Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
das Erhabene des Raumes in seiner formlosen Gestalt; das Erhabene §. 580. In der Ausbildung der nationalen Bauformen macht sich nun der Dualis- Das einseitige Auftreten jener großen Gegensätze, welche §. 565 aus
das Erhabene des Raumes in ſeiner formloſen Geſtalt; das Erhabene §. 580. In der Ausbildung der nationalen Bauformen macht ſich nun der Dualis- Das einſeitige Auftreten jener großen Gegenſätze, welche §. 565 aus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0113" n="273"/> das Erhabene des Raumes in ſeiner formloſen Geſtalt; das Erhabene<lb/> wird in der §. 430 dargeſtellten Weiſe zum Ungeheuren. Die Baukunſt<lb/> iſt an ſich eine vorzugsweis erhabene Kunſt, hier wird ſie erhaben in<lb/> dieſem beſondern Sinne. Der Dualismus des Gemeſſenen und Unge-<lb/> meſſenen (man vergl. zu dieſer nähern Beſtimmung in §. 430 die intereſſante<lb/> Parallele der entſprechenden Pflanzenwelt §. 278) drückt ſich nun zunächſt<lb/> darin aus, daß „unter“ dem Gemeſſenen, d. h. innerhalb des bändigenden<lb/> Maaßes und dieſes Maaß ſelbſt in’s Coloſſale treibend der dunkle Natur-<lb/> drang aufgährt; daraus geht eben das Ungeheure hervor, was wir ſowohl<lb/> am Hochbau, als am Längenbau beſtätigt ſehen werden. Das Ungemeſſene<lb/> tritt aber auch „neben“ das Maaß ſo, daß das Gemeſſene von aus-<lb/> ſchweifender Pracht umwuchert und dadurch wieder aus den Fugen ge-<lb/> trieben und verdunkelt wird, was ſich bei der Gliederung und bei dem<lb/> Ornamente zeigen wird. Das dunkel Majeſtätiſche wird ſich ebenfalls bei<lb/> den einzelnen Formen beſtimmter hervorſtellen, während es im Allgemeinen<lb/> ſchon durch die Zuſammenfaſſung der Symbolik mit der dieſer Baukunſt<lb/> eigenen Erhabenheit ſich ergibt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="8"> <head>§. 580.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">In der Ausbildung der nationalen Bauformen macht ſich nun der Dualis-<lb/> mus in der Weiſe geltend, daß die in §. 565 aufgeſtellten Gegenſätze in ein-<lb/> ſeitiger Herrſchaft hervortreten. Das verborgene Weſen der Gottheit wird von<lb/> der traumartigen <hi rendition="#g">indiſchen</hi> Phantaſie (vergl. §. 431) in dem zu einem Außen-<lb/> bau zweifelhaft umſchlagenden <hi rendition="#g">Innenbau</hi> der in den natürlichen Fels gehauenen<lb/><hi rendition="#g">Grottentempel</hi> dargeſtellt. Dieſer dunkel majeſtätiſche Bau iſt durch die<lb/> Stütze ſeiner niedrigen Decke, die gedrückte Säule, welche ſich unreif aus dem<lb/> Pfeiler hervorbildet, zugleich ein Bau der vorherrſchenden <hi rendition="#g">Laſt</hi>. Durch die<lb/> unbeſtimmt wechſelnde Grundform des Ganzen und das wuchernde unorganiſche<lb/> Spiel der Glieder und Ornamente erſcheint er als unentwickelter Keim der<lb/> reinen geſchichtlichen Bauſtyle.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Das einſeitige Auftreten jener großen Gegenſätze, welche §. 565 aus<lb/> den Grundlinien und Erſtreckungen, die im Weſen der Baukunſt liegen,<lb/> abgeleitet hat, iſt mit dem obigen Ausdruck „nationale Bauformen“ nicht<lb/> ſo zuſammenzufaſſen, daß man annähme, es trete je Ein Gegenſatz nur<lb/> bei Einer Nation hervor. Vielmehr iſt hier als ganz weſentlich noch<lb/> hinzuzufügen, daß gerade im Orient und bei den mit ihm hier zuſammen-<lb/> geſtellten Völkern die einſeitigen Hauptformen faſt überall bei Einem und<lb/> demſelben Volke nebeneinander vorkommen, zwar im Werthe nicht coor-<lb/> dinirt, aber doch ſo, daß man ſieht, wie der reine Styl erſt geſucht wird.<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [273/0113]
das Erhabene des Raumes in ſeiner formloſen Geſtalt; das Erhabene
wird in der §. 430 dargeſtellten Weiſe zum Ungeheuren. Die Baukunſt
iſt an ſich eine vorzugsweis erhabene Kunſt, hier wird ſie erhaben in
dieſem beſondern Sinne. Der Dualismus des Gemeſſenen und Unge-
meſſenen (man vergl. zu dieſer nähern Beſtimmung in §. 430 die intereſſante
Parallele der entſprechenden Pflanzenwelt §. 278) drückt ſich nun zunächſt
darin aus, daß „unter“ dem Gemeſſenen, d. h. innerhalb des bändigenden
Maaßes und dieſes Maaß ſelbſt in’s Coloſſale treibend der dunkle Natur-
drang aufgährt; daraus geht eben das Ungeheure hervor, was wir ſowohl
am Hochbau, als am Längenbau beſtätigt ſehen werden. Das Ungemeſſene
tritt aber auch „neben“ das Maaß ſo, daß das Gemeſſene von aus-
ſchweifender Pracht umwuchert und dadurch wieder aus den Fugen ge-
trieben und verdunkelt wird, was ſich bei der Gliederung und bei dem
Ornamente zeigen wird. Das dunkel Majeſtätiſche wird ſich ebenfalls bei
den einzelnen Formen beſtimmter hervorſtellen, während es im Allgemeinen
ſchon durch die Zuſammenfaſſung der Symbolik mit der dieſer Baukunſt
eigenen Erhabenheit ſich ergibt.
§. 580.
In der Ausbildung der nationalen Bauformen macht ſich nun der Dualis-
mus in der Weiſe geltend, daß die in §. 565 aufgeſtellten Gegenſätze in ein-
ſeitiger Herrſchaft hervortreten. Das verborgene Weſen der Gottheit wird von
der traumartigen indiſchen Phantaſie (vergl. §. 431) in dem zu einem Außen-
bau zweifelhaft umſchlagenden Innenbau der in den natürlichen Fels gehauenen
Grottentempel dargeſtellt. Dieſer dunkel majeſtätiſche Bau iſt durch die
Stütze ſeiner niedrigen Decke, die gedrückte Säule, welche ſich unreif aus dem
Pfeiler hervorbildet, zugleich ein Bau der vorherrſchenden Laſt. Durch die
unbeſtimmt wechſelnde Grundform des Ganzen und das wuchernde unorganiſche
Spiel der Glieder und Ornamente erſcheint er als unentwickelter Keim der
reinen geſchichtlichen Bauſtyle.
Das einſeitige Auftreten jener großen Gegenſätze, welche §. 565 aus
den Grundlinien und Erſtreckungen, die im Weſen der Baukunſt liegen,
abgeleitet hat, iſt mit dem obigen Ausdruck „nationale Bauformen“ nicht
ſo zuſammenzufaſſen, daß man annähme, es trete je Ein Gegenſatz nur
bei Einer Nation hervor. Vielmehr iſt hier als ganz weſentlich noch
hinzuzufügen, daß gerade im Orient und bei den mit ihm hier zuſammen-
geſtellten Völkern die einſeitigen Hauptformen faſt überall bei Einem und
demſelben Volke nebeneinander vorkommen, zwar im Werthe nicht coor-
dinirt, aber doch ſo, daß man ſieht, wie der reine Styl erſt geſucht wird.
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