Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
das Object ist jedesmal dasselbe, nämlich die Welt in allen ihren Er-
das Object iſt jedesmal daſſelbe, nämlich die Welt in allen ihren Er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0020" n="180"/> das Object iſt jedesmal daſſelbe, nämlich die Welt in allen ihren Er-<lb/> ſcheinungen, aber es wird anders geſpiegelt und mit dieſer verſchiedenen<lb/> Art der Spiegelung hängt zwar auch ein Unterſchied ihres Umfangs<lb/> zuſammen, aber nur abgeleiteter Weiſe und minder tief einſchneidend; jene<lb/> dagegen nehmen ſich jede ein anderes Object, genauer ausgedrückt, das<lb/> Object (die Welt) in einem andern <hi rendition="#g">Umfang</hi> ihrer Erſcheinungen zum<lb/> Gegenſtand und zwar ſo, daß dieſer Unterſchied des Umfangs hier ganz<lb/> weſentlich entſcheidend iſt: die eine hat es mit Grund-Verhältniſſen der<lb/> unorganiſchen Natur, die andere mit dem organiſchen Leib, die dritte erſt<lb/> mit Allem, was überhaupt ſichtbar erſcheinen kann, zu thun. Hiemit erſt<lb/> iſt es klar geworden, warum hier verſchiedene Künſte, dort nur Zweige<lb/> entſtehen; denn daß ungleich ſelbſtändigere Gebiete auftreten müſſen, wo<lb/> die einzelnen Kunſtweiſen im Umfang ihrer Stoffe ſo grundverſchieden<lb/> ſind, als da, wo die verſchiedene Art der ſubjectiven Aneignung und<lb/> Wieder-Entlaſſung aus dem Innern bei geringerer Differenz der Aus-<lb/> dehnung auf die Welt der Erſcheinungen den weſentlichen Unterſchied<lb/> bildet, dieß leuchtet ſchon vor der Durchwanderung des Syſtems der<lb/> Künſte ein. — Der tiefere Grund nun der Eintheilung in dieſem, wie in<lb/> den andern Hauptgebieten der Kunſt, liegt (vergl. §. 538) darin, daß<lb/> daſſelbe Prinzip, welches das ganze Syſtem und dann die Hauptformen<lb/> der Kunſt gliedert, innerhalb der letzteren ſich wiederholt. Eben hier bei<lb/> dem Eintritt in die bildenden Künſte erweist ſich die innere Nothwendig-<lb/> keit dieſes Geſetzes und ſeiner Wiederkehr durch einen Begriff, der als<lb/> Begriff des Stützpuncts und Widerlagers bezeichnet werden kann. Wie<lb/> die Natur unſeres Planeten nicht im erſten Anſatz unſere jetzige organiſche<lb/> Welt ſchaffen konnte, ſondern zuerſt die großen Maſſen hinwarf als unter-<lb/> gebreiteten Boden, als feſtes und grobes Lager, wogegen das organiſch<lb/> Lebendige geſtemmt ſich zur freien Bewegung abſtößt, als Sammel- und<lb/> Nahrungsſtätte, ſo muß die Kunſt einen erſten Wurf thun, der ſich zu<lb/> allen weiteren Schritten als feſter Boden, maſſige Unterlage, Stützpunkt,<lb/> Hintergrund, von dem ſie ſich abheben, um zu wirken, als Vereinigungs-<lb/> ſtätte verhält: die elementare Vorausſetzung, die urſprüngliche Theſis.<lb/> Alle dieſe Begriffe, wie ſie ſich in dem der Objectivität im ſtrengſten<lb/> Sinne vereinigen, werden ihre Ausführung finden. Da das ſubjectiv<lb/> Belebte weſentlich das Individuelle iſt, ſo fällt hier der Begriff der<lb/> Objectivität mit dem der Allgemeinheit zuſammen. Die Baukunſt iſt die<lb/> erſte Beſitzergreifung der objectiven Welt für die Kunſt, ſie zieht nur die<lb/> erſten, abſtracten Linien durch die Stoffwelt. Daß die erſte Kunſtform,<lb/> die nun vor uns liegt, durch dieſe Auffaſſung, wonach ſie allerdings ſogleich<lb/> über ſich hinausweist, ebenſoſehr in ihrer Kraft, Selbſtändigkeit und bleibenden<lb/> Bedeutung anerkannt iſt, bedarf nach §. 533, <hi rendition="#sub">2.</hi> keiner weiteren Nachweiſung.</hi> </p> </div><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [180/0020]
