thore, Propyläen führten zu den bedeutendsten Tempeln (Parthenon, Tempel in Eleusis u. and.). Im Mittelalter dehnen sich Priesterwoh- nungen zu Abteien, Klöstern aus; diese geselligen Clausuren für Solche, die sich der Ascese dieser Zeit gewidmet, sind aber zugleich Wiegen un- entwickelter Wissenschaft und Kunst und entsprechen nach dieser Seite den Gebäuden für diesen Zweig, den Universitätshäusern, Akademieen. Sie haben nach innen ihre Oeffentlichkeit, die sich in der an das antike Peri- styl erinnernden Halle des Kreuzgangs darstellt. Kapitelsaal und Refec- torium sind die Rathhaus- und Palastähnlichen Festräume. Baptisterien, Kapellen, Grabkirchen gesellen sich ferner zum Dome des Mittelalters. -- Blicken wir nun auf die Gebäude-Arten §. 575 zurück und überschauen wir, wie sie in einer natürlichen Reihe zu dem Tempel führen, so sehen wir in diesem ihren Gipfel und Mittelpunct, der sich, unbeschadet ein- zelner abgesonderter Tempelbauten, nicht nur mit den Räumen und Ge- bäuden der ausdrücklichen Oeffentlichkeit, sondern auch mit den bedeutendsten jener für Einzelzwecke bestimmten Bauwerke zusammengruppirt. In Rom stand der höchste Nationaltempel auf dem Capitol unmittelbar am Forum, in Athen, verbunden mit dem Theater und hochwichtigen Heiligthümern an und auf der Akropolis, ebenfalls unmittelbar an der Agora, wo ja auch der Areopag sich befand. Wie im Dorfe der Kirchthurm idyllisch als Hirte der Heerde erscheint, so ist nun der Tempel auch räumlich zu einem Mittelpuncte geworden, der, mit den wichtigsten öffentlichen Gebäuden vereinigt, die Masse der Privathäuser sich unterordnet, ihnen ihre höchste Idealität, mit dem Markt u. s. w. ihren absoluten Festraum und Fest- saal gibt. Dieß muß das Haupt-Augenmerk für die höchste, cyklische Aufgabe, den Städtebau, sein. Von der andern Seite macht sich aber hier in ihrem ganzen Gewichte die Rücksicht auf die umgebende Natur in der Beziehung der Gesundheit (Licht, Luft, Wasser) Sicherheit und Schön- heit (Höhe und Thal, Fluß, Meer, Vegetation) geltend. Die Alten bil- deten zwar ein Ideal einer regelmäßigen Stadt aus, orientalische Städte, wie Babylon, waren ganz systematisch angelegt, aber selten ist dem Bau- meister die Aufgabe eines Stadtbaus rein gegeben: Zufall und Instinct bilden die Anfänge, die Kunst findet in dem Gegebenen oft ein absolutes Hinderniß, oft höchst fördernde Motive. Wo Zufall und Instinct glücklich gegriffen, die Kunst edel nachgewirkt, entstehen die wahrhaft lebendigen Städtebilder mit historischem Charakter. Ist aber die Aufgabe rein ge- stellt, so muß künstlerische Verbindung von Regelmäßigkeit und mit Rück- sicht auf große und schöne Natur zu gewinnende Mannigfaltigkeit das Ziel sein; die geradlinigten, öden Residenzstädte, die namentlich das vorige Jahrhundert abstract auf den Sand hinstellte, sind traurige Denkmale unfruchtbarer Willkühr.
thore, Propyläen führten zu den bedeutendſten Tempeln (Parthenon, Tempel in Eleuſis u. and.). Im Mittelalter dehnen ſich Prieſterwoh- nungen zu Abteien, Klöſtern aus; dieſe geſelligen Clauſuren für Solche, die ſich der Aſceſe dieſer Zeit gewidmet, ſind aber zugleich Wiegen un- entwickelter Wiſſenſchaft und Kunſt und entſprechen nach dieſer Seite den Gebäuden für dieſen Zweig, den Univerſitätshäuſern, Akademieen. Sie haben nach innen ihre Oeffentlichkeit, die ſich in der an das antike Peri- ſtyl erinnernden Halle des Kreuzgangs darſtellt. Kapitelſaal und Refec- torium ſind die Rathhaus- und Palaſtähnlichen Feſträume. Baptiſterien, Kapellen, Grabkirchen geſellen ſich ferner zum Dome des Mittelalters. — Blicken wir nun auf die Gebäude-Arten §. 575 zurück und überſchauen wir, wie ſie in einer natürlichen Reihe zu dem Tempel führen, ſo ſehen wir in dieſem ihren Gipfel und Mittelpunct, der ſich, unbeſchadet ein- zelner abgeſonderter Tempelbauten, nicht nur mit den Räumen und Ge- bäuden der ausdrücklichen Oeffentlichkeit, ſondern auch mit den bedeutendſten jener für Einzelzwecke beſtimmten Bauwerke zuſammengruppirt. In Rom ſtand der höchſte Nationaltempel auf dem Capitol unmittelbar am Forum, in Athen, verbunden mit dem Theater und hochwichtigen Heiligthümern an und auf der Akropolis, ebenfalls unmittelbar an der Agora, wo ja auch der Areopag ſich befand. Wie im Dorfe der Kirchthurm idylliſch als Hirte der Heerde erſcheint, ſo iſt nun der Tempel auch räumlich zu einem Mittelpuncte geworden, der, mit den wichtigſten öffentlichen Gebäuden vereinigt, die Maſſe der Privathäuſer ſich unterordnet, ihnen ihre höchſte Idealität, mit dem Markt u. ſ. w. ihren abſoluten Feſtraum und Feſt- ſaal gibt. Dieß muß das Haupt-Augenmerk für die höchſte, cykliſche Aufgabe, den Städtebau, ſein. Von der andern Seite macht ſich aber hier in ihrem ganzen Gewichte die Rückſicht auf die umgebende Natur in der Beziehung der Geſundheit (Licht, Luft, Waſſer) Sicherheit und Schön- heit (Höhe und Thal, Fluß, Meer, Vegetation) geltend. Die Alten bil- deten zwar ein Ideal einer regelmäßigen Stadt aus, orientaliſche Städte, wie Babylon, waren ganz ſyſtematiſch angelegt, aber ſelten iſt dem Bau- meiſter die Aufgabe eines Stadtbaus rein gegeben: Zufall und Inſtinct bilden die Anfänge, die Kunſt findet in dem Gegebenen oft ein abſolutes Hinderniß, oft höchſt fördernde Motive. Wo Zufall und Inſtinct glücklich gegriffen, die Kunſt edel nachgewirkt, entſtehen die wahrhaft lebendigen Städtebilder mit hiſtoriſchem Charakter. Iſt aber die Aufgabe rein ge- ſtellt, ſo muß künſtleriſche Verbindung von Regelmäßigkeit und mit Rück- ſicht auf große und ſchöne Natur zu gewinnende Mannigfaltigkeit das Ziel ſein; die geradlinigten, öden Reſidenzſtädte, die namentlich das vorige Jahrhundert abſtract auf den Sand hinſtellte, ſind traurige Denkmale unfruchtbarer Willkühr.
