Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

"ebenfalls" theils berechtigt, theils unberechtigt; dieß bezieht sich auf §. 532,
wo von Verbindungen der Styl-Arten die Rede ist, wie sie abgesehen von
den historischen Bedingungen jederzeit durch einzelne Individuen vollzogen
werden können. Offenbar unberechtigte Verbindungen sind z. B. die der
vollen Farbe mit der plastischen Gestalt, der malerischen Composition mit
dem Relief; doch auch solche erhalten in diesem Zusammenhang ihre
historische Bedeutung. Es handelt sich aber nicht blos von einer Verän-
derung der Künste, sondern es ist klar, daß ganze Künste und Gruppen
von Künsten einem Ideale vorzüglich entsprechen und in ihm seine Aus-
bildung finden. Auch dieß ist in §. 425 ff. im subjectiven Sinne (von
Seiten des innern Grundes der Künste in gewissen Arten der Phantasie)
schon aufgezeigt, wird aber nun erst in seiner Stärke hervortreten, da z. B.
die Plastik sich beinahe gar nicht allgemein wissenschaftlich behandeln läßt,
sondern vermöge des streng classischen und namentlich die Mythologie
fast unabweislich fordernden Geistes dieser Kunst die historische Behandlung
sich auf allen Puncten in die logische eindrängt. Darin hat nun
Hegel einen Beweggrund gefunden, das geschichtliche Moment sogar
zum Eintheilungsgrunde der Künste überhaupt zu erheben (Aesthet. Th. I
S. 106--116 Th. II S. 252--261): die Architektur tritt als die sym-
bolische, die Plastik als die classische, die Gruppe der Malerei, der Musik
und Poesie als die romantische Kunst auf. Die Plastik ist die Mitte des
ganzen Systems: die reine Gegenwart des Absoluten in der individuellen,
ungetheilt sinnlichen und geistigen Gestalt der Gottheit; die Architektur,
einen innern Sinn nur andeutend, tritt auf das eine Extrem, indem sie
dem Gott seine räumliche Umgebung schafft, auf das andere treten die
romantischen Künste, in denen der Gott übergeht in das subjective Leben
der Gemeinde, und die Malerei, Musik, Poesie stellt eine Steigerung
dieses Prozesses der Vergeistigung dar. Doch schwankt Hegel in der
Anwendung dieses Eintheilungsprinzips, er stellt das aus dem Unterschiede
des Materials abgeleitete mit dem historischen durch ein "auf der andern
Seite" (Th. I S. 107) zusammen und in den Ueberschriften erscheint die
historische Bezeichnung nur bei den "romantischen Künsten." In der That
muß im System der Künste das außer- oder vielmehr übergeschichtliche
rein logische Prinzip herrschen; hier ist die Thatsache, daß jede kunstübende
Nation und Zeit mehr als Eine Kunst angebaut hat und die Poesie
namentlich ihrer Natur nach die schlechthin allgemeine Kunst ist, das Be-
stimmende und die andere, daß die Ideale sich in einer oder einigen
Künsten reiner und völliger offenbaren, als in den andern, muß dagegen
zurücktreten, so daß selbst die oben hervorgehobene Schwierigkeit in der
Darstellung der Plastik nicht so stark erscheinen darf, um nicht den Gesichts-
punct, daß doch der Orient, das Mittelalter, die neue Zeit auch ihre

„ebenfalls“ theils berechtigt, theils unberechtigt; dieß bezieht ſich auf §. 532,
wo von Verbindungen der Styl-Arten die Rede iſt, wie ſie abgeſehen von
den hiſtoriſchen Bedingungen jederzeit durch einzelne Individuen vollzogen
werden können. Offenbar unberechtigte Verbindungen ſind z. B. die der
vollen Farbe mit der plaſtiſchen Geſtalt, der maleriſchen Compoſition mit
dem Relief; doch auch ſolche erhalten in dieſem Zuſammenhang ihre
hiſtoriſche Bedeutung. Es handelt ſich aber nicht blos von einer Verän-
derung der Künſte, ſondern es iſt klar, daß ganze Künſte und Gruppen
von Künſten einem Ideale vorzüglich entſprechen und in ihm ſeine Aus-
bildung finden. Auch dieß iſt in §. 425 ff. im ſubjectiven Sinne (von
Seiten des innern Grundes der Künſte in gewiſſen Arten der Phantaſie)
ſchon aufgezeigt, wird aber nun erſt in ſeiner Stärke hervortreten, da z. B.
