noch eher das große Götterbild und das ernſte, als das naive Genre. Ein Maler wird etwa Landſchaft und Hiſtorie umfaſſen, ebenfalls aber ſchwerlich das Genre dazu, und wieder von dieſem eher das ernſte, als das komiſche, außer ſofern dieſes bedeutende geſchichtliche Beziehungen hat. Der Genremaler wird eher zugleich Landſchaftmaler, als Hiſtorienmaler ſein, doch auch jenes ſchwerlich, wenn er das ergreifendere, reflectirtere ſoziale Genre, leichter, wenn er das idylliſche anbaut. Ein Muſiker wird ſchwerlich in Kirchenmuſik, liederartiger Melodie und Oper zugleich groß ſein, eher in den beiden letztern und ihren verſchiedenen Stimmungen, der ernſten und heitern. Vom Dichter iſt ſchon zu 1 angedeutet, daß er nicht leicht in Epos, Lyrik, Drama gleich genial ſein kann, wohl aber in Epos und Lyrik oder in Lyrik und Drama. Nun ſondern ſich auch hier die einzelnen Zweige wieder nach der Eintheilung von §. 402 und 403, und was dieſe weitere Ausdehnung betrifft, ſo vergleiche man die bisheri- gen Bemerkungen.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/113>, abgerufen am 24.11.2024.