Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
drücklich hervorzuhenden nothwendigen Rücksicht auf die äußere (landschaft-
drücklich hervorzuhenden nothwendigen Rückſicht auf die äußere (landſchaft- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0039" n="199"/> drücklich hervorzuhenden nothwendigen Rückſicht auf die äußere (landſchaft-<lb/> liche, oder zwar ſelbſt architektoniſche, aber hier wie landſchaftliche Natur<lb/> wirkende und jedenfalls mit wirklicher Landſchaft, Bäumen, Hügeln, Luft<lb/> und Licht zuſammengehörige) Umgebung geltend. Was in §. 552, <hi rendition="#sub">2.</hi> von<lb/> aller bildenden Kunſt ausgeſagt iſt, daß ſie auf die Umgebung zu berechnen<lb/> ſei, gilt in dieſem Grade von keiner andern; der ganze Charakter des<lb/> Gebäudes muß mit der umgebenden Natur in ihrem weiteren Umfang<lb/> ſtimmen, ſo ſoll z. B. kein griechiſcher Tempel in nordiſcher Natur ſtehen<lb/> (Walhalla); es muß mit dem Benachbarten und Nächſten ſich gut<lb/> gruppiren und ebenſoſehr von ihm abſetzen; die Linien müſſen ſich har-<lb/> moniſch begegnen. Man denke an die herrlichen Stellungen griechiſcher<lb/> Tempel und Theater auf Bergen, am Meere, in Hainen. — Der Begriff<lb/> einer erſten Theſis für den Fortgang zu den weitern Künſten, wie wir<lb/> durch ihn in §. 553 den Uebergang zur Baukunſt gemacht haben, erhält<lb/> nun die reale Bedeutung, daß dieſe Kunſt, wie die unorganiſche Natur<lb/> allem Lebendigen Boden und Wohnung bietet, wie die Pflanze als ſchattender<lb/> Baum und Wald für Thier und Menſch eine ſchützende Stätte öffnet, ſo<lb/> die Unterlage und Verſammlungsſtätte für alle Künſte iſt. Am nächſten<lb/> und ſtrengſten gilt dieß von der Sculptur, deren menſchlichem Ebenbilde,<lb/> dem Inbegriff aller organiſchen Weſen, ſie die Baſis oder zugleich die<lb/> ideale Behauſung gibt, die Malerei bedarf ihrer Wände, die Muſik<lb/> durchtönt ihre Hallen, die Dichtkunſt iſt unabhängiger, aber ihre höchſte<lb/> Form, das Drama, bedarf ihrer zur Herſtellung eines Raums, worin der<lb/> Weltſchauplatz künſtleriſch abbrevirt iſt. Jener Begriff einer Vorausſetzung,<lb/> einer erſten Theſis erhält nun aber auch die weitere beſtimmte Anwendung,<lb/> daß die Baukunſt ebenſo, wie der Planet zuerſt das feſte Gerüſte und die<lb/> Maſſen ſchuf, welche den höheren, individuellen Bildungen als ihre Stätte<lb/> dienen ſollten, die erſte, älteſte, urſprüngliche, die elementare Kunſt iſt.<lb/> Nach der Seite des hervorbringenden Geiſtes wendet ſich dieß ſo, daß der<lb/> Menſch den ſchweren Stoff zuerſt in dieſer allgemeinſten, noch äußerlichen<lb/> und abſiracten Weiſe umbildend bewältigen mußte, ehe er ihn zum wärmeren<lb/> Bilde der organiſchen Geſtalt umzuſchaffen und in ſteigender Durchdringung<lb/> immer mehr in reinen Schein aufzulöſen vermochte. Was dabei die<lb/> Schwierigkeit der Zeitfolge in der Ausbildung der Muſik und Poeſie be-<lb/> trifft, ſo vergl. die vorläufige Andeutung zu §. 533, <hi rendition="#sub">1</hi> und 550. Am<lb/> klarſten ſtellt ſich das Verhältniß im Mittelalter heraus, das in keiner<lb/> Kunſt entfernt eine ſo vollendete Form hervorbrachte, wie in der Baukunſt<lb/> (vergl. <hi rendition="#g">Schnaaſe</hi> Geſch. d. bild. Künſte Bd. <hi rendition="#aq">IV,</hi> Abth. <hi rendition="#aq">I,</hi> S. 117); das<lb/> Mittelalter gibt aber darin ein Bild der ganzen Kunſtgeſchichte und fängt<lb/> wieder da an, wo einſt der Orient angefangen. Hier findet noch eine<lb/> weſentliche Ergänzung, was in §. 559 von der Baukunſt als einer vor-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [199/0039]