die Plaſtik ſich beinahe gar nicht allgemein wiſſenſchaftlich behandeln läßt,
ſondern vermöge des ſtreng claſſiſchen und namentlich die Mythologie
faſt unabweislich fordernden Geiſtes dieſer Kunſt die hiſtoriſche Behandlung
ſich auf allen Puncten in die logiſche eindrängt. Darin hat nun
Hegel einen Beweggrund gefunden, das geſchichtliche Moment ſogar
zum Eintheilungsgrunde der Künſte überhaupt zu erheben (Aeſthet. Th. I
S. 106—116 Th. II S. 252—261): die Architektur tritt als die ſym-
boliſche, die Plaſtik als die claſſiſche, die Gruppe der Malerei, der Muſik
und Poeſie als die romantiſche Kunſt auf. Die Plaſtik iſt die Mitte des
ganzen Syſtems: die reine Gegenwart des Abſoluten in der individuellen,
ungetheilt ſinnlichen und geiſtigen Geſtalt der Gottheit; die Architektur,
einen innern Sinn nur andeutend, tritt auf das eine Extrem, indem ſie
dem Gott ſeine räumliche Umgebung ſchafft, auf das andere treten die
romantiſchen Künſte, in denen der Gott übergeht in das ſubjective Leben
der Gemeinde, und die Malerei, Muſik, Poeſie ſtellt eine Steigerung
dieſes Prozeſſes der Vergeiſtigung dar. Doch ſchwankt Hegel in der
Anwendung dieſes Eintheilungsprinzips, er ſtellt das aus dem Unterſchiede
des Materials abgeleitete mit dem hiſtoriſchen durch ein „auf der andern
Seite“ (Th. I S. 107) zuſammen und in den Ueberſchriften erſcheint die
hiſtoriſche Bezeichnung nur bei den „romantiſchen Künſten.“ In der That
muß im Syſtem der Künſte das außer- oder vielmehr übergeſchichtliche
rein logiſche Prinzip herrſchen; hier iſt die Thatſache, daß jede kunſtübende
Nation und Zeit mehr als Eine Kunſt angebaut hat und die Poeſie
namentlich ihrer Natur nach die ſchlechthin allgemeine Kunſt iſt, das Be-
ſtimmende und die andere, daß die Ideale ſich in einer oder einigen
Künſten reiner und völliger offenbaren, als in den andern, muß dagegen
zurücktreten, ſo daß ſelbſt die oben hervorgehobene Schwierigkeit in der
Darſtellung der Plaſtik nicht ſo ſtark erſcheinen darf, um nicht den Geſichts-
punct, daß doch der Orient, das Mittelalter, die neue Zeit auch ihre

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0170" n="158"/>
&#x201E;ebenfalls&#x201C; theils berechtigt, theils unberechtigt; dieß bezieht &#x017F;ich auf §. 532,<lb/>
wo von Verbindungen der Styl-Arten die Rede i&#x017F;t, wie &#x017F;ie abge&#x017F;ehen von<lb/>
den hi&#x017F;tori&#x017F;chen Bedingungen <hi rendition="#g">jederzeit</hi> durch einzelne Individuen vollzogen<lb/>
werden können. Offenbar unberechtigte Verbindungen &#x017F;ind z. B. die der<lb/>
vollen Farbe mit der pla&#x017F;ti&#x017F;chen Ge&#x017F;talt, der maleri&#x017F;chen Compo&#x017F;ition mit<lb/>
dem Relief; doch auch &#x017F;olche erhalten in die&#x017F;em Zu&#x017F;ammenhang ihre<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;che Bedeutung. Es handelt &#x017F;ich aber nicht blos von einer Verän-<lb/>
derung der Kün&#x017F;te, &#x017F;ondern es i&#x017F;t klar, daß ganze Kün&#x017F;te und Gruppen<lb/>
von Kün&#x017F;ten einem Ideale vorzüglich ent&#x017F;prechen und in ihm &#x017F;eine Aus-<lb/>
bildung finden. Auch dieß i&#x017F;t in §. 425 ff. im &#x017F;ubjectiven Sinne (von<lb/>
