Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
aus jenem herausgearbeitet, neben und über ihm besteht, hat sie es §. 515. 1 Ueber das Gebiet der Nothdurft, dem das Handwerk dient, erhebt sich 1. "Auf dem Wege zur Kunst", denn daß von der Arbeit für die
aus jenem herausgearbeitet, neben und über ihm beſteht, hat ſie es §. 515. 1 Ueber das Gebiet der Nothdurft, dem das Handwerk dient, erhebt ſich 1. „Auf dem Wege zur Kunſt“, denn daß von der Arbeit für die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0102" n="90"/> aus jenem herausgearbeitet, neben und über ihm beſteht, hat ſie es<lb/> wieder zu ſich heraufzunehmen, das veredelte Handwerk wird ein Seiten-<lb/> zweig der Kunſt und tritt ſo in einer Reihe anhängender Thätigkeiten<lb/> im Syſtem der Künſte wieder auf. Da hat ſich denn aber das Noth-<lb/> wendige und Nützliche, wie es vom Handwerke hergeſtellt wird, bereits<lb/> mit einem Höheren verbunden, das auf einem Triebe ruht, der nun<lb/> geſondert als weitere Vorausſetzung der Kunſt aufzuführen iſt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="6"> <head>§. 515.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Ueber das Gebiet der Nothdurft, dem das Handwerk dient, erhebt ſich<lb/> der Menſch auf dem Wege zur Kunſt durch einen Trieb, das Leben und<lb/> ſeinen ſtoffartigen Ernſt in einem bloßen Scheine darzuſtellen, der den Reiz des<lb/> Ernſtes, eben indem er ihn mit ſich führt, wieder auflöst: den <hi rendition="#g">Spieltrieb</hi>.<lb/><note place="left">2</note>Derſelbe hängt ſich theils an das Werk der äußern Zweckmäßigkeit und an die<lb/> eigene perſönliche Erſcheinung, um <hi rendition="#g">verſchönernd</hi> jenem den Schein der Frei-<lb/> heit zu geben, <hi rendition="#g">ſchmückend</hi> den Ausdruck des unendlichen Werths der Per-<lb/> ſönlichkeit in dieſer zu erhöhen; theils, in ſelbſtändigerer Form als <hi rendition="#g">Nach-<lb/> ahmungstrieb</hi> auftretend, ſtellt er entweder ſubjectiv durch die eigene Perſon<lb/> des Spielenden, oder in objectiver Geſtaltenbildung die Erſcheinungen des<lb/><note place="left">3</note>Lebens dar. Von dem Kunſttriebe unterſcheidet er ſich dadurch, daß der Schein,<lb/> den er ſucht, nicht der reine Schein (§. 54) iſt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. „Auf dem Wege zur Kunſt“, denn daß von der Arbeit für die<lb/> äußern Zwecke des Lebens unzählige andere Formen des theoretiſchen<lb/> und praktiſchen Thuns aufwärts zur Bildung führen, verſteht ſich, eben-<lb/> ſoſehr aber, daß dieſe, ausgenommen die geiſtige Thätigkeit, die der<lb/> folgende §. aufführen wird, für uns, die wir die Linie, welche zur Kunſt<lb/> führt, feſt einhalten, zur Seite liegen bleiben. — Den Begriff des Spiels<lb/> müſſen wir zuerſt ganz einfach und anſpruchslos, ohne Rückſicht auf die<lb/> höhere Bedeutung, die ihm, von <hi rendition="#g">Kant</hi> angeregt, <hi rendition="#g">Schiller</hi> beilegte, vor<lb/> uns hinſtellen. Fangen wir bei dem Thiere an: es iſt das Hauptzeichen<lb/> der höheren Stellung, welche die Säugethiere in der Thierwelt einnehmen,<lb/> daß ſie, wenigſtens in der Jugend, ſpielen, doch ſchon bei dem Vogel<lb/> läßt ſich das Spiel wahrnehmen. Alles Thierſpiel aber iſt ein Aufführen<lb/> von Scheinkämpfen (wozu auch ſcheinbare Jagd gehört), alſo ein Fingi-<lb/> ren des Ernſtes, um deſſen Spannung und Erregung ohne ſeine Schmerzen<lb/> zu genießen in einem frei erzeugten Scheine. Es iſt dieß ein Beweis,<lb/> daß die Thiere nach der Seite der Intelligenz Einbildungskraft, nach der<lb/> Seite des Willens Trieb der freien, zweckloſen Thätigkeit haben. So iſt<lb/> nun auch das menſchliche Spiel, obzwar als ein vom Geiſte durch-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0102]
aus jenem herausgearbeitet, neben und über ihm beſteht, hat ſie es
wieder zu ſich heraufzunehmen, das veredelte Handwerk wird ein Seiten-
zweig der Kunſt und tritt ſo in einer Reihe anhängender Thätigkeiten
im Syſtem der Künſte wieder auf. Da hat ſich denn aber das Noth-
wendige und Nützliche, wie es vom Handwerke hergeſtellt wird, bereits
mit einem Höheren verbunden, das auf einem Triebe ruht, der nun
geſondert als weitere Vorausſetzung der Kunſt aufzuführen iſt.
