Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
schwimmt diese unstet in allgemeiner Flüsstgkeit. Hier vorzüglich erscheint daher 1. Wir haben also wieder jene Völkerpaare vor uns, von denen
ſchwimmt dieſe unſtet in allgemeiner Flüſſtgkeit. Hier vorzüglich erſcheint daher 1. Wir haben alſo wieder jene Völkerpaare vor uns, von denen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0147" n="433"/> ſchwimmt dieſe unſtet in allgemeiner Flüſſtgkeit. Hier vorzüglich erſcheint daher<lb/> im Uebergewicht des Ungemeſſenen über das Gemeſſene das <hi rendition="#g">Traumartige</hi><lb/> als der Grundcharakter, in welchen alle Züge, auch der des ſeelenvollen Natur-<lb/> gefühls und ſchwungvolleren Formſinns, in kraftloſe Weichheit aufgelöst zuſam-<lb/> mengehen. Dagegen kommt die <hi rendition="#g">perſiſche</hi> Phantaſie kaum in Betracht; der<note place="right">2</note><lb/> Dualiſmus, der ihr Grundzug iſt und von noch nicht ſymboliſcher Anſchauung<lb/> der Lichtwelt durch ſparſame Symbole zu einer einfachen Mythenbildung fort-<lb/> ſchreitet, verkündigt das zum Handeln beſtimmte Volk, deſſen Formſinn aller-<lb/> dings mehr zur urſprünglichen Stoffwelt ſich neigt und dem Schwunge ſtrengerer<lb/> Schönheit nahe kommt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Wir haben alſo wieder jene Völkerpaare vor uns, von denen<lb/> je das eine Volk mehr Subject, das andere mehr Object der Phantaſie<lb/> iſt, das eine mehr Schönheit, das andere mehr Stoff für Schönheit er-<lb/> zeugt, das eine contemplativ, das andere praktiſch iſt. So verhält es ſich<lb/> in der folgenden Gruppe mit den Aegyptiern gegenüber den Semiten,<lb/> von welchen letzteren jedoch die Juden in anderer Beziehung ſich unterſchei-<lb/> den und wenigſtens negativ, als die Grenzſcheide der Naturreligion bildend,<lb/> für die ſubjective Seite bedeutender werden. Am wichtigſten bleiben die<lb/> Indier und Aegyptier; ſie verhalten ſich zu einander wie erſtes, urſprüng-<lb/> liches Hervorquellen der ſymboliſchen Phantaſie in üppigem Erguße und<lb/> beſonnene Siſtirung dieſes Fluſſes. <hi rendition="#g">Hegel</hi> hat die indiſche Religion über-<lb/> haupt von dieſer Seite gefaßt, hat ihren äſthetiſchen Charakter zum<lb/> Definitionsgrunde ihres Weſens überhaupt erhoben und ſie als Religion<lb/> der Phantaſie, ihren Standpunkt als den der phantaſtiſchen Symbolik<lb/> beſtimmt. Wir ſtellen dieſer Beſtimmung eine andere, neuerdings hervor-<lb/> getretene gegenüber. E. <hi rendition="#g">Meier</hi> (die urſprüngliche Form des Dekalogs<lb/> S. 89 ff.) will vielmehr das innerſte Prinzip des ſo geſtaltenden Bewußt-<lb/> ſeins zu dem den Ort dieſer Religion beſtimmenden Grund erhoben wiſſen<lb/> und dieſes faßt er (gegenüber der chineſiſchen Religion) als Erhebung des<lb/> Geiſtes aus dem Taumel des Naturlebens, in das er einerſeits verſenkt<lb/> iſt, in die reine Einheit des Univerſums (des Brahma). Dieſe Einheit,<lb/> unterſchiedslos und dunkel, kann nicht Object ſein, nicht verehrt werden,<lb/> die Erhebung dahin iſt brütende Abſtraction von allem Sinnlichen, Ver-<lb/> ſenkung in ſich, bewußtlos, dumpf, weil das Abſolute nicht als Geiſt<lb/> gefaßt, ſondern ſelbſt nur dunkler Naturſchooß, trüb aſcetiſch, weil das<lb/> Wirkliche ſeine Negation iſt. Die Verſenkung in das Mannigfaltige, der Tau-<lb/> mel der Sinnlichkeit iſt der andere Pol und das Band zwiſchen beiden iſt<lb/> für den Menſchen von unten nach oben die Seelenwanderung, für die Welt<lb/> überhaupt von oben, von Gott aus nach unten die Awataren, die ihren höch-<lb/> ſten Abſchluß in der Geburt Wiſchnu’s als Buddha, als Menſch, der durch<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [433/0147]
ſchwimmt dieſe unſtet in allgemeiner Flüſſtgkeit. Hier vorzüglich erſcheint daher
im Uebergewicht des Ungemeſſenen über das Gemeſſene das Traumartige
als der Grundcharakter, in welchen alle Züge, auch der des ſeelenvollen Natur-
gefühls und ſchwungvolleren Formſinns, in kraftloſe Weichheit aufgelöst zuſam-
mengehen. Dagegen kommt die perſiſche Phantaſie kaum in Betracht; der
Dualiſmus, der ihr Grundzug iſt und von noch nicht ſymboliſcher Anſchauung
der Lichtwelt durch ſparſame Symbole zu einer einfachen Mythenbildung fort-
ſchreitet, verkündigt das zum Handeln beſtimmte Volk, deſſen Formſinn aller-
dings mehr zur urſprünglichen Stoffwelt ſich neigt und dem Schwunge ſtrengerer
Schönheit nahe kommt.
1. Wir haben alſo wieder jene Völkerpaare vor uns, von denen
je das eine Volk mehr Subject, das andere mehr Object der Phantaſie
iſt, das eine mehr Schönheit, das andere mehr Stoff für Schönheit er-
zeugt, das eine contemplativ, das andere praktiſch iſt. So verhält es ſich
in der folgenden Gruppe mit den Aegyptiern gegenüber den Semiten,
von welchen letzteren jedoch die Juden in anderer Beziehung ſich unterſchei-
den und wenigſtens negativ, als die Grenzſcheide der Naturreligion bildend,
für die ſubjective Seite bedeutender werden. Am wichtigſten bleiben die
Indier und Aegyptier; ſie verhalten ſich zu einander wie erſtes, urſprüng-
liches Hervorquellen der ſymboliſchen Phantaſie in üppigem Erguße und
beſonnene Siſtirung dieſes Fluſſes. Hegel hat die indiſche Religion über-
haupt von dieſer Seite gefaßt, hat ihren äſthetiſchen Charakter zum
Definitionsgrunde ihres Weſens überhaupt erhoben und ſie als Religion
der Phantaſie, ihren Standpunkt als den der phantaſtiſchen Symbolik
beſtimmt. Wir ſtellen dieſer Beſtimmung eine andere, neuerdings hervor-
getretene gegenüber. E. Meier (die urſprüngliche Form des Dekalogs
S. 89 ff.) will vielmehr das innerſte Prinzip des ſo geſtaltenden Bewußt-
ſeins zu dem den Ort dieſer Religion beſtimmenden Grund erhoben wiſſen
und dieſes faßt er (gegenüber der chineſiſchen Religion) als Erhebung des
Geiſtes aus dem Taumel des Naturlebens, in das er einerſeits verſenkt
iſt, in die reine Einheit des Univerſums (des Brahma). Dieſe Einheit,
unterſchiedslos und dunkel, kann nicht Object ſein, nicht verehrt werden,
die Erhebung dahin iſt brütende Abſtraction von allem Sinnlichen, Ver-
ſenkung in ſich, bewußtlos, dumpf, weil das Abſolute nicht als Geiſt
gefaßt, ſondern ſelbſt nur dunkler Naturſchooß, trüb aſcetiſch, weil das
Wirkliche ſeine Negation iſt. Die Verſenkung in das Mannigfaltige, der Tau-
mel der Sinnlichkeit iſt der andere Pol und das Band zwiſchen beiden iſt
für den Menſchen von unten nach oben die Seelenwanderung, für die Welt
überhaupt von oben, von Gott aus nach unten die Awataren, die ihren höch-
ſten Abſchluß in der Geburt Wiſchnu’s als Buddha, als Menſch, der durch
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