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thore, Propyläen führten zu den bedeutendſten Tempeln (Parthenon,
Tempel in Eleuſis u. and.). Im Mittelalter dehnen ſich Prieſterwoh-
nungen zu Abteien, Klöſtern aus; dieſe geſelligen Clauſuren für Solche,
die ſich der Aſceſe dieſer Zeit gewidmet, ſind aber zugleich Wiegen un-
entwickelter Wiſſenſchaft und Kunſt und entſprechen nach dieſer Seite den
Gebäuden für dieſen Zweig, den Univerſitätshäuſern, Akademieen. Sie
haben nach innen ihre Oeffentlichkeit, die ſich in der an das antike Peri-
ſtyl erinnernden Halle des Kreuzgangs darſtellt. Kapitelſaal und Refec-
torium ſind die Rathhaus- und Palaſtähnlichen Feſträume. Baptiſterien,
Kapellen, Grabkirchen geſellen ſich ferner zum Dome des Mittelalters. —
Blicken wir nun auf die Gebäude-Arten §. 575 zurück und überſchauen
wir, wie ſie in einer natürlichen Reihe zu dem Tempel führen, ſo ſehen
wir in dieſem ihren Gipfel und Mittelpunct, der ſich, unbeſchadet ein-
zelner abgeſonderter Tempelbauten, nicht nur mit den Räumen und Ge-
bäuden der ausdrücklichen Oeffentlichkeit, ſondern auch mit den bedeutendſten
jener für Einzelzwecke beſtimmten Bauwerke zuſammengruppirt. In Rom
ſtand der höchſte Nationaltempel auf dem Capitol unmittelbar am Forum,
in Athen, verbunden mit dem Theater und hochwichtigen Heiligthümern
an und auf der Akropolis, ebenfalls unmittelbar an der Agora, wo ja
auch der Areopag ſich befand. Wie im Dorfe der Kirchthurm idylliſch als
Hirte der Heerde erſcheint, ſo iſt nun der Tempel auch räumlich zu einem
Mittelpuncte geworden, der, mit den wichtigſten öffentlichen Gebäuden
vereinigt, die Maſſe der Privathäuſer ſich unterordnet, ihnen ihre höchſte
Idealität, mit dem Markt u. ſ. w. ihren abſoluten Feſtraum und Feſt-
ſaal gibt. Dieß muß das Haupt-Augenmerk für die höchſte, cykliſche
Aufgabe, den Städtebau, ſein. Von der andern Seite macht ſich aber
hier in ihrem ganzen Gewichte die Rückſicht auf die umgebende Natur in
der Beziehung der Geſundheit (Licht, Luft, Waſſer) Sicherheit und Schön-
heit (Höhe und Thal, Fluß, Meer, Vegetation) geltend. Die Alten bil-
deten zwar ein Ideal einer regelmäßigen Stadt aus, orientaliſche Städte,
wie Babylon, waren ganz ſyſtematiſch angelegt, aber ſelten iſt dem Bau-
meiſter die Aufgabe eines Stadtbaus rein gegeben: Zufall und Inſtinct
bilden die Anfänge, die Kunſt findet in dem Gegebenen oft ein abſolutes
Hinderniß, oft höchſt fördernde Motive. Wo Zufall und Inſtinct glücklich
gegriffen, die Kunſt edel nachgewirkt, entſtehen die wahrhaft lebendigen
Städtebilder mit hiſtoriſchem Charakter. Iſt aber die Aufgabe rein ge-
ſtellt, ſo muß künſtleriſche Verbindung von Regelmäßigkeit und mit Rück-
ſicht auf große und ſchöne Natur zu gewinnende Mannigfaltigkeit das
Ziel ſein; die geradlinigten, öden Reſidenzſtädte, die namentlich das vorige
Jahrhundert abſtract auf den Sand hinſtellte, ſind traurige Denkmale
unfruchtbarer Willkühr.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/104>, abgerufen am 16.02.2025.
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