Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
So erscheint der Höhlenbau auch bei den Aegyptiern, obwohl nur als
So erſcheint der Höhlenbau auch bei den Aegyptiern, obwohl nur als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0114" n="274"/> So erſcheint der Höhlenbau auch bei den Aegyptiern, obwohl nur als<lb/> Grab, nicht als Tempel, er iſt depotenzirt durch den ägyptiſchen Tempel-<lb/> bau, den wir kennen lernen werden. Allerdings war das ägyptiſche Felſen-<lb/> grab tempelartig und ſehr intereſſant wäre es, wenn <hi rendition="#g">Gau</hi> (Nub. Alterth.)<lb/> mit ſeiner Annahme Recht hätte, daß der freie ägyptiſche Tempelbau von ihnen<lb/> ausgegangen ſei (dagegen ſ. Schnaaſe Geſch. d. bild. K. B. <hi rendition="#aq">I,</hi> S. 413 ff.).<lb/> Uebrigens war der Höhlenbau als Grab auch bei den Perſern noch be-<lb/> deutend entwickelt, in eingeſchränkterer Weiſe kommt er auch bei den anderen<lb/> Völkern des Alterthums, ſelbſt Griechen und Römern (Katakomben), vor.<lb/> So werden wir ferner umgekehrt den thurmartigen Terraſſenbau, der in<lb/> Aegypten zur Pyramide wurde, auch bei den Indiern und ſonſt in weiter<lb/> Verbreitung finden. — In der Geſchichte dieſer einſeitigen Formen der<lb/> orientaliſchen Baukunſt ſtellen wir nun voran den Bau, der von dem<lb/> erſten jener gegenſätzlichen Paare (§. 565, <hi rendition="#sub">2.</hi>) das Glied des blos <hi rendition="#g">Innern</hi>,<lb/> von dem letzten das Glied des herrſchenden Ausdrucks der <hi rendition="#g">Laſt</hi> aus-<lb/> ſcheidet: den indiſchen Höhlentempel. Wir können uns hier nicht auf die<lb/> Frage über ſein wirkliches Alter einlaſſen: uns genügt, daß er ſeinem<lb/> Weſen nach der urſprünglichſte, Incunabel-artigſte Styl iſt. Nicht un-<lb/> wahrſcheinlich, daß er aus einem Gräber-Bau hervorgegangen iſt, wodurch<lb/> denn der Uebergang von der Verehrung der abgeſchiedenen zu dem der<lb/> abſoluten Perſon (vergl. §. 556) auch hier in ſeiner tiefen Bedeutung<lb/> hervorträte und jene Depotenzirung deſſelben in Aegypten zugleich als<lb/> Rückführung auf die urſprüngliche Beſtimmung erſchiene. Das Einwühlen<lb/> in den gewachſenen Fels erſcheint ſchon an ſich als die urſprünglichſte<lb/> Form, als das Thun einer erſten Kunſt, die noch nicht frei aus frei ge-<lb/> theiltem Material zu ſchaffen wagt, und die ganze künftiges beſtimmter<lb/> Ausgebildetes vorbildende, keimvoll unbeſtimmte Formenwelt, die damit<lb/> verbunden iſt, geht eben aus dieſer ſchon oben charakteriſirten vollen Ver-<lb/> ſenkung in die Natur und Bindung an das gegebene Material hervor.<lb/> Als bloßer Innenbau weist dieſe Architektur zunächſt in intereſſanter vor-<lb/> bildlicher Weiſe auf den mittelalterlichen Styl hin; dazu kommt, daß der<lb/> gewöhnliche Grundriß des Quadrats ſich auch zur Form des griechiſchen<lb/> Kreuzes, zum Oblongum mit halbkreisrundem und halbkuppelförmig ge-<lb/> decktem Abſchluß für das Götterbild geſtaltet, ja (in den buddhiſtiſchen<lb/> Höhlentempeln gewöhnlich) ſogar die Decke (freilich nur in Tonnen-Form,<lb/> zum Theil mit Annäherung an die Hufeiſenform) gewölbt iſt, die Pfeiler-<lb/> Reihen einen breiteren Mittelgang frei laſſen und ſo ein Hauptſchiff mit<lb/> Seitenſchiffen aufzutreten ſcheint. Wie aller Innenbau, ſpricht ſich auch dieſer<lb/> durch eine geſchmückte Fa<hi rendition="#aq">ç</hi>ade aus, freilich kein eigentliches Portal, wie<lb/> in den gothiſchen Domen, ſondern nur aus den vorderſten Pfeilerreihen<lb/> und einem friesartigen Wandſchmucke beſtehend. Wo dieſe Fa<hi rendition="#aq">ç</hi>ade nicht<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [274/0114]
So erſcheint der Höhlenbau auch bei den Aegyptiern, obwohl nur als
Grab, nicht als Tempel, er iſt depotenzirt durch den ägyptiſchen Tempel-
bau, den wir kennen lernen werden. Allerdings war das ägyptiſche Felſen-
grab tempelartig und ſehr intereſſant wäre es, wenn Gau (Nub. Alterth.)
mit ſeiner Annahme Recht hätte, daß der freie ägyptiſche Tempelbau von ihnen
ausgegangen ſei (dagegen ſ. Schnaaſe Geſch. d. bild. K. B. I, S. 413 ff.).
Uebrigens war der Höhlenbau als Grab auch bei den Perſern noch be-
deutend entwickelt, in eingeſchränkterer Weiſe kommt er auch bei den anderen
Völkern des Alterthums, ſelbſt Griechen und Römern (Katakomben), vor.
So werden wir ferner umgekehrt den thurmartigen Terraſſenbau, der in
Aegypten zur Pyramide wurde, auch bei den Indiern und ſonſt in weiter
Verbreitung finden. — In der Geſchichte dieſer einſeitigen Formen der
orientaliſchen Baukunſt ſtellen wir nun voran den Bau, der von dem
erſten jener gegenſätzlichen Paare (§. 565, 2.) das Glied des blos Innern,
von dem letzten das Glied des herrſchenden Ausdrucks der Laſt aus-
ſcheidet: den indiſchen Höhlentempel. Wir können uns hier nicht auf die
Frage über ſein wirkliches Alter einlaſſen: uns genügt, daß er ſeinem
Weſen nach der urſprünglichſte, Incunabel-artigſte Styl iſt. Nicht un-
wahrſcheinlich, daß er aus einem Gräber-Bau hervorgegangen iſt, wodurch
denn der Uebergang von der Verehrung der abgeſchiedenen zu dem der
abſoluten Perſon (vergl. §. 556) auch hier in ſeiner tiefen Bedeutung
hervorträte und jene Depotenzirung deſſelben in Aegypten zugleich als
Rückführung auf die urſprüngliche Beſtimmung erſchiene. Das Einwühlen
in den gewachſenen Fels erſcheint ſchon an ſich als die urſprünglichſte
Form, als das Thun einer erſten Kunſt, die noch nicht frei aus frei ge-
theiltem Material zu ſchaffen wagt, und die ganze künftiges beſtimmter
Ausgebildetes vorbildende, keimvoll unbeſtimmte Formenwelt, die damit
verbunden iſt, geht eben aus dieſer ſchon oben charakteriſirten vollen Ver-
ſenkung in die Natur und Bindung an das gegebene Material hervor.
Als bloßer Innenbau weist dieſe Architektur zunächſt in intereſſanter vor-
bildlicher Weiſe auf den mittelalterlichen Styl hin; dazu kommt, daß der
gewöhnliche Grundriß des Quadrats ſich auch zur Form des griechiſchen
Kreuzes, zum Oblongum mit halbkreisrundem und halbkuppelförmig ge-
decktem Abſchluß für das Götterbild geſtaltet, ja (in den buddhiſtiſchen
Höhlentempeln gewöhnlich) ſogar die Decke (freilich nur in Tonnen-Form,
zum Theil mit Annäherung an die Hufeiſenform) gewölbt iſt, die Pfeiler-
Reihen einen breiteren Mittelgang frei laſſen und ſo ein Hauptſchiff mit
Seitenſchiffen aufzutreten ſcheint. Wie aller Innenbau, ſpricht ſich auch dieſer
durch eine geſchmückte Façade aus, freilich kein eigentliches Portal, wie
in den gothiſchen Domen, ſondern nur aus den vorderſten Pfeilerreihen
und einem friesartigen Wandſchmucke beſtehend. Wo dieſe Façade nicht
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