Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
Anschauungsweise entspricht und, wenn sie eine geniale ist, einen neuen
Anſchauungsweiſe entſpricht und, wenn ſie eine geniale iſt, einen neuen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0101" n="89"/> Anſchauungsweiſe entſpricht und, wenn ſie eine geniale iſt, einen neuen<lb/> Styl begründet. Zunächſt iſt aber in unſerem Zuſammenhang nicht die<lb/> Rede von dem mechaniſchen Theile der Technik innerhalb der Kunſt, (die<lb/> nun dem Handwerke gegenüber die <hi rendition="#g">freie</hi> heißt), ſondern von der Geſchick-<lb/> lichkeit überhaupt, die das Handwerk ausbildet, dem Ablauſchen der Natur<lb/> des Materials, dem Erfinden von Werkzeugen zu ſeiner Bewältigung,<lb/> der Uebung der Hand und des Nervs, wie ſolche mittelbar der Kunſt,<lb/> die wir vorerſt als gar nicht vorhanden betrachten, zu gute kommen<lb/> ſoll. So verſtanden kann unſer Satz nicht beſagen wollen, daß dasſelbe<lb/> Individuum, das Künſtler werden ſoll, durch das Handwerk hindurch-<lb/> gegangen ſein müße; wohl aber, wenn der Boden völlig geebnet iſt für<lb/> die Kunſt, tritt in denjenigen Handwerken, denen ihrer Natur nach ein<lb/> Uebergang zur Kunſt näher liegt, als andern, dieſe Einheit in den<lb/> Perſonen auf: der Baumeiſter wird Baukünſtler, der Zimmermann,<lb/> Schreiner, Küfer, Schaffler zieht nicht, um ſeinem Werke den künſtleriſchen<lb/> Schmuck zu geben, den Schnitzer zu Hilfe, ſondern er wird ſelbſt Schnitzer<lb/> und läßt etwa in weiterem Fortſchritte das Handwerk ganz fallen, um<lb/> rein künſtleriſche Schnitzwerke auszuführen, ſo daß von da an erſt Hand-<lb/> werk und Kunſt ſich trennen; Peter Viſcher war ein einfacher Roth-<lb/> gießermeiſter, der von der Meiſterſchaft des Handwerks durch die Orna-<lb/> mentik zur künſtleriſchen Compoſition aufſtieg, aber ſein Modell ſelbſt<lb/> abgoß und anſpruchslos bei ſeiner Zunft blieb. So machten die Künſtler<lb/> des Mittelalters überhaupt keinen Anſpruch auf eine höhere Rangſtufe,<lb/> als die des Handwerks, auf deſſen Boden ſie ſtanden. Auch in Griechen-<lb/> land ſchied ſich der Künſtler dem Stande nach nicht vom Handwerker, er<lb/> blieb δημιȣργὸς, χειρώναξ, der Name τέχνη umfaßte Kunſt und Hand-<lb/> werk und z. B. die großen Meiſter des Erzgußes fiengen ſo einfach an,<lb/> wie P. Viſcher (vergleiche Hermann. Ueber die Studien der griechiſchen<lb/> Künſtler S. 6). Dieß iſt der wahre und geſunde Ausgangspunct der<lb/> Kunſt; wie ſie techniſch ihre Wurzeln im Handwerk hat, ſo moraliſch im<lb/> Marke des Volks, im Volksboden. Das Geſagte gilt nun zunächſt nur<lb/> von den bildenden Künſten; Muſik und Dichtkunſt, ſchon im Alterthum gegen-<lb/> über den durch Handarbeit thätigen Künſten durch den Namen <hi rendition="#aq">artes liberales</hi><lb/> höher geſtellt, ſcheinen in dieſem Zuſammenhang gar nicht aufgeführt<lb/> werden zu können; doch haben auch ſie, bei allem Unterſchiede des<lb/> Materials, ihre Technik, die in eine productive und eine mechaniſche<lb/> Seite zerfällt, und die letztere ſetzt eine Uebung (des Ohrs, der Hand,<lb/> der Sprachbehandlung) auf anderem, beziehungsweiſe ebenfalls unterge-<lb/> ordnetem Gebiete, dem des Angenehmen und Nothwendigen, auch hier<lb/> voraus. — Der Schluß des §. bereitet die Wendung vor, wo ſich das<lb/> Verhältniß zwiſchen Handwerk und Kunſt umkehrt: nachdem dieſe ſich<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0101]
Anſchauungsweiſe entſpricht und, wenn ſie eine geniale iſt, einen neuen
Styl begründet. Zunächſt iſt aber in unſerem Zuſammenhang nicht die
Rede von dem mechaniſchen Theile der Technik innerhalb der Kunſt, (die
nun dem Handwerke gegenüber die freie heißt), ſondern von der Geſchick-
lichkeit überhaupt, die das Handwerk ausbildet, dem Ablauſchen der Natur
des Materials, dem Erfinden von Werkzeugen zu ſeiner Bewältigung,
der Uebung der Hand und des Nervs, wie ſolche mittelbar der Kunſt,
die wir vorerſt als gar nicht vorhanden betrachten, zu gute kommen
ſoll. So verſtanden kann unſer Satz nicht beſagen wollen, daß dasſelbe
Individuum, das Künſtler werden ſoll, durch das Handwerk hindurch-
gegangen ſein müße; wohl aber, wenn der Boden völlig geebnet iſt für
die Kunſt, tritt in denjenigen Handwerken, denen ihrer Natur nach ein
Uebergang zur Kunſt näher liegt, als andern, dieſe Einheit in den
Perſonen auf: der Baumeiſter wird Baukünſtler, der Zimmermann,
Schreiner, Küfer, Schaffler zieht nicht, um ſeinem Werke den künſtleriſchen
Schmuck zu geben, den Schnitzer zu Hilfe, ſondern er wird ſelbſt Schnitzer
und läßt etwa in weiterem Fortſchritte das Handwerk ganz fallen, um
rein künſtleriſche Schnitzwerke auszuführen, ſo daß von da an erſt Hand-
werk und Kunſt ſich trennen; Peter Viſcher war ein einfacher Roth-
gießermeiſter, der von der Meiſterſchaft des Handwerks durch die Orna-
mentik zur künſtleriſchen Compoſition aufſtieg, aber ſein Modell ſelbſt
abgoß und anſpruchslos bei ſeiner Zunft blieb. So machten die Künſtler
des Mittelalters überhaupt keinen Anſpruch auf eine höhere Rangſtufe,
als die des Handwerks, auf deſſen Boden ſie ſtanden. Auch in Griechen-
land ſchied ſich der Künſtler dem Stande nach nicht vom Handwerker, er
blieb δημιȣργὸς, χειρώναξ, der Name τέχνη umfaßte Kunſt und Hand-
werk und z. B. die großen Meiſter des Erzgußes fiengen ſo einfach an,
wie P. Viſcher (vergleiche Hermann. Ueber die Studien der griechiſchen
Künſtler S. 6). Dieß iſt der wahre und geſunde Ausgangspunct der
Kunſt; wie ſie techniſch ihre Wurzeln im Handwerk hat, ſo moraliſch im
Marke des Volks, im Volksboden. Das Geſagte gilt nun zunächſt nur
von den bildenden Künſten; Muſik und Dichtkunſt, ſchon im Alterthum gegen-
über den durch Handarbeit thätigen Künſten durch den Namen artes liberales
höher geſtellt, ſcheinen in dieſem Zuſammenhang gar nicht aufgeführt
werden zu können; doch haben auch ſie, bei allem Unterſchiede des
Materials, ihre Technik, die in eine productive und eine mechaniſche
Seite zerfällt, und die letztere ſetzt eine Uebung (des Ohrs, der Hand,
der Sprachbehandlung) auf anderem, beziehungsweiſe ebenfalls unterge-
ordnetem Gebiete, dem des Angenehmen und Nothwendigen, auch hier
voraus. — Der Schluß des §. bereitet die Wendung vor, wo ſich das
Verhältniß zwiſchen Handwerk und Kunſt umkehrt: nachdem dieſe ſich
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