Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
gebunden erscheint. In der Kunstlehre dürfen wir nur die Schlußfolge- 28*
gebunden erſcheint. In der Kunſtlehre dürfen wir nur die Schlußfolge- 28*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0143" n="429"/> gebunden erſcheint. In der Kunſtlehre dürfen wir nur die Schlußfolge-<lb/> rung daraus pflücken, ſo wird einleuchten, daß die eigentliche Kunſt der<lb/> orientaliſchen Völker die Baukunſt war. Die dichtende Phantaſie nun muß,<lb/> weil ſie alle andern Arten (§. 404) in ſich begreift, natürlich auf allen<lb/> Stufen hervortreten; das Verhältniß wird aber dieß ſein, daß je die<lb/> Art, welche den Standpunkt einer Stufe beſtimmt, in der dichtenden,<lb/> ſoweit ſich dieſelbe in ſie erſtreckt, den ſpezifiſchen Charakter bedingt. Es<lb/> verſteht ſich ferner, daß, an die Arten von §. 402 gehalten, die ſymboliſche<lb/> Phantaſie weſentlich eine erhabene ſein muß, denn das Bild iſt in ihr<lb/> als negativ gegen die Idee geſetzt (vergl. Hegel Aeſth. Th. 1. S. 392).<lb/> Freilich wird die Idee ſelbſt wieder als ſinnliche Ausdehnung gefaßt, dieſe<lb/> Phantaſie als meſſende bildet daher zunächſt im Sinne des Erhabenen<lb/> des Raums und der Zeit (§. 91 — 94), zwar auch des Erhabenen der<lb/> Kraft, doch ſo, daß ſie dieſes unter die Verhältniſſe des erſteren ſtellt,<lb/> indem ſie es in coloſſale Raum- und Zahlen-Maaße ſetzt. Auch ſo weit<lb/> ſie auf das Erhabene des Subjects ſich einläßt, woraus Göttergeſtalt und<lb/> Heroenſage entſteht, muß ſie, weil ihr die ſittliche oder überhaupt<lb/> geiſtige Größe immer wieder Naturmacht iſt, es unter denſelben Verhält-<lb/> niſſen anſchauen: der Gott, König, Held iſt immer von übermenſchlicher<lb/> Größe u. ſ. w. Das Tragiſche muß in dieſer Phantaſie eine große Rolle<lb/> ſpielen. Da auch die perſönlichen Götter nur flüchtige Schattenbilder<lb/> vereinzelter Momente der Idee ſind, ſo haben ſie, was Götter eigentlich<lb/> nicht haben ſollten, ein Schickſal, das dunkle Urweſen iſt ihr Deſpot<lb/> (Götterdämmerung und die verwandten Vorſtellungen des Orients). Sie<lb/> kämpfen tragiſch unter ſich. Die Menſchenwelt aber, ſoweit ſie aufge-<lb/> nommen wird, hat ebenſo ihr finſteres Schickſal nicht nur in ihrer eige-<lb/> nen Sphäre, durch die Deſpotie, ſondern auch durch die göttlichen Mächte;<lb/> ſie ſchlagen ſinnlos ein, wie in Nal und Damajanti. Da nun aber auch<lb/> dieſe Macht nur dürftig mit den Keimen der ſittlichen Idee ſchwanger,<lb/> vielmehr dunkler Naturſchooß iſt, bleibt es im Tragiſchen überall bei der<lb/> Form, die wir (§. 130) das Tragiſche als Geſetz des Univerſums nann-<lb/> ten. Aber dieſe Form iſt hier ſelbſt nicht rein; ein blindes Geſetz darf<lb/> herrſchend erſcheinen über das Blinde im Menſchen, ſeine Jugend, ſein<lb/> Leben, ſein Glück, ſeine Schönheit, aber nicht über Geiſt und Willen in<lb/> ihm, die doch im Orient irgendwie immer thätig erſcheinen, aber vom<lb/> finſtern Schickſal grundlos miterdrückt werden. Hier iſt nur noch die<lb/> Frage zu beantworten, ob eine ſo dualiſtiſche Phantaſie nicht weſentlich<lb/> auch des Komiſchen mächtig ſein werde; allein es erhellt alsbald, daß<lb/> dazu eine Freiheit des Bewußtſeins und daraus fließende wirkliche Ergrei-<lb/> fung ſowohl als Verſöhnung des Widerſpruchs vorausgeſetzt iſt, die dieſer<lb/> Weltanſchauung noch durchaus mangelt. Es tritt zwar hie und da her-</hi><lb/> <fw place="bottom" type="sig">28*</fw><lb/> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [429/0143]