das Object iſt jedesmal daſſelbe, nämlich die Welt in allen ihren Er-
ſcheinungen, aber es wird anders geſpiegelt und mit dieſer verſchiedenen
Art der Spiegelung hängt zwar auch ein Unterſchied ihres Umfangs
zuſammen, aber nur abgeleiteter Weiſe und minder tief einſchneidend; jene
dagegen nehmen ſich jede ein anderes Object, genauer ausgedrückt, das
Object (die Welt) in einem andern Umfang ihrer Erſcheinungen zum
Gegenſtand und zwar ſo, daß dieſer Unterſchied des Umfangs hier ganz
weſentlich entſcheidend iſt: die eine hat es mit Grund-Verhältniſſen der
unorganiſchen Natur, die andere mit dem organiſchen Leib, die dritte erſt
mit Allem, was überhaupt ſichtbar erſcheinen kann, zu thun. Hiemit erſt
iſt es klar geworden, warum hier verſchiedene Künſte, dort nur Zweige
entſtehen; denn daß ungleich ſelbſtändigere Gebiete auftreten müſſen, wo
die einzelnen Kunſtweiſen im Umfang ihrer Stoffe ſo grundverſchieden
ſind, als da, wo die verſchiedene Art der ſubjectiven Aneignung und
Wieder-Entlaſſung aus dem Innern bei geringerer Differenz der Aus-
dehnung auf die Welt der Erſcheinungen den weſentlichen Unterſchied
bildet, dieß leuchtet ſchon vor der Durchwanderung des Syſtems der
Künſte ein. — Der tiefere Grund nun der Eintheilung in dieſem, wie in
den andern Hauptgebieten der Kunſt, liegt (vergl. §. 538) darin, daß
daſſelbe Prinzip, welches das ganze Syſtem und dann die Hauptformen
der Kunſt gliedert, innerhalb der letzteren ſich wiederholt. Eben hier bei
dem Eintritt in die bildenden Künſte erweist ſich die innere Nothwendig-
keit dieſes Geſetzes und ſeiner Wiederkehr durch einen Begriff, der als
Begriff des Stützpuncts und Widerlagers bezeichnet werden kann. Wie
die Natur unſeres Planeten nicht im erſten Anſatz unſere jetzige organiſche
Welt ſchaffen konnte, ſondern zuerſt die großen Maſſen hinwarf als unter-
gebreiteten Boden, als feſtes und grobes Lager, wogegen das organiſch
Lebendige geſtemmt ſich zur freien Bewegung abſtößt, als Sammel- und
Nahrungsſtätte, ſo muß die Kunſt einen erſten Wurf thun, der ſich zu
allen weiteren Schritten als feſter Boden, maſſige Unterlage, Stützpunkt,
Hintergrund, von dem ſie ſich abheben, um zu wirken, als Vereinigungs-
ſtätte verhält: die elementare Vorausſetzung, die urſprüngliche Theſis.
Alle dieſe Begriffe, wie ſie ſich in dem der Objectivität im ſtrengſten
Sinne vereinigen, werden ihre Ausführung finden. Da das ſubjectiv
Belebte weſentlich das Individuelle iſt, ſo fällt hier der Begriff der
Objectivität mit dem der Allgemeinheit zuſammen. Die Baukunſt iſt die
erſte Beſitzergreifung der objectiven Welt für die Kunſt, ſie zieht nur die
erſten, abſtracten Linien durch die Stoffwelt. Daß die erſte Kunſtform,
die nun vor uns liegt, durch dieſe Auffaſſung, wonach ſie allerdings ſogleich
über ſich hinausweist, ebenſoſehr in ihrer Kraft, Selbſtändigkeit und bleibenden
Bedeutung anerkannt iſt, bedarf nach §. 533, 2. keiner weiteren Nachweiſung.
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