Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
und zeige durch eine freie krystall-ähnliche Verbindung derselben, was Vischer's Aesthetik. 3. Band. 14
und zeige durch eine freie kryſtall-ähnliche Verbindung derſelben, was Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 14
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und zeige durch eine freie kryſtall-ähnliche Verbindung derſelben, was
Alles aus ihnen werden kann. Das iſt der geheimnißvoll hohe Reiz, der
in dieſen klaren, ſcharfen Umriſſen, dieſen ſolid geſtreckten Maſſen mit
den kräftigen Schlagſchatten, dieſen reinen Gegenſätzen und Löſungen dieſer
Gegenſätze ruht; es iſt das andeutende Schema des Kosmos in ſeiner
innern Unendlichkeit, was aus dieſer Sättigung der Gegenſätze des Schweren
und Stützenden, des Senkrechten und Wagrechten, des Anſtrebenden und
Abſchließenden hervorſpringt. So beſtimmt jene Formen ſind, ſo bleibt
das Bild einer ordnenden Urkraft, das ſie andeuten, verglichen mit in-
dividueller Lebensnachbildung, allerdings immer unbeſtimmt; der Grieche
drückt z. B. mit ſeinen Stylen nicht das Weſen der verſchiedenen Gott-
heiten aus, in Jonien herrſcht der joniſche, in Griechenland, Großgriechen-
land, Sicilien der doriſche Styl vor; das Ornament, insbeſondere Sculptur
und Malerei, in vielen Fällen die Stellung des Tempels (für Bacchus
bei den Theatern, Herkules bei den Gymnaſien u. ſ. f.) muß erläuternd
hinzutreten. Dieſe unbeſtimmte erſte Formbeſtimmung der Idee, welche
demnach das Weſen der Baukunſt iſt, würde nun aber viel zu abſtract
verſtanden, wenn man dabei die national geſchichtliche Bedeutung (§. 559)
aus dem Auge verlöre, die ihr innerhalb des Unbeſtimmten doch nähere
Beſtimmtheit gibt. Die Völker geben in ihren Bauſtylen das Bild des
Kosmos, wie er ihnen erſcheint. Nach demſelben dunkeln Schema
haben ſie ihre Geſellſchaft, ihren Staat gegliedert, alle ihre Cultur-
formen beſtimmt und zugleich mit jenem makrokosmiſchen Bilde ſpiegelt
daher ihr Bauſtyl die Grundzüge der Organiſation ihres Lebens. Wie der
Grieche ſein Volksleben zu maaßvoll gebundener Freiheit ordnet, wie er
in ſchöner Naturſittlichkeit der Mutter Erde treu bleibt, in derſelben heitern
Harmonie weltbauend ſtellt er ſich ſeinen Gott vor und ſtellt er ihn in
ſeinem Baue dar; wie der Geiſt des Mittelalters die einzelnen Kräfte
der Geſellſchaft zu harter, dorniger Selbſtändigkeit, aber auch zu heiterem
Spiele entläßt und doch in Corporationen zuſammenſchließt und in ge-
meinſamem Schwung alle emporreißt, in derſelben Weiſe gliedert er ſich
ein ideales Bild des göttlichen Weltbaus in ſeinen Domen. Beſtimmter,
als in dieſen Bemerkungen geſchehen, vermögen wir dieſe dunkeln Be-
ziehungen nicht zu faſſen. Die bekannten Deutungen, welche in den
Figuren und Zahlenverhältniſſen beſtimmte Begriffe der Metaphyſik und
Dogmatik ausgeſprochen finden, ſind nicht mehr ſymboliſch, ſondern ent-
halten eben jene allegoriſche Auffaſſung, die wir vorhin abgewieſen haben.
Stieglitz z. B. (Geſch. d. Baukunſt §. 6 ff.) findet in der Linie die
Ur-Einheit, im rechten Winkel als Bild der Kraft und Gegenwirkung den
Grund aller Geſtaltung, im Dreieck das Erzeugte, den Logos ausge-
drückt u. ſ. w.; eine Myſtik, die denn zugleich Myſtik der Zahl als des
Viſcher’s Aeſthetik. 3. Band. 14
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