drücklich hervorzuhenden nothwendigen Rückſicht auf die äußere (landſchaft-
liche, oder zwar ſelbſt architektoniſche, aber hier wie landſchaftliche Natur
wirkende und jedenfalls mit wirklicher Landſchaft, Bäumen, Hügeln, Luft
und Licht zuſammengehörige) Umgebung geltend. Was in §. 552, 2. von
aller bildenden Kunſt ausgeſagt iſt, daß ſie auf die Umgebung zu berechnen
ſei, gilt in dieſem Grade von keiner andern; der ganze Charakter des
Gebäudes muß mit der umgebenden Natur in ihrem weiteren Umfang
ſtimmen, ſo ſoll z. B. kein griechiſcher Tempel in nordiſcher Natur ſtehen
(Walhalla); es muß mit dem Benachbarten und Nächſten ſich gut
gruppiren und ebenſoſehr von ihm abſetzen; die Linien müſſen ſich har-
moniſch begegnen. Man denke an die herrlichen Stellungen griechiſcher
Tempel und Theater auf Bergen, am Meere, in Hainen. — Der Begriff
einer erſten Theſis für den Fortgang zu den weitern Künſten, wie wir
durch ihn in §. 553 den Uebergang zur Baukunſt gemacht haben, erhält
nun die reale Bedeutung, daß dieſe Kunſt, wie die unorganiſche Natur
allem Lebendigen Boden und Wohnung bietet, wie die Pflanze als ſchattender
Baum und Wald für Thier und Menſch eine ſchützende Stätte öffnet, ſo
die Unterlage und Verſammlungsſtätte für alle Künſte iſt. Am nächſten
und ſtrengſten gilt dieß von der Sculptur, deren menſchlichem Ebenbilde,
dem Inbegriff aller organiſchen Weſen, ſie die Baſis oder zugleich die
ideale Behauſung gibt, die Malerei bedarf ihrer Wände, die Muſik
durchtönt ihre Hallen, die Dichtkunſt iſt unabhängiger, aber ihre höchſte
Form, das Drama, bedarf ihrer zur Herſtellung eines Raums, worin der
Weltſchauplatz künſtleriſch abbrevirt iſt. Jener Begriff einer Vorausſetzung,
einer erſten Theſis erhält nun aber auch die weitere beſtimmte Anwendung,
daß die Baukunſt ebenſo, wie der Planet zuerſt das feſte Gerüſte und die
Maſſen ſchuf, welche den höheren, individuellen Bildungen als ihre Stätte
dienen ſollten, die erſte, älteſte, urſprüngliche, die elementare Kunſt iſt.
Nach der Seite des hervorbringenden Geiſtes wendet ſich dieß ſo, daß der
Menſch den ſchweren Stoff zuerſt in dieſer allgemeinſten, noch äußerlichen
und abſiracten Weiſe umbildend bewältigen mußte, ehe er ihn zum wärmeren
Bilde der organiſchen Geſtalt umzuſchaffen und in ſteigender Durchdringung
immer mehr in reinen Schein aufzulöſen vermochte. Was dabei die
Schwierigkeit der Zeitfolge in der Ausbildung der Muſik und Poeſie be-
trifft, ſo vergl. die vorläufige Andeutung zu §. 533, 1 und 550. Am
klarſten ſtellt ſich das Verhältniß im Mittelalter heraus, das in keiner
Kunſt entfernt eine ſo vollendete Form hervorbrachte, wie in der Baukunſt
(vergl. Schnaaſe Geſch. d. bild. Künſte Bd. IV, Abth. I, S. 117); das
Mittelalter gibt aber darin ein Bild der ganzen Kunſtgeſchichte und fängt
wieder da an, wo einſt der Orient angefangen. Hier findet noch eine
weſentliche Ergänzung, was in §. 559 von der Baukunſt als einer vor-
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