§. 515.
Ueber das Gebiet der Nothdurft, dem das Handwerk dient, erhebt ſich
der Menſch auf dem Wege zur Kunſt durch einen Trieb, das Leben und
ſeinen ſtoffartigen Ernſt in einem bloßen Scheine darzuſtellen, der den Reiz des
Ernſtes, eben indem er ihn mit ſich führt, wieder auflöst: den Spieltrieb.
Derſelbe hängt ſich theils an das Werk der äußern Zweckmäßigkeit und an die
eigene perſönliche Erſcheinung, um verſchönernd jenem den Schein der Frei-
heit zu geben, ſchmückend den Ausdruck des unendlichen Werths der Per-
ſönlichkeit in dieſer zu erhöhen; theils, in ſelbſtändigerer Form als Nach-
ahmungstrieb auftretend, ſtellt er entweder ſubjectiv durch die eigene Perſon
des Spielenden, oder in objectiver Geſtaltenbildung die Erſcheinungen des
Lebens dar. Von dem Kunſttriebe unterſcheidet er ſich dadurch, daß der Schein,
den er ſucht, nicht der reine Schein (§. 54) iſt.
1. „Auf dem Wege zur Kunſt“, denn daß von der Arbeit für die
äußern Zwecke des Lebens unzählige andere Formen des theoretiſchen
und praktiſchen Thuns aufwärts zur Bildung führen, verſteht ſich, eben-
ſoſehr aber, daß dieſe, ausgenommen die geiſtige Thätigkeit, die der
folgende §. aufführen wird, für uns, die wir die Linie, welche zur Kunſt
führt, feſt einhalten, zur Seite liegen bleiben. — Den Begriff des Spiels
müſſen wir zuerſt ganz einfach und anſpruchslos, ohne Rückſicht auf die
höhere Bedeutung, die ihm, von Kant angeregt, Schiller beilegte, vor
uns hinſtellen. Fangen wir bei dem Thiere an: es iſt das Hauptzeichen
der höheren Stellung, welche die Säugethiere in der Thierwelt einnehmen,
daß ſie, wenigſtens in der Jugend, ſpielen, doch ſchon bei dem Vogel
läßt ſich das Spiel wahrnehmen. Alles Thierſpiel aber iſt ein Aufführen
von Scheinkämpfen (wozu auch ſcheinbare Jagd gehört), alſo ein Fingi-
ren des Ernſtes, um deſſen Spannung und Erregung ohne ſeine Schmerzen
zu genießen in einem frei erzeugten Scheine. Es iſt dieß ein Beweis,
daß die Thiere nach der Seite der Intelligenz Einbildungskraft, nach der
Seite des Willens Trieb der freien, zweckloſen Thätigkeit haben. So iſt
nun auch das menſchliche Spiel, obzwar als ein vom Geiſte durch-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |