Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
die seiner pyramidalen Gestalt zu Grunde lag und in der eigentlichen
die ſeiner pyramidalen Geſtalt zu Grunde lag und in der eigentlichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0121" n="281"/> die ſeiner pyramidalen Geſtalt zu Grunde lag und in der eigentlichen<lb/> Pyramide zu Tage tritt, wird in dem Sinne nicht verwendet, daß ſie<lb/> zu der abſchließenden Giebelform des Daches ſich umbildete. Durch die<lb/> flache Deckung (wo es ſich überhaupt von gedeckten Theilen handelt), ſo-<lb/> wie durch die ausgedehnte Reihe der Vorräume, von welcher zu <hi rendition="#sub">2.</hi> die<lb/> Rede ſein wird, iſt nun dieſer Bau zu ſehr Langbau; alſo auch hier<lb/> wieder einſeitiges Hervortreten einer der in §. 565 aufgeführten Rich-<lb/> tungen. Dagegen hat ſich ein Reſt des Pyramidalen in der ſchrägen<lb/> Neigung der Thore und der Seitenflächen aller Mauern erhalten; dieſe<lb/> Richtung hat ſich von der geraden ſenkrechten noch nicht getrennt, um ſich<lb/> über ihren wagrechten Abſchluß als höhere Zuſammenfaſſung zu legen,<lb/> ſondern iſt noch unreif mit ihr verwachſen, denn die Mauer iſt nach der<lb/> innern Seite ſenkrecht. Wo nun der Mauer die freiſtehende Stütze vor-<lb/> geſtellt iſt, um einen Säulen-Umgang zu bilden, oder wo ſie die Decke<lb/> eines auch nach oben ganz geſchloſſenen Raumes trägt, iſt dagegen ein<lb/> weiterer Schritt an die Schwelle organiſch reifer Baukunſt gethan: die<lb/> drückende Laſt, die in Indien den Pfeiler nicht wahrhaft zur Säule<lb/> werden läßt, das Auffahren in die Höhe, das in Perſien auch der tra-<lb/> genden Säule zu ſchlanke Verhältniſſe läßt, iſt verſchwunden, Gleichge-<lb/> wicht von Kraft und Laſt bis nahe zur Vollkommenheit entwickelt. Die<lb/> ägyptiſche Säule ſondert ſich klar in die durch die Natur der Sache be-<lb/> dingte Dreiheit der Gliederung; nur erſcheinen an jedem Theile derſelben<lb/> Eigenheiten, die auf die Unreife zurückweiſen: die runde Form der Fuß-<lb/> Platte iſt nicht das richtige Glied für die Vermittlung mit der Sohle<lb/> des Baus, der verjüngte, in angemeſſenem Höhenmaaß aufſteigende Schaft<lb/> hat häufig über dem Plinthus eine ſeiner Bedeutung widerſprechende Ein-<lb/> ziehung, iſt theils convex, theils concav, aber ſeicht cannelirt, hat neben<lb/> ſenkrecht laufenden Pflanzen-Ornamenten auch horizontale bandartige oder<lb/> hieroglyphiſches Bildwerk darſtellende, die ſeiner Bewegung widerſprechen.<lb/> Neben der als offener Lotoskelch oder Palmblätter-Krater motivirten Welle<lb/> des Kapitells, die ſich über einer Anzahl von Ringen erhebt, tritt eine<lb/> nach unten ſtatt nach oben ausgeſchwellte, alſo den Druck der Laſt am<lb/> falſchen Puncte darſtellende Knoſpenform auf, auch Kapitelle mit Iſis-<lb/> Masken ſind nicht ſelten; ſtatt der Platte erhebt ſich über dem Kapitell<lb/> ein Würfel, zu ſchmal, um eine richtige Vermittlung mit dem wagrecht<lb/> überliegenden Balken darzuſtellen; dieſer kommt ſo hoch zu liegen, daß<lb/> die quer übergelegten Deckenbalken nicht über ihn treten können, ſondern<lb/> ihre Köpfe hinter ihm tiefer auf dem Würfel aufſitzen: damit fällt der<lb/> ſchöne mittlere Theil weg, den wir im dreigliedrigen griechiſchen Gebälke<lb/> finden werden, und es erhebt ſich über dem mit einem Rundſtabe ge-<lb/> ſäumten Hauptbalken ſogleich das Kranzgeſimſe, das ſich, da es nichts<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [281/0121]
die ſeiner pyramidalen Geſtalt zu Grunde lag und in der eigentlichen
Pyramide zu Tage tritt, wird in dem Sinne nicht verwendet, daß ſie
zu der abſchließenden Giebelform des Daches ſich umbildete. Durch die
flache Deckung (wo es ſich überhaupt von gedeckten Theilen handelt), ſo-
wie durch die ausgedehnte Reihe der Vorräume, von welcher zu 2. die
Rede ſein wird, iſt nun dieſer Bau zu ſehr Langbau; alſo auch hier
wieder einſeitiges Hervortreten einer der in §. 565 aufgeführten Rich-
tungen. Dagegen hat ſich ein Reſt des Pyramidalen in der ſchrägen
Neigung der Thore und der Seitenflächen aller Mauern erhalten; dieſe
Richtung hat ſich von der geraden ſenkrechten noch nicht getrennt, um ſich
über ihren wagrechten Abſchluß als höhere Zuſammenfaſſung zu legen,
ſondern iſt noch unreif mit ihr verwachſen, denn die Mauer iſt nach der
innern Seite ſenkrecht. Wo nun der Mauer die freiſtehende Stütze vor-
geſtellt iſt, um einen Säulen-Umgang zu bilden, oder wo ſie die Decke
eines auch nach oben ganz geſchloſſenen Raumes trägt, iſt dagegen ein
weiterer Schritt an die Schwelle organiſch reifer Baukunſt gethan: die
drückende Laſt, die in Indien den Pfeiler nicht wahrhaft zur Säule
werden läßt, das Auffahren in die Höhe, das in Perſien auch der tra-
genden Säule zu ſchlanke Verhältniſſe läßt, iſt verſchwunden, Gleichge-
wicht von Kraft und Laſt bis nahe zur Vollkommenheit entwickelt. Die
ägyptiſche Säule ſondert ſich klar in die durch die Natur der Sache be-
dingte Dreiheit der Gliederung; nur erſcheinen an jedem Theile derſelben
Eigenheiten, die auf die Unreife zurückweiſen: die runde Form der Fuß-
Platte iſt nicht das richtige Glied für die Vermittlung mit der Sohle
des Baus, der verjüngte, in angemeſſenem Höhenmaaß aufſteigende Schaft
hat häufig über dem Plinthus eine ſeiner Bedeutung widerſprechende Ein-
ziehung, iſt theils convex, theils concav, aber ſeicht cannelirt, hat neben
ſenkrecht laufenden Pflanzen-Ornamenten auch horizontale bandartige oder
hieroglyphiſches Bildwerk darſtellende, die ſeiner Bewegung widerſprechen.
Neben der als offener Lotoskelch oder Palmblätter-Krater motivirten Welle
des Kapitells, die ſich über einer Anzahl von Ringen erhebt, tritt eine
nach unten ſtatt nach oben ausgeſchwellte, alſo den Druck der Laſt am
falſchen Puncte darſtellende Knoſpenform auf, auch Kapitelle mit Iſis-
Masken ſind nicht ſelten; ſtatt der Platte erhebt ſich über dem Kapitell
ein Würfel, zu ſchmal, um eine richtige Vermittlung mit dem wagrecht
überliegenden Balken darzuſtellen; dieſer kommt ſo hoch zu liegen, daß
die quer übergelegten Deckenbalken nicht über ihn treten können, ſondern
ihre Köpfe hinter ihm tiefer auf dem Würfel aufſitzen: damit fällt der
ſchöne mittlere Theil weg, den wir im dreigliedrigen griechiſchen Gebälke
finden werden, und es erhebt ſich über dem mit einem Rundſtabe ge-
ſäumten Hauptbalken ſogleich das Kranzgeſimſe, das ſich, da es nichts
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