Seiten des innern Grundes der Kün&#x017F;te in gewi&#x017F;&#x017F;en Arten der Phanta&#x017F;ie)<lb/>
&#x017F;chon aufgezeigt, wird aber nun er&#x017F;t in &#x017F;einer Stärke hervortreten, da z. B.<lb/>
die Pla&#x017F;tik &#x017F;ich beinahe gar nicht allgemein wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich behandeln läßt,<lb/>
&#x017F;ondern vermöge des &#x017F;treng cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen und namentlich die Mythologie<lb/>
fa&#x017F;t unabweislich fordernden Gei&#x017F;tes die&#x017F;er Kun&#x017F;t die hi&#x017F;tori&#x017F;che Behandlung<lb/>
&#x017F;ich auf allen Puncten in die logi&#x017F;che eindrängt. Darin hat nun<lb/><hi rendition="#g">Hegel</hi> einen Beweggrund gefunden, das ge&#x017F;chichtliche Moment &#x017F;ogar<lb/>
zum Eintheilungsgrunde der Kün&#x017F;te überhaupt zu erheben (Ae&#x017F;thet. Th. <hi rendition="#aq">I</hi><lb/>
S. 106&#x2014;116 Th. <hi rendition="#aq">II</hi> S. 252&#x2014;261): die Architektur tritt als die &#x017F;ym-<lb/>
boli&#x017F;che, die Pla&#x017F;tik als die cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che, die Gruppe der Malerei, der Mu&#x017F;ik<lb/>
und Poe&#x017F;ie als die romanti&#x017F;che Kun&#x017F;t auf. Die Pla&#x017F;tik i&#x017F;t die Mitte des<lb/>
ganzen Sy&#x017F;tems: die reine Gegenwart des Ab&#x017F;oluten in der individuellen,<lb/>
ungetheilt &#x017F;innlichen und gei&#x017F;tigen Ge&#x017F;talt der Gottheit; die Architektur,<lb/>
einen innern Sinn nur andeutend, tritt auf das eine Extrem, indem &#x017F;ie<lb/>
dem Gott &#x017F;eine räumliche Umgebung &#x017F;chafft, auf das andere treten die<lb/>
romanti&#x017F;chen Kün&#x017F;te, in denen der Gott übergeht in das &#x017F;ubjective Leben<lb/>
der Gemeinde, und die Malerei, Mu&#x017F;ik, Poe&#x017F;ie &#x017F;tellt eine Steigerung<lb/>
die&#x017F;es Proze&#x017F;&#x017F;es der Vergei&#x017F;tigung dar. Doch &#x017F;chwankt Hegel in der<lb/>
Anwendung die&#x017F;es Eintheilungsprinzips, er &#x017F;tellt das aus dem Unter&#x017F;chiede<lb/>
des Materials abgeleitete mit dem hi&#x017F;tori&#x017F;chen durch ein &#x201E;auf der andern<lb/>
Seite&#x201C; (Th. <hi rendition="#aq">I</hi> S. 107) zu&#x017F;ammen und in den Ueber&#x017F;chriften er&#x017F;cheint die<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;che Bezeichnung nur bei den &#x201E;romanti&#x017F;chen Kün&#x017F;ten.&#x201C; In der That<lb/>
muß im Sy&#x017F;tem der Kün&#x017F;te das außer- oder vielmehr überge&#x017F;chichtliche<lb/>
rein logi&#x017F;che Prinzip herr&#x017F;chen; hier i&#x017F;t die That&#x017F;ache, daß jede kun&#x017F;tübende<lb/>
Nation und Zeit mehr als Eine Kun&#x017F;t angebaut hat und die Poe&#x017F;ie<lb/>
namentlich ihrer Natur nach die &#x017F;chlechthin allgemeine Kun&#x017F;t i&#x017F;t, das Be-<lb/>
&#x017F;timmende und die andere, daß die Ideale &#x017F;ich in einer oder einigen<lb/>
Kün&#x017F;ten reiner und völliger offenbaren, als in den andern, muß dagegen<lb/>
zurücktreten, &#x017F;o daß &#x017F;elb&#x017F;t die oben hervorgehobene Schwierigkeit in der<lb/>
Dar&#x017F;tellung der Pla&#x017F;tik nicht &#x017F;o &#x017F;tark er&#x017F;cheinen darf, um nicht den Ge&#x017F;ichts-<lb/>
punct, daß doch der Orient, das Mittelalter, die neue Zeit auch ihre<lb/></hi> </p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0170] „ebenfalls“ theils berechtigt, theils unberechtigt; dieß bezieht ſich auf §. 532, wo von Verbindungen der Styl-Arten die Rede iſt, wie ſie abgeſehen von den hiſtoriſchen Bedingungen jederzeit durch einzelne Individuen vollzogen werden können. Offenbar unberechtigte Verbindungen ſind z. B. die der vollen Farbe mit der plaſtiſchen Geſtalt, der maleriſchen Compoſition mit dem Relief; doch auch ſolche erhalten in dieſem Zuſammenhang ihre hiſtoriſche Bedeutung. Es handelt ſich aber nicht blos von einer Verän- derung der Künſte, ſondern es iſt klar, daß ganze Künſte und Gruppen von Künſten einem Ideale vorzüglich entſprechen und in ihm ſeine Aus- bildung finden. Auch dieß iſt in §. 425 ff. im ſubjectiven Sinne (von Seiten des innern Grundes der Künſte in gewiſſen Arten der Phantaſie) ſchon aufgezeigt, wird aber nun erſt in ſeiner Stärke hervortreten, da z. B. die Plaſtik ſich beinahe gar nicht allgemein wiſſenſchaftlich behandeln läßt, ſondern vermöge des ſtreng claſſiſchen und namentlich die Mythologie faſt unabweislich fordernden Geiſtes dieſer Kunſt die hiſtoriſche Behandlung ſich auf allen Puncten in die logiſche eindrängt. Darin hat nun Hegel einen Beweggrund gefunden, das geſchichtliche Moment ſogar zum Eintheilungsgrunde der Künſte überhaupt zu erheben (Aeſthet. Th. I S. 106—116 Th. II S. 252—261): die Architektur tritt als die ſym- boliſche, die Plaſtik als die claſſiſche, die Gruppe der Malerei, der Muſik und Poeſie als die romantiſche Kunſt auf. Die Plaſtik iſt die Mitte des ganzen Syſtems: die reine Gegenwart des Abſoluten in der individuellen, ungetheilt ſinnlichen und geiſtigen Geſtalt der Gottheit; die Architektur, einen innern Sinn nur andeutend, tritt auf das eine Extrem, indem ſie dem Gott ſeine räumliche Umgebung ſchafft, auf das andere treten die romantiſchen Künſte, in denen der Gott übergeht in das ſubjective Leben der Gemeinde, und die Malerei, Muſik, Poeſie ſtellt eine Steigerung dieſes Prozeſſes der Vergeiſtigung dar. Doch ſchwankt Hegel in der Anwendung dieſes Eintheilungsprinzips, er ſtellt das aus dem Unterſchiede des Materials abgeleitete mit dem hiſtoriſchen durch ein „auf der andern Seite“ (Th. I S. 107) zuſammen und in den Ueberſchriften erſcheint die hiſtoriſche Bezeichnung nur bei den „romantiſchen Künſten.“ In der That muß im Syſtem der Künſte das außer- oder vielmehr übergeſchichtliche rein logiſche Prinzip herrſchen; hier iſt die Thatſache, daß jede kunſtübende Nation und Zeit mehr als Eine Kunſt angebaut hat und die Poeſie namentlich ihrer Natur nach die ſchlechthin allgemeine Kunſt iſt, das Be- ſtimmende und die andere, daß die Ideale ſich in einer oder einigen Künſten reiner und völliger offenbaren, als in den andern, muß dagegen zurücktreten, ſo daß ſelbſt die oben hervorgehobene Schwierigkeit in der Darſtellung der Plaſtik nicht ſo ſtark erſcheinen darf, um nicht den Geſichts- punct, daß doch der Orient, das Mittelalter, die neue Zeit auch ihre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/170
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/170>, abgerufen am 27.11.2024.