gebunden erſcheint. In der Kunſtlehre dürfen wir nur die Schlußfolge-
rung daraus pflücken, ſo wird einleuchten, daß die eigentliche Kunſt der
orientaliſchen Völker die Baukunſt war. Die dichtende Phantaſie nun muß,
weil ſie alle andern Arten (§. 404) in ſich begreift, natürlich auf allen
Stufen hervortreten; das Verhältniß wird aber dieß ſein, daß je die
Art, welche den Standpunkt einer Stufe beſtimmt, in der dichtenden,
ſoweit ſich dieſelbe in ſie erſtreckt, den ſpezifiſchen Charakter bedingt. Es
verſteht ſich ferner, daß, an die Arten von §. 402 gehalten, die ſymboliſche
Phantaſie weſentlich eine erhabene ſein muß, denn das Bild iſt in ihr
als negativ gegen die Idee geſetzt (vergl. Hegel Aeſth. Th. 1. S. 392).
Freilich wird die Idee ſelbſt wieder als ſinnliche Ausdehnung gefaßt, dieſe
Phantaſie als meſſende bildet daher zunächſt im Sinne des Erhabenen
des Raums und der Zeit (§. 91 — 94), zwar auch des Erhabenen der
Kraft, doch ſo, daß ſie dieſes unter die Verhältniſſe des erſteren ſtellt,
indem ſie es in coloſſale Raum- und Zahlen-Maaße ſetzt. Auch ſo weit
ſie auf das Erhabene des Subjects ſich einläßt, woraus Göttergeſtalt und
Heroenſage entſteht, muß ſie, weil ihr die ſittliche oder überhaupt
geiſtige Größe immer wieder Naturmacht iſt, es unter denſelben Verhält-
niſſen anſchauen: der Gott, König, Held iſt immer von übermenſchlicher
Größe u. ſ. w. Das Tragiſche muß in dieſer Phantaſie eine große Rolle
ſpielen. Da auch die perſönlichen Götter nur flüchtige Schattenbilder
vereinzelter Momente der Idee ſind, ſo haben ſie, was Götter eigentlich
nicht haben ſollten, ein Schickſal, das dunkle Urweſen iſt ihr Deſpot
(Götterdämmerung und die verwandten Vorſtellungen des Orients). Sie
kämpfen tragiſch unter ſich. Die Menſchenwelt aber, ſoweit ſie aufge-
nommen wird, hat ebenſo ihr finſteres Schickſal nicht nur in ihrer eige-
nen Sphäre, durch die Deſpotie, ſondern auch durch die göttlichen Mächte;
ſie ſchlagen ſinnlos ein, wie in Nal und Damajanti. Da nun aber auch
dieſe Macht nur dürftig mit den Keimen der ſittlichen Idee ſchwanger,
vielmehr dunkler Naturſchooß iſt, bleibt es im Tragiſchen überall bei der
Form, die wir (§. 130) das Tragiſche als Geſetz des Univerſums nann-
ten. Aber dieſe Form iſt hier ſelbſt nicht rein; ein blindes Geſetz darf
herrſchend erſcheinen über das Blinde im Menſchen, ſeine Jugend, ſein
Leben, ſein Glück, ſeine Schönheit, aber nicht über Geiſt und Willen in
ihm, die doch im Orient irgendwie immer thätig erſcheinen, aber vom
finſtern Schickſal grundlos miterdrückt werden. Hier iſt nur noch die
Frage zu beantworten, ob eine ſo dualiſtiſche Phantaſie nicht weſentlich
auch des Komiſchen mächtig ſein werde; allein es erhellt alsbald, daß
dazu eine Freiheit des Bewußtſeins und daraus fließende wirkliche Ergrei-
fung ſowohl als Verſöhnung des Widerſpruchs vorausgeſetzt iſt, die dieſer
Weltanſchauung noch durchaus mangelt. Es tritt zwar hie und da her-
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