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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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kunst erscheinen. Dagegen sind es die bunten, bunt-geäderten und schwarzen
Marmor-Arten, sowie die so gefärbten Arten des Urgebirges, Granit,
Basalt, Porphyr, Serpentin u. s. w., welche sich für glänzende Ausfüh-
rung von Aufgaben mehr besonderer, differenter Art, wie Paläste, Fest-
säle, Grabdenkmale als das naturgemäße Material darbieten, denn das
Schwarze und die vollere bestimmte Farbe ruft eine spezifische Stimmung
hervor, wie sie der idealen Allgemeinheit des Tempels und anderer
monumentaler Bauten von großer öffentlicher Bedeutung nicht zusagt.
Die Härte des Urgebirgsteins, welche die Behandlung sehr erschwert,
weist ebenfalls auf diese Beschränkung hin und auch die Politur, die bei
den schwarzen und bunten Steinen geliebt wird (man nennt in weiterem
Sinn allen politurfähigen Stein Marmor), entspricht mehr den genannten
Zwecken. -- Trotz allen diesen Vortheilen liegt im Steinbau eine Be-
schränkung, welche die Architektur in engen Grenzen der Entwicklung
hätte halten müssen, wenn nicht das Bedürfniß freierer Bewegung zu
einem andern Materiale gegriffen hätte. Man kann nämlich aus Stein
zwar wölben, wo es sich aber nicht blos von Gurtbögen, sondern
ganzen Gewölben (Tonnengewölben, Kuppel u. s. w.) handelt, da ist
es nothwendig, die Steine durch Mörtel zu einem möglichst festen Con-
tinuum zu verbinden, weil durch Bruch oder Ausweichen eines einzigen
Steins das Ganze leidet. Schon da wird also der Stein als solcher
unwesentlich; doch behält er daneben seine Bedeutung namentlich da, wo
das Gewölbe, wie z. B. bei einer Brücke, selbst starke Lasten tragen muß.
Nun aber führen gleichzeitig statische Bedingungen und ästhetisches Ge-
fühl zu einer reicheren Gliederung solcher Gewölbe, die nicht selbst wieder
zu tragen haben und die man zur Verminderung des Drucks und Schubs
so viel als immer möglich zu erleichtern sucht: zur Herstellung eines Netzes
von Stützen, auf welchen leichte, durch Kreuzgurten vierfach getheilte
Wölbungen ruhen; hier fungiren nur die Gurten, die Kappen sind blos
dünner Verschluß und da ist denn der Stein wirklich nicht mehr zweck-
mäßig, sondern wird ein künstliches Material erfordert, aus dem sich
eine Masse wie in Einem Guß, ein Continuum, das hart und doch
nicht dick und schwer ist, herstellen läßt. Diese gegliedertere Form führt
also noch bestimmter, als jene einfachere vom Stein ab; wo dieser ein-
ziges Prinzip ist, da entwickelt sich wirklich das Wölben nicht; der Steinbau
in seinem wahren Wesen führt nicht zum Runden, sondern beharrt bei
der geraden Linie und ihrer Verbindung zum Winkel, wo das Gesetz
der Schwere nur in der Form der freistehenden Stütze und des überge-
legten Steinbalkens überwunden wird: er bleibt gebundener Steinbalken-
(Architrav-) Bau. Gebunden aber ist dieser Bau nicht nur in der ganzen
Anlage durch das Unverrückbare, Unbewegliche seiner Verhältnisse, son-

kunſt erſcheinen. Dagegen ſind es die bunten, bunt-geäderten und ſchwarzen
Marmor-Arten, ſowie die ſo gefärbten Arten des Urgebirges, Granit,
Baſalt, Porphyr, Serpentin u. ſ. w., welche ſich für glänzende Ausfüh-
rung von Aufgaben mehr beſonderer, differenter Art, wie Paläſte, Feſt-
ſäle, Grabdenkmale als das naturgemäße Material darbieten, denn das
Schwarze und die vollere beſtimmte Farbe ruft eine ſpezifiſche Stimmung
hervor, wie ſie der idealen Allgemeinheit des Tempels und anderer
monumentaler Bauten von großer öffentlicher Bedeutung nicht zuſagt.
Die Härte des Urgebirgſteins, welche die Behandlung ſehr erſchwert,
weist ebenfalls auf dieſe Beſchränkung hin und auch die Politur, die bei
den ſchwarzen und bunten Steinen geliebt wird (man nennt in weiterem
Sinn allen politurfähigen Stein Marmor), entſpricht mehr den genannten
Zwecken. — Trotz allen dieſen Vortheilen liegt im Steinbau eine Be-
ſchränkung, welche die Architektur in engen Grenzen der Entwicklung
hätte halten müſſen, wenn nicht das Bedürfniß freierer Bewegung zu
einem andern Materiale gegriffen hätte. Man kann nämlich aus Stein
zwar wölben, wo es ſich aber nicht blos von Gurtbögen, ſondern
ganzen Gewölben (Tonnengewölben, Kuppel u. ſ. w.) handelt, da iſt
es nothwendig, die Steine durch Mörtel zu einem möglichſt feſten Con-
tinuum zu verbinden, weil durch Bruch oder Ausweichen eines einzigen
Steins das Ganze leidet. Schon da wird alſo der Stein als ſolcher
unweſentlich; doch behält er daneben ſeine Bedeutung namentlich da, wo
das Gewölbe, wie z. B. bei einer Brücke, ſelbſt ſtarke Laſten tragen muß.
Nun aber führen gleichzeitig ſtatiſche Bedingungen und äſthetiſches Ge-
fühl zu einer reicheren Gliederung ſolcher Gewölbe, die nicht ſelbſt wieder
zu tragen haben und die man zur Verminderung des Drucks und Schubs
ſo viel als immer möglich zu erleichtern ſucht: zur Herſtellung eines Netzes
von Stützen, auf welchen leichte, durch Kreuzgurten vierfach getheilte
Wölbungen ruhen; hier fungiren nur die Gurten, die Kappen ſind blos
dünner Verſchluß und da iſt denn der Stein wirklich nicht mehr zweck-
mäßig, ſondern wird ein künſtliches Material erfordert, aus dem ſich
eine Maſſe wie in Einem Guß, ein Continuum, das hart und doch
nicht dick und ſchwer iſt, herſtellen läßt. Dieſe gegliedertere Form führt
alſo noch beſtimmter, als jene einfachere vom Stein ab; wo dieſer ein-
ziges Prinzip iſt, da entwickelt ſich wirklich das Wölben nicht; der Steinbau
in ſeinem wahren Weſen führt nicht zum Runden, ſondern beharrt bei
der geraden Linie und ihrer Verbindung zum Winkel, wo das Geſetz
der Schwere nur in der Form der freiſtehenden Stütze und des überge-
legten Steinbalkens überwunden wird: er bleibt gebundener Steinbalken-
(Architrav-) Bau. Gebunden aber iſt dieſer Bau nicht nur in der ganzen
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[213/0053] kunſt erſcheinen. Dagegen ſind es die bunten, bunt-geäderten und ſchwarzen Marmor-Arten, ſowie die ſo gefärbten Arten des Urgebirges, Granit, Baſalt, Porphyr, Serpentin u. ſ. w., welche ſich für glänzende Ausfüh- rung von Aufgaben mehr beſonderer, differenter Art, wie Paläſte, Feſt- ſäle, Grabdenkmale als das naturgemäße Material darbieten, denn das Schwarze und die vollere beſtimmte Farbe ruft eine ſpezifiſche Stimmung hervor, wie ſie der idealen Allgemeinheit des Tempels und anderer monumentaler Bauten von großer öffentlicher Bedeutung nicht zuſagt. Die Härte des Urgebirgſteins, welche die Behandlung ſehr erſchwert, weist ebenfalls auf dieſe Beſchränkung hin und auch die Politur, die bei den ſchwarzen und bunten Steinen geliebt wird (man nennt in weiterem Sinn allen politurfähigen Stein Marmor), entſpricht mehr den genannten Zwecken. — Trotz allen dieſen Vortheilen liegt im Steinbau eine Be- ſchränkung, welche die Architektur in engen Grenzen der Entwicklung hätte halten müſſen, wenn nicht das Bedürfniß freierer Bewegung zu einem andern Materiale gegriffen hätte. Man kann nämlich aus Stein zwar wölben, wo es ſich aber nicht blos von Gurtbögen, ſondern ganzen Gewölben (Tonnengewölben, Kuppel u. ſ. w.) handelt, da iſt es nothwendig, die Steine durch Mörtel zu einem möglichſt feſten Con- tinuum zu verbinden, weil durch Bruch oder Ausweichen eines einzigen Steins das Ganze leidet. Schon da wird alſo der Stein als ſolcher unweſentlich; doch behält er daneben ſeine Bedeutung namentlich da, wo das Gewölbe, wie z. B. bei einer Brücke, ſelbſt ſtarke Laſten tragen muß. Nun aber führen gleichzeitig ſtatiſche Bedingungen und äſthetiſches Ge- fühl zu einer reicheren Gliederung ſolcher Gewölbe, die nicht ſelbſt wieder zu tragen haben und die man zur Verminderung des Drucks und Schubs ſo viel als immer möglich zu erleichtern ſucht: zur Herſtellung eines Netzes von Stützen, auf welchen leichte, durch Kreuzgurten vierfach getheilte Wölbungen ruhen; hier fungiren nur die Gurten, die Kappen ſind blos dünner Verſchluß und da iſt denn der Stein wirklich nicht mehr zweck- mäßig, ſondern wird ein künſtliches Material erfordert, aus dem ſich eine Maſſe wie in Einem Guß, ein Continuum, das hart und doch nicht dick und ſchwer iſt, herſtellen läßt. Dieſe gegliedertere Form führt alſo noch beſtimmter, als jene einfachere vom Stein ab; wo dieſer ein- ziges Prinzip iſt, da entwickelt ſich wirklich das Wölben nicht; der Steinbau in ſeinem wahren Weſen führt nicht zum Runden, ſondern beharrt bei der geraden Linie und ihrer Verbindung zum Winkel, wo das Geſetz der Schwere nur in der Form der freiſtehenden Stütze und des überge- legten Steinbalkens überwunden wird: er bleibt gebundener Steinbalken- (Architrav-) Bau. Gebunden aber iſt dieſer Bau nicht nur in der ganzen Anlage durch das Unverrückbare, Unbewegliche ſeiner Verhältniſſe, ſon-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/53>, abgerufen am 21.11.2024.