Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
Das Subject scheint nun allein zu sein, ohne den Gegenstand; allein es
Das Subject ſcheint nun allein zu ſein, ohne den Gegenſtand; allein es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0059" n="345"/> Das Subject ſcheint nun allein zu ſein, ohne den Gegenſtand; allein es<lb/> hat ihn nur ſo innig in ſich heineingenommen, daß ſein eigenes Selbſt<lb/> und er ganz in einander aufgehen. Das Object wird flüſſig in ihm wie<lb/> Erz im Schmelzofen, weil es ſelbſt flüſſig wird und mit ſeinem ganzen,<lb/> von ſeiner ganzen Bildungskraft ungeſchiedenen, Gehalte in es einſtrömt. In<lb/> Wahrheit iſt dieſe dunkle Stätte, dieſe Brautnacht da, wo mit der reinen<lb/> Anlage aller Gattungen des Seins die Anlage des Ich, bildende Natur<lb/> und bildender Geiſt, urſprünglich Eins ſind. Der Phantaſiebegabte iſt<lb/> nun aber allerdings mitten in der Welt einſam, denn das Eine, was er<lb/> jetzt an ſeinem Buſen ſtill erwärmt, iſt eine Welt, die empiriſche Welt<lb/> hat alle ihre Bedeutung an dieſen Mikrokoſmus abgegeben; er iſt daher<lb/> gegen das Umgebende zerſtreut und ſcheint außer ſich, weil er zwar ganz<lb/> in ſich iſt, aber ſo, daß er in ſich ſelbſt nicht Object und Subject ſcheidet,<lb/> ſondern es ihm angethan iſt, daß das Object mit ſeinem ſubjectiven Leben<lb/> ineinandergährt und er nun dieſem innern Singen, Klingen, Weben be-<lb/> wußtlos zuhört. Ein Schmerz der Trennung von der Behaglichkeit der<lb/> gemeinen Welt, eine Angſt der Geburt liegt wohl in dieſem Zuſtande,<lb/> aber auch die reinſte Freude und Seligkeit der Entrückung aus der Breite<lb/> des ſtörenden Zufalls, „des Erdenlebens ſchwerem Traumbild“, und<lb/> der Vorempfindung des leiſe Werdenden. Aeußerer Reiz darf nicht ſtören;<lb/> Göthe mochte keinen Prunkt in ſeinem einfachen Zimmer; unſchuldige<lb/> Mittel, wie Schillers ſcharlachrother Vorhang, können wirkſam ſtimmen,<lb/> narkotiſche trügen, die eigentliche Trunkenheit ſteigert nur die gemeine und<lb/> wirre Einbildungskraft. Da nun in dieſem Zuſtande das Subject ſich<lb/> in das Object ſo ergießt, daß es ſich eines Unterſchieds von dieſem gar<lb/> nicht bewußt iſt, daher die Macht des Subjects vielmehr die Macht des<lb/> einſtrömenden Objects zu ſein ſcheint, ſo fühlt ſich jenes wie von einem<lb/> fremden Geiſt dahingenommen, gezogen, beſeſſen; es kann nicht anders,<lb/> ein Geiſt iſt über es gekommen. Wir nennen dieß mit einem noch an<lb/> die nahe liegende mythiſche Vorſtellung erinnernden Ausdruck Begeiſterung,<lb/> deren Zug zwar hier nur beginnt und erſt mit einem weitern Schritte<lb/> zum Strom anwächst. Die Alten, denen an der Grenze der Selbſter-<lb/> kenntniß überall das unerkannte, weil unmittelbare Eigene als Werk des<lb/> Gottes erſchien, ſtellten ſich hier wirkliche Eingebung, Inſpiration vor.<lb/> Der Dichter iſt von der Muſe erfüllt, er iſt ἔνϑεος ϑεόπνευςος χάτ-<lb/> εχόμενος, ἐκςαπκὸς, er iſt durch göttliche Entrückung, ὑπὸ ϑείας<lb/> ἐξαλλαγῆς, außer ſich, ἐξω ἑαυτȣ῀, es iſt ihm angeweht (ἐπίπνοια).<lb/> Dieſe Begriffe faßten ſich in dem der ϑεία μανία, des göttlichen Wahnſinns<lb/> zuſammen, wobei man freilich den weitern Verlauf der Phantaſiethätig-<lb/> keit, von dem wir hier noch nicht reden, das wirkliche Geſtalten, ſofern<lb/> es traumähnlich iſt, ſchon hieher zu ziehen hat. Wenn nun Plato’s Lob<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [345/0059]
Das Subject ſcheint nun allein zu ſein, ohne den Gegenſtand; allein es
hat ihn nur ſo innig in ſich heineingenommen, daß ſein eigenes Selbſt
und er ganz in einander aufgehen. Das Object wird flüſſig in ihm wie
Erz im Schmelzofen, weil es ſelbſt flüſſig wird und mit ſeinem ganzen,
von ſeiner ganzen Bildungskraft ungeſchiedenen, Gehalte in es einſtrömt. In
Wahrheit iſt dieſe dunkle Stätte, dieſe Brautnacht da, wo mit der reinen
Anlage aller Gattungen des Seins die Anlage des Ich, bildende Natur
und bildender Geiſt, urſprünglich Eins ſind. Der Phantaſiebegabte iſt
nun aber allerdings mitten in der Welt einſam, denn das Eine, was er
jetzt an ſeinem Buſen ſtill erwärmt, iſt eine Welt, die empiriſche Welt
hat alle ihre Bedeutung an dieſen Mikrokoſmus abgegeben; er iſt daher
gegen das Umgebende zerſtreut und ſcheint außer ſich, weil er zwar ganz
in ſich iſt, aber ſo, daß er in ſich ſelbſt nicht Object und Subject ſcheidet,
ſondern es ihm angethan iſt, daß das Object mit ſeinem ſubjectiven Leben
ineinandergährt und er nun dieſem innern Singen, Klingen, Weben be-
wußtlos zuhört. Ein Schmerz der Trennung von der Behaglichkeit der
gemeinen Welt, eine Angſt der Geburt liegt wohl in dieſem Zuſtande,
aber auch die reinſte Freude und Seligkeit der Entrückung aus der Breite
des ſtörenden Zufalls, „des Erdenlebens ſchwerem Traumbild“, und
der Vorempfindung des leiſe Werdenden. Aeußerer Reiz darf nicht ſtören;
Göthe mochte keinen Prunkt in ſeinem einfachen Zimmer; unſchuldige
Mittel, wie Schillers ſcharlachrother Vorhang, können wirkſam ſtimmen,
narkotiſche trügen, die eigentliche Trunkenheit ſteigert nur die gemeine und
wirre Einbildungskraft. Da nun in dieſem Zuſtande das Subject ſich
in das Object ſo ergießt, daß es ſich eines Unterſchieds von dieſem gar
nicht bewußt iſt, daher die Macht des Subjects vielmehr die Macht des
einſtrömenden Objects zu ſein ſcheint, ſo fühlt ſich jenes wie von einem
fremden Geiſt dahingenommen, gezogen, beſeſſen; es kann nicht anders,
ein Geiſt iſt über es gekommen. Wir nennen dieß mit einem noch an
die nahe liegende mythiſche Vorſtellung erinnernden Ausdruck Begeiſterung,
deren Zug zwar hier nur beginnt und erſt mit einem weitern Schritte
zum Strom anwächst. Die Alten, denen an der Grenze der Selbſter-
kenntniß überall das unerkannte, weil unmittelbare Eigene als Werk des
Gottes erſchien, ſtellten ſich hier wirkliche Eingebung, Inſpiration vor.
Der Dichter iſt von der Muſe erfüllt, er iſt ἔνϑεος ϑεόπνευςος χάτ-
εχόμενος, ἐκςαπκὸς, er iſt durch göttliche Entrückung, ὑπὸ ϑείας
ἐξαλλαγῆς, außer ſich, ἐξω ἑαυτȣ῀, es iſt ihm angeweht (ἐπίπνοια).
Dieſe Begriffe faßten ſich in dem der ϑεία μανία, des göttlichen Wahnſinns
zuſammen, wobei man freilich den weitern Verlauf der Phantaſiethätig-
keit, von dem wir hier noch nicht reden, das wirkliche Geſtalten, ſofern
es traumähnlich iſt, ſchon hieher zu ziehen hat. Wenn nun Plato’s Lob
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