Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
Phantasie durch ein Naturschönes (§. 393) so von selbst versteht, daß 2. Es ist eine ganz verschiedene, zweite Reihe von Phantasiethätig-
Phantaſie durch ein Naturſchönes (§. 393) ſo von ſelbſt verſteht, daß 2. Es iſt eine ganz verſchiedene, zweite Reihe von Phantaſiethätig- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0134" n="420"/> Phantaſie durch ein Naturſchönes (§. 393) ſo von ſelbſt verſteht, daß<lb/> wir die <hi rendition="#g">Einzelnheit</hi> des Objects im Symbole (vergl. Baur Symb.<lb/> und Mythol. Th. 1 S. 7) nicht beſonders hervorzuheben brauchen. Die<lb/> großen Berge, Ströme u. ſ. w. ſind das Erregende für die ſymboliſche<lb/> Phantaſie; Ormuzd iſt das Licht im Lichte, aber vorzüglich die Sonne,<lb/> Oſiris Urkraft, aber vorzüglich der Nil. Man kann ſich das Staunen<lb/> der Naturvölker über die gewaltigen Natur-Erſcheinungen nicht lebhaft,<lb/> naiv genug, die Iſolirung dieſer Objecte durch die Unkenntniß der Ge-<lb/> ſetze des allgemeinen Naturzuſammenhangs nicht deutlich genug vorſtellen.<lb/> Aber das Hineinſchauen des Schönen in ein gegebenes Object genügt<lb/> auch der allgemeinen Phantaſie nicht (§. 416); auch ſie ſetzt es innerlich<lb/> und geſtaltet das Abbild zu einem Anderen um, ſtellt das Urbild in ihm<lb/> her, aber ſie thut es in einem andern Sinn, als die beſondere, die freie<lb/> Phantaſie, nicht im Sinne der reinen Schönheit; der Gegenſtand wird<lb/> nur in der Richtung des Symbols erhöht, der Vergleichungspunkt ver-<lb/> ſtärkt, und wie wenig dadurch die Schönheit als ſolche gewinnt, werden<lb/> wir ſehen. Innerhalb dieſer Richtung aber iſt der Schritt zum Herein-<lb/> nehmen des Gegenſtands in’s Innere, das Setzen eines Abbilds wichtig;<lb/> es vollziehen ihn zwar irgendwie alle Natur-Religionen, aber ſie ſtehen<lb/> je um ſo viel höher, als die Anſchauung nur der Ausgangspunkt bleibt,<lb/> von welchem zur ſelbſtthätigen Abbildung (der innern und daher natür-<lb/> lich auch der äußern) geſchritten wird (vergl. Hegel Aeſth. B. 1, S. 429<lb/> und die Unterſcheidung von Natur- und Kunſt-Symbol Baur a. a. O. Th. 1,<lb/> S. 9). Wir verlaſſen jedoch zunächſt dieſe Linie der Phantaſiethätigkeit,<lb/> die Symbolbildende, um erſt eine ganz andere aufzunehmen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Es iſt eine ganz verſchiedene, zweite Reihe von Phantaſiethätig-<lb/> keit, ein Weg zu einem ganz andern Ziele, was hier eingeführt wird.<lb/><hi rendition="#g">Der Natur einen Menſchen unterlegen</hi>, in Quellen, Bergen,<lb/> Sternen, Meer und Himmel, Bäumen ſchlagende Herzen ahnen iſt <hi rendition="#g">nicht<lb/> ſymboliſch</hi>. Zunächſt iſt es überhaupt ein Act der Phantaſie, der be-<lb/> ſondern wie der allgemeinen, der freien wie der unfreien, vergl. §. 240.<lb/> 271; aber die allgemeine, die unfreie Phantaſie unterſcheidet ſich hierin<lb/> von der freien dadurch, daß ſie aus dieſem Leihen Ernſt macht und in<lb/> den hervorragenden Erſcheinungen der Natur Geiſter, Dämonen, Genien<lb/> wirklich und ohne den ſtillen Vorbehalt, es nicht in bitterem Ernſte zu<lb/> glauben, der die freie Phantaſie begleitet, zu vernehmen überzeugt iſt,<lb/> und in der unfreien Phantaſie iſt es wieder die ſymboliſche, welche<lb/> eigentlich am nöthigſten hat, daraus Ernſt zu machen; denn menſchlich<lb/> ſittlichen Gehalt begreift ja auch ſie in ihrer Idee vom Abſoluten, das<lb/> eigentliche Gefäß aber, in das ſie ihn lege, die menſchliche Geſtalt, hat<lb/> ſie nicht bereit, denn dahin geht ja urſprünglich ihr Umfang nicht; ſie<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [420/0134]
Phantaſie durch ein Naturſchönes (§. 393) ſo von ſelbſt verſteht, daß
wir die Einzelnheit des Objects im Symbole (vergl. Baur Symb.
und Mythol. Th. 1 S. 7) nicht beſonders hervorzuheben brauchen. Die
großen Berge, Ströme u. ſ. w. ſind das Erregende für die ſymboliſche
Phantaſie; Ormuzd iſt das Licht im Lichte, aber vorzüglich die Sonne,
Oſiris Urkraft, aber vorzüglich der Nil. Man kann ſich das Staunen
der Naturvölker über die gewaltigen Natur-Erſcheinungen nicht lebhaft,
naiv genug, die Iſolirung dieſer Objecte durch die Unkenntniß der Ge-
ſetze des allgemeinen Naturzuſammenhangs nicht deutlich genug vorſtellen.
Aber das Hineinſchauen des Schönen in ein gegebenes Object genügt
auch der allgemeinen Phantaſie nicht (§. 416); auch ſie ſetzt es innerlich
und geſtaltet das Abbild zu einem Anderen um, ſtellt das Urbild in ihm
her, aber ſie thut es in einem andern Sinn, als die beſondere, die freie
Phantaſie, nicht im Sinne der reinen Schönheit; der Gegenſtand wird
nur in der Richtung des Symbols erhöht, der Vergleichungspunkt ver-
ſtärkt, und wie wenig dadurch die Schönheit als ſolche gewinnt, werden
wir ſehen. Innerhalb dieſer Richtung aber iſt der Schritt zum Herein-
nehmen des Gegenſtands in’s Innere, das Setzen eines Abbilds wichtig;
es vollziehen ihn zwar irgendwie alle Natur-Religionen, aber ſie ſtehen
je um ſo viel höher, als die Anſchauung nur der Ausgangspunkt bleibt,
von welchem zur ſelbſtthätigen Abbildung (der innern und daher natür-
lich auch der äußern) geſchritten wird (vergl. Hegel Aeſth. B. 1, S. 429
und die Unterſcheidung von Natur- und Kunſt-Symbol Baur a. a. O. Th. 1,
S. 9). Wir verlaſſen jedoch zunächſt dieſe Linie der Phantaſiethätigkeit,
die Symbolbildende, um erſt eine ganz andere aufzunehmen.
2. Es iſt eine ganz verſchiedene, zweite Reihe von Phantaſiethätig-
keit, ein Weg zu einem ganz andern Ziele, was hier eingeführt wird.
Der Natur einen Menſchen unterlegen, in Quellen, Bergen,
Sternen, Meer und Himmel, Bäumen ſchlagende Herzen ahnen iſt nicht
ſymboliſch. Zunächſt iſt es überhaupt ein Act der Phantaſie, der be-
ſondern wie der allgemeinen, der freien wie der unfreien, vergl. §. 240.
271; aber die allgemeine, die unfreie Phantaſie unterſcheidet ſich hierin
von der freien dadurch, daß ſie aus dieſem Leihen Ernſt macht und in
den hervorragenden Erſcheinungen der Natur Geiſter, Dämonen, Genien
wirklich und ohne den ſtillen Vorbehalt, es nicht in bitterem Ernſte zu
glauben, der die freie Phantaſie begleitet, zu vernehmen überzeugt iſt,
und in der unfreien Phantaſie iſt es wieder die ſymboliſche, welche
eigentlich am nöthigſten hat, daraus Ernſt zu machen; denn menſchlich
ſittlichen Gehalt begreift ja auch ſie in ihrer Idee vom Abſoluten, das
eigentliche Gefäß aber, in das ſie ihn lege, die menſchliche Geſtalt, hat
ſie nicht bereit, denn dahin geht ja urſprünglich ihr Umfang nicht; ſie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |