Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
mit Inbegriff des, obwohl noch unreifen, menschlich sittlichen Gehalts in ihm 1. In der Anm. 1 zum vorhergehenden §. wurde gesagt, daß auch
mit Inbegriff des, obwohl noch unreifen, menſchlich ſittlichen Gehalts in ihm 1. In der Anm. 1 zum vorhergehenden §. wurde geſagt, daß auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0131" n="417"/> mit Inbegriff des, obwohl noch unreifen, menſchlich ſittlichen Gehalts in ihm<lb/> zu <choice><sic>ſinden</sic><corr>finden</corr></choice>, als die Geſtalten der bewußtloſen Natur, ſo macht ſich der Dualiſ-<lb/> mus dieſer ganzen Lebensform als <hi rendition="#g">ſymboliſches</hi> Verfahren der Phantaſie<lb/> geltend. Das Symbol iſt ein Bild, welches für die bewußtlos verwechſelnde<lb/> Phantaſie durch das äußerliche Band eines bloßen Vergleichungspunkts eine an-<lb/> dere, als die ihm wirklich inwohnende Idee ausdrückt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. In der Anm. <hi rendition="#sub">1</hi> zum vorhergehenden §. wurde geſagt, daß auch<lb/> für die Bildung menſchlich geſtalteter ſittlich bedeutungsvoller Götter die<lb/> Erſcheinungen der bewußtloſen Natur, von deren Auffaſſung und Erhe-<lb/> bung zu abſoluter Bedeutung die Naturreligion ausgeht, noch die Grund-<lb/> lage bleiben. Alle griechiſchen Götter tragen noch dieſe Reminiſcenz an<lb/> ſich. Allein die Religion, die zur menſchlichen Götterbildung fortſchreitet<lb/> und ſie zu ihrem Mittelpunkte macht, nimmt dann doch noch einen zwei-<lb/> ten Anſatz und ſetzt jene Grundlage zu einem bloßen Nachklang herab;<lb/> die orientaliſche Religion aber bleibt auf jener Grundlage ſtehen und er-<lb/> hebt ſich, wie ſich im folg<supplied>.</supplied> §. zeigen wird, nur halb zu dem genannten<lb/> zweiten Anſatz. Man kann die Sache ſehr einfach ſo ausdrücken: alle<lb/> Religion ſucht einen Ausdruck für das Allgemeine, Herrſchende, Ueber-<lb/> greifende. Um nun dieſes als geiſtige Macht in der menſchlichen Geſtalt<lb/> als wirklich anzuſchauen, dazu iſt dem ſinnlichen Auge des Orien-<lb/> talen der Menſch zu <hi rendition="#g">klein</hi>; der Himmel, das Licht, die Luft, die Berge,<lb/> die Waſſer, die Bäume, die Thiere ſind umſpannend, umwehend, über-<lb/> ſtrahlend, überragend, Alles nährend, weitſchattend, ſtark und in ein<lb/> Dunkel des Inſtincts gebannt, das auf einen geheimnißvollen Abgrund<lb/> hinweist; der Menſch ſcheint dagegen ein geringer und ſchwacher Punkt,<lb/> er hat alles Leben und Gedeihen erſt von den allgemeinen Naturmächten<lb/> zu empfangen und ſeine Reflexion, ſein Wille iſt nichtig gegen dieſe dun-<lb/> keln Mächte. Wohl iſt Gefühl des Guten, der ſittlichen Sphären da,<lb/> wohl ſucht die Phantaſie eine Form, worin ſie auch dieſen Gehalt nie-<lb/> derlege; aber die ſittliche Ordnung hat ja ſelbſt Naturbedingungen zur<lb/> Vorausſetzung; der Staat ruht auf dem Ackerbau, dieſer hängt von Wind<lb/> und Wetter ab: dieſe Beziehung iſt die erſte, welche den Naturvölkern<lb/> in’s Auge fällt, und ſo liegt es ihnen z. B., um eine mythiſche Form zu<lb/> anticipiren, ganz nahe, den Gott des Firmaments zum Gründer der Staa-<lb/> ten zu machen. Faſt könnte man ſagen, das Wetter ſei überhaupt der<lb/> Gott der älteſten Naturreligion. Doch es iſt jetzt noch nicht von Göttern<lb/> die Rede; genug, die Phantaſie der Völker, deren Lebensform noch un-<lb/> perſönlich genannt werden muß, denen die ethiſche Einheit noch abgeht,<lb/> wird nach den Erſcheinungen der unperſönlichen Natur greifen, alſo zur<lb/> landſchaftlichen und organiſchen thieriſchen Art der Phantaſie (§. 403)<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [417/0131]
mit Inbegriff des, obwohl noch unreifen, menſchlich ſittlichen Gehalts in ihm
zu finden, als die Geſtalten der bewußtloſen Natur, ſo macht ſich der Dualiſ-
mus dieſer ganzen Lebensform als ſymboliſches Verfahren der Phantaſie
geltend. Das Symbol iſt ein Bild, welches für die bewußtlos verwechſelnde
Phantaſie durch das äußerliche Band eines bloßen Vergleichungspunkts eine an-
dere, als die ihm wirklich inwohnende Idee ausdrückt.
1. In der Anm. 1 zum vorhergehenden §. wurde geſagt, daß auch
für die Bildung menſchlich geſtalteter ſittlich bedeutungsvoller Götter die
Erſcheinungen der bewußtloſen Natur, von deren Auffaſſung und Erhe-
bung zu abſoluter Bedeutung die Naturreligion ausgeht, noch die Grund-
lage bleiben. Alle griechiſchen Götter tragen noch dieſe Reminiſcenz an
ſich. Allein die Religion, die zur menſchlichen Götterbildung fortſchreitet
und ſie zu ihrem Mittelpunkte macht, nimmt dann doch noch einen zwei-
ten Anſatz und ſetzt jene Grundlage zu einem bloßen Nachklang herab;
die orientaliſche Religion aber bleibt auf jener Grundlage ſtehen und er-
hebt ſich, wie ſich im folg. §. zeigen wird, nur halb zu dem genannten
zweiten Anſatz. Man kann die Sache ſehr einfach ſo ausdrücken: alle
Religion ſucht einen Ausdruck für das Allgemeine, Herrſchende, Ueber-
greifende. Um nun dieſes als geiſtige Macht in der menſchlichen Geſtalt
als wirklich anzuſchauen, dazu iſt dem ſinnlichen Auge des Orien-
talen der Menſch zu klein; der Himmel, das Licht, die Luft, die Berge,
die Waſſer, die Bäume, die Thiere ſind umſpannend, umwehend, über-
ſtrahlend, überragend, Alles nährend, weitſchattend, ſtark und in ein
Dunkel des Inſtincts gebannt, das auf einen geheimnißvollen Abgrund
hinweist; der Menſch ſcheint dagegen ein geringer und ſchwacher Punkt,
er hat alles Leben und Gedeihen erſt von den allgemeinen Naturmächten
zu empfangen und ſeine Reflexion, ſein Wille iſt nichtig gegen dieſe dun-
keln Mächte. Wohl iſt Gefühl des Guten, der ſittlichen Sphären da,
wohl ſucht die Phantaſie eine Form, worin ſie auch dieſen Gehalt nie-
derlege; aber die ſittliche Ordnung hat ja ſelbſt Naturbedingungen zur
Vorausſetzung; der Staat ruht auf dem Ackerbau, dieſer hängt von Wind
und Wetter ab: dieſe Beziehung iſt die erſte, welche den Naturvölkern
in’s Auge fällt, und ſo liegt es ihnen z. B., um eine mythiſche Form zu
anticipiren, ganz nahe, den Gott des Firmaments zum Gründer der Staa-
ten zu machen. Faſt könnte man ſagen, das Wetter ſei überhaupt der
Gott der älteſten Naturreligion. Doch es iſt jetzt noch nicht von Göttern
die Rede; genug, die Phantaſie der Völker, deren Lebensform noch un-
perſönlich genannt werden muß, denen die ethiſche Einheit noch abgeht,
wird nach den Erſcheinungen der unperſönlichen Natur greifen, alſo zur
landſchaftlichen und organiſchen thieriſchen Art der Phantaſie (§. 403)
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |