Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
immer die Beherrschung eines widerstrebenden sinnlichen Objects im Auge.
immer die Beherrſchung eines widerſtrebenden ſinnlichen Objects im Auge. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0100" n="88"/> immer die Beherrſchung eines widerſtrebenden ſinnlichen Objects im Auge.<lb/> Zunächſt nun iſt es das Bedürfniß, was den Menſchen mit der raſchen<lb/> Hand der Nothwendigkeit und des Erwerbtriebs zur mechaniſchen Fertig-<lb/> keit führt lang, ehe er daran denkt, der ſchweren Maſſe die lebendigere<lb/> geiſtige Form des Phantaſiebilds überzuziehen. Alle Thätigkeiten aber,<lb/> welche ein dem äußern Zwecke dienendes Object herſtellen, ſind, ſo ſchwer<lb/> ſie an ſich ſein mögen, doch darum unendlich leichter, als die künſtleriſche<lb/> Technik, weil in ihnen das herzuſtellende Object dem Zwecke gemäß, dem<lb/> es als Mittel dienen ſoll, verſtändig gedacht wird und die Ausführung<lb/> ein reines äußeres Nachbilden des Gedachten iſt: da geht es nach Schuh,<lb/> Zoll, Zahl und die ſtraffe Linie bezwingt das ſpröde Material. Zwar<lb/> fordert man von dem Handwerker (und höhern Mechaniker, den wir trotz<lb/> dem Stufen-Unterſchiede, der ihn von dieſem trennt, hier mit ihm zuſam-<lb/> menfaſſen,) auch Inſtinet und innere Anſchauung und die Anfänge des<lb/> Handwerks, da es noch keine Meßkunſt u. ſ. w. gab, mußten nicht blos<lb/> einem gezeichneten Plan und Riß mit dem deutlichen innern Bild zu<lb/> Hilfe kommen, ſondern ihn geradezu durch dieſes erſetzen, allein auch dieß<lb/> Bild iſt etwas weſentlich Anderes, als das äſthetiſche Phantaſiebild, in<lb/> welchem die Norm mit der <hi rendition="#g">Zufälligkeit</hi> der Individualität (§. 31. ff.)<lb/> ſich zu einem incommenſurabeln Ganzen durchdringt. Es bedarf einer<lb/> qualitativ andern Technik, um dieſe geiſtig unmeſſbare Form in das rohe<lb/> Material zu übertragen, einer ſolchen, welche bis in die Fingerſpitzen durch<lb/> das innerlich angeſchaute Bild während der ganzen Arbeit bis zum<lb/> letzten Meiſelſchlag und Pinſelſtrich von innen heraus flüßig beſtimmt und<lb/> durchdrungen iſt. Einem ſo ſchweren Prozeſſe aber eben muß vorge-<lb/> arbeitet, der mechaniſche Theil der Thätigkeit muß auf einem andern<lb/> Gebiete bis zur Fertigkeit vorgeſchritten ſein, ſo daß der Künſtler den<lb/> Handgriff als ſolchen traditionell erlernen kann. Dieſe Ausſonderung<lb/> eines traditionell mechaniſchen Theils der künſtleriſchen Technik darf nicht<lb/> ſo mißverſtanden werden, als ließen wir im Widerſpruch mit unſerem<lb/> frühern Satze (§. 491) das innere Schaffen und die Technik wieder<lb/> auseinanderfallen; denn es iſt nur eine Unterſcheidung von zwei Seiten<lb/> innerhalb dieſer Technik ſelbſt: ſie zerfällt als ſolche in einen mechaniſchen<lb/> und einen nicht mechaniſchen Theil und dieſe beiden verhalten ſich ſo,<lb/> daß jener erlernt ſeyn muß, damit dieſer ſich in ihn ergießen könne, d. h.<lb/> eine allgemeine Fertigkeit der Hand, Uebung der Sinne muß erworben ſeyn,<lb/> damit die ſo gebildeten Organe in ununterbrochenem Fluße dem inneren<lb/> Bilde, der Auffaſſung und Anſchauung dienſtbar werden und ſo die geiſt-<lb/> volle concrete Technik auf die erlernte mechaniſche, abſtracte impfen. Ich<lb/> muß z. B. überhaupt fertig zeichnen und malen können, ehe ich in meine<lb/> Zeichnung, mein Colorit den beſondern Charakter gießen kann, der meiner<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [88/0100]
immer die Beherrſchung eines widerſtrebenden ſinnlichen Objects im Auge.
Zunächſt nun iſt es das Bedürfniß, was den Menſchen mit der raſchen
Hand der Nothwendigkeit und des Erwerbtriebs zur mechaniſchen Fertig-
keit führt lang, ehe er daran denkt, der ſchweren Maſſe die lebendigere
geiſtige Form des Phantaſiebilds überzuziehen. Alle Thätigkeiten aber,
welche ein dem äußern Zwecke dienendes Object herſtellen, ſind, ſo ſchwer
ſie an ſich ſein mögen, doch darum unendlich leichter, als die künſtleriſche
Technik, weil in ihnen das herzuſtellende Object dem Zwecke gemäß, dem
es als Mittel dienen ſoll, verſtändig gedacht wird und die Ausführung
ein reines äußeres Nachbilden des Gedachten iſt: da geht es nach Schuh,
Zoll, Zahl und die ſtraffe Linie bezwingt das ſpröde Material. Zwar
fordert man von dem Handwerker (und höhern Mechaniker, den wir trotz
dem Stufen-Unterſchiede, der ihn von dieſem trennt, hier mit ihm zuſam-
menfaſſen,) auch Inſtinet und innere Anſchauung und die Anfänge des
Handwerks, da es noch keine Meßkunſt u. ſ. w. gab, mußten nicht blos
einem gezeichneten Plan und Riß mit dem deutlichen innern Bild zu
Hilfe kommen, ſondern ihn geradezu durch dieſes erſetzen, allein auch dieß
Bild iſt etwas weſentlich Anderes, als das äſthetiſche Phantaſiebild, in
welchem die Norm mit der Zufälligkeit der Individualität (§. 31. ff.)
ſich zu einem incommenſurabeln Ganzen durchdringt. Es bedarf einer
qualitativ andern Technik, um dieſe geiſtig unmeſſbare Form in das rohe
Material zu übertragen, einer ſolchen, welche bis in die Fingerſpitzen durch
das innerlich angeſchaute Bild während der ganzen Arbeit bis zum
letzten Meiſelſchlag und Pinſelſtrich von innen heraus flüßig beſtimmt und
durchdrungen iſt. Einem ſo ſchweren Prozeſſe aber eben muß vorge-
arbeitet, der mechaniſche Theil der Thätigkeit muß auf einem andern
Gebiete bis zur Fertigkeit vorgeſchritten ſein, ſo daß der Künſtler den
Handgriff als ſolchen traditionell erlernen kann. Dieſe Ausſonderung
eines traditionell mechaniſchen Theils der künſtleriſchen Technik darf nicht
ſo mißverſtanden werden, als ließen wir im Widerſpruch mit unſerem
frühern Satze (§. 491) das innere Schaffen und die Technik wieder
auseinanderfallen; denn es iſt nur eine Unterſcheidung von zwei Seiten
innerhalb dieſer Technik ſelbſt: ſie zerfällt als ſolche in einen mechaniſchen
und einen nicht mechaniſchen Theil und dieſe beiden verhalten ſich ſo,
daß jener erlernt ſeyn muß, damit dieſer ſich in ihn ergießen könne, d. h.
eine allgemeine Fertigkeit der Hand, Uebung der Sinne muß erworben ſeyn,
damit die ſo gebildeten Organe in ununterbrochenem Fluße dem inneren
Bilde, der Auffaſſung und Anſchauung dienſtbar werden und ſo die geiſt-
volle concrete Technik auf die erlernte mechaniſche, abſtracte impfen. Ich
muß z. B. überhaupt fertig zeichnen und malen können, ehe ich in meine
Zeichnung, mein Colorit den beſondern Charakter gießen kann, der meiner
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |