Das römische Volk, mehr objectiv als subjectiv ästhetisch, gibt dem Reiche der Phantasie, das es mit den Griechen theilt oder von ihnen übernimmt, keinen oder nur geringen, durch einen Zug des Geisterhaften unterschiedenen Zuwachs, behandelt aber das Gemeinsame und Ueberkommene seinem Charakter gemäß in einem Geiste der Mächtigkeit und Feierlichkeit, worin sich die ernste prak- tisch politische Bedeutung seiner Religion ausspricht. Doch erzeugt es eine eigene, zwar sparsamere Heldensage und sein Dualismus (§. 352, 1) bedingt neben der erhabenen Stimmung ein selbständiges Talent zum Komischen.
Es ist schon zu §. 352 ausgeführt, wie die Römer zu den Völkern gehören, welche Stoff des Schönen mehr sind, als machen. So sind auch an ihrer Religion die Sacra, der Gottesdienst, wie er erscheint, als ein Alles durchdringender politisch religiöser und sehr superstitiöser Cultus wich- tiger, als ihr Götterglaube. Jene wurden zu §. 352 erwähnt, ihre Re- ligion ist durch diesen praktischen Charakter mehr Stoff für einen Dritten, als er es für sie selbst sein konnte. Die meisten Götter theilen sie be- kanntlich durch die ursprünglich pelasgische Bevölkerung Italiens und den frühen Verkehr zwischen den Etruskern und Griechen mit diesen; was eigenthümlicher ist, hat theils noch eine mehr symbolische Gestalt, wie Janus mit seinem Doppelgesichte, theils muß etwas Gespenstisches, Gei- sterhaftes in der Phantasie eines Volkes auftreten, das eine zwar große, aber düstere Welt sich baut, in welche das Innere nicht mit freier Heiter- keit sich ergießt; da tritt schon ein Zug der Ahnung ein, die hinter den Dingen helldunkle Schattenbilder schweben sieht; man denke namentlich an die Lemuren, Larven, Lamien, an jene mit Hämmern bewaffneten Todtengenien der Etrusker. Aesthetisch wichtig ist aber namentlich dieß, daß die Römer weit weniger Mythen hatten, als die Griechen. Der Gott ist zwar persönlich, aber die Phantasie erwartet mehr Handlungen von ihm in seinem Verhältniß zum Staate, als sie sich in heiterer Dichtung vergangener absoluter Handlungen des Gottes an sich ergeht. Dieß ist es, wodurch sich vornämlich die praktisch politische Natur dieses Volks äußert, das ebendaher wenig ästhetische Phantasie hatte, weil sein Kunstwerk der Staat war. Dagegen begreift sich, daß es seine eigene Heldensage hatte, die, mit Aeneas an die griechische anknüpfend, die Geschichte der ewigen Stadt mit gewaltigen Männergestalten eröffnet. Daß nun dieses Volk die überkommene Götterlehre weniger im Sinne des einfach Schönen, als des Erhabenen, und zwar im geschichtlich politischen Sinne feierlicher
Ausgang.
§. 442.
Das römiſche Volk, mehr objectiv als ſubjectiv äſthetiſch, gibt dem Reiche der Phantaſie, das es mit den Griechen theilt oder von ihnen übernimmt, keinen oder nur geringen, durch einen Zug des Geiſterhaften unterſchiedenen Zuwachs, behandelt aber das Gemeinſame und Ueberkommene ſeinem Charakter gemäß in einem Geiſte der Mächtigkeit und Feierlichkeit, worin ſich die ernſte prak- tiſch politiſche Bedeutung ſeiner Religion ausſpricht. Doch erzeugt es eine eigene, zwar ſparſamere Heldenſage und ſein Dualiſmus (§. 352, 1) bedingt neben der erhabenen Stimmung ein ſelbſtändiges Talent zum Komiſchen.
Es iſt ſchon zu §. 352 ausgeführt, wie die Römer zu den Völkern gehören, welche Stoff des Schönen mehr ſind, als machen. So ſind auch an ihrer Religion die Sacra, der Gottesdienſt, wie er erſcheint, als ein Alles durchdringender politiſch religiöſer und ſehr ſuperſtitiöſer Cultus wich- tiger, als ihr Götterglaube. Jene wurden zu §. 352 erwähnt, ihre Re- ligion iſt durch dieſen praktiſchen Charakter mehr Stoff für einen Dritten, als er es für ſie ſelbſt ſein konnte. Die meiſten Götter theilen ſie be- kanntlich durch die urſprünglich pelaſgiſche Bevölkerung Italiens und den frühen Verkehr zwiſchen den Etruskern und Griechen mit dieſen; was eigenthümlicher iſt, hat theils noch eine mehr ſymboliſche Geſtalt, wie Janus mit ſeinem Doppelgeſichte, theils muß etwas Geſpenſtiſches, Gei- ſterhaftes in der Phantaſie eines Volkes auftreten, das eine zwar große, aber düſtere Welt ſich baut, in welche das Innere nicht mit freier Heiter- keit ſich ergießt; da tritt ſchon ein Zug der Ahnung ein, die hinter den Dingen helldunkle Schattenbilder ſchweben ſieht; man denke namentlich an die Lemuren, Larven, Lamien, an jene mit Hämmern bewaffneten Todtengenien der Etruſker. Aeſthetiſch wichtig iſt aber namentlich dieß, daß die Römer weit weniger Mythen hatten, als die Griechen. Der Gott iſt zwar perſönlich, aber die Phantaſie erwartet mehr Handlungen von ihm in ſeinem Verhältniß zum Staate, als ſie ſich in heiterer Dichtung vergangener abſoluter Handlungen des Gottes an ſich ergeht. Dieß iſt es, wodurch ſich vornämlich die praktiſch politiſche Natur dieſes Volks äußert, das ebendaher wenig äſthetiſche Phantaſie hatte, weil ſein Kunſtwerk der Staat war. Dagegen begreift ſich, daß es ſeine eigene Heldenſage hatte, die, mit Aeneas an die griechiſche anknüpfend, die Geſchichte der ewigen Stadt mit gewaltigen Männergeſtalten eröffnet. Daß nun dieſes Volk die überkommene Götterlehre weniger im Sinne des einfach Schönen, als des Erhabenen, und zwar im geſchichtlich politiſchen Sinne feierlicher
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Ausgang.
§. 442.
Das römiſche Volk, mehr objectiv als ſubjectiv äſthetiſch, gibt dem Reiche
der Phantaſie, das es mit den Griechen theilt oder von ihnen übernimmt, keinen
oder nur geringen, durch einen Zug des Geiſterhaften unterſchiedenen Zuwachs,
behandelt aber das Gemeinſame und Ueberkommene ſeinem Charakter gemäß
in einem Geiſte der Mächtigkeit und Feierlichkeit, worin ſich die ernſte prak-
tiſch politiſche Bedeutung ſeiner Religion ausſpricht. Doch erzeugt es eine eigene,
zwar ſparſamere Heldenſage und ſein Dualiſmus (§. 352, 1) bedingt neben der
erhabenen Stimmung ein ſelbſtändiges Talent zum Komiſchen.
Es iſt ſchon zu §. 352 ausgeführt, wie die Römer zu den Völkern
gehören, welche Stoff des Schönen mehr ſind, als machen. So ſind auch
an ihrer Religion die Sacra, der Gottesdienſt, wie er erſcheint, als ein
Alles durchdringender politiſch religiöſer und ſehr ſuperſtitiöſer Cultus wich-
tiger, als ihr Götterglaube. Jene wurden zu §. 352 erwähnt, ihre Re-
ligion iſt durch dieſen praktiſchen Charakter mehr Stoff für einen Dritten,
als er es für ſie ſelbſt ſein konnte. Die meiſten Götter theilen ſie be-
kanntlich durch die urſprünglich pelaſgiſche Bevölkerung Italiens und den
frühen Verkehr zwiſchen den Etruskern und Griechen mit dieſen; was
eigenthümlicher iſt, hat theils noch eine mehr ſymboliſche Geſtalt, wie
Janus mit ſeinem Doppelgeſichte, theils muß etwas Geſpenſtiſches, Gei-
ſterhaftes in der Phantaſie eines Volkes auftreten, das eine zwar große,
aber düſtere Welt ſich baut, in welche das Innere nicht mit freier Heiter-
keit ſich ergießt; da tritt ſchon ein Zug der Ahnung ein, die hinter den
Dingen helldunkle Schattenbilder ſchweben ſieht; man denke namentlich
an die Lemuren, Larven, Lamien, an jene mit Hämmern bewaffneten
Todtengenien der Etruſker. Aeſthetiſch wichtig iſt aber namentlich dieß, daß
die Römer weit weniger Mythen hatten, als die Griechen. Der Gott
iſt zwar perſönlich, aber die Phantaſie erwartet mehr Handlungen von
ihm in ſeinem Verhältniß zum Staate, als ſie ſich in heiterer Dichtung
vergangener abſoluter Handlungen des Gottes an ſich ergeht. Dieß iſt
es, wodurch ſich vornämlich die praktiſch politiſche Natur dieſes Volks
äußert, das ebendaher wenig äſthetiſche Phantaſie hatte, weil ſein Kunſtwerk
der Staat war. Dagegen begreift ſich, daß es ſeine eigene Heldenſage
hatte, die, mit Aeneas an die griechiſche anknüpfend, die Geſchichte der
ewigen Stadt mit gewaltigen Männergeſtalten eröffnet. Daß nun dieſes
Volk die überkommene Götterlehre weniger im Sinne des einfach Schönen,
als des Erhabenen, und zwar im geſchichtlich politiſchen Sinne feierlicher
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/180>, abgerufen am 16.02.2025.
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