Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
dern auch nach der Seite des Materials durch seine Abhängigkeit vom
dern auch nach der Seite des Materials durch ſeine Abhängigkeit vom <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0054" n="214"/> dern auch nach der Seite des Materials durch ſeine Abhängigkeit vom<lb/> natürlichen Brechen des Geſteins. Es laſſen ſich freilich Steinbalken bis<lb/> in die 30 Fuß Länge brechen, aber dieß bleibt mehr oder minder zufällig;<lb/> die Baukunſt muß ſuchen, Räume verſchiedener Weiten überſpannen zu<lb/> können ohne dieſe Abhängigkeit und das Verharren im Steinbau iſt daher<lb/> nur der Beweis, daß ſich dieſes Streben noch nicht eingeſtellt hat. Daß<lb/> übrigens der Zufall des Geſteinbruchs auch hier zum äſthetiſchen Motiv<lb/> werden kann, leuchtet ein: große Quader, große Balken, wo ſie ſich<lb/> brechen laſſen, beſtimmen den Künſtler zu energiſcheren Formen, als<lb/> kleine. — Jenes künſtliche Material nun iſt der zum <hi rendition="#g">Ziegel</hi> gebrannte<lb/> Lehm. Abgeſehen von dem Zwecke freierer Gliederung iſt es zunächſt der<lb/> Stein-Mangel, der dieſes Material (auch durch bloße Trocknung an der<lb/> Luft gehärtet) hervorbringt. So in Aſſyrien, ſo in ſteinarmen Gegenden<lb/> überall. Große Härte und Dauerhaftigkeit läßt ſich ihm geben, in der<lb/> Form, Größe, Fügungsweiſe läßt es große Freiheit zu, es iſt bekannt,<lb/> wie man jetzt z. B. ganze Fenſterfüllungen zu Kirchen aus Einem Stück<lb/> herſtellt; der Mörtel verbindet die Theile zu ungemein feſten Maſſen.<lb/> Für die tragenden Haupttheile wird der Stein mit der ſichtbaren Fügung<lb/> ſeiner maſſigen Blöcke günſtiger ſein, der ſich dann in der Wölbung (und<lb/> Dachdeckung) mit dem Backſtein verbindet. Bloßer Backſtein-Bau ſetzt, wie<lb/> der Holzbau, wenn er ſich zu monumentaler Bedeutung erheben ſoll,<lb/> allerdings den entwickelten Steinbau voraus, wie er aber in ſteinarmem<lb/> Lande die Noth in eine Tugend verwandeln kann, iſt ſchon zu §. 518<lb/> berührt. Wir führen noch an, wie die nöthige Sparſamkeit zu Gliede-<lb/> rungen im gothiſchen Bau geführt, welche das Prinzip der Theilung in<lb/> fungirende und blos verſchließende Maſſe in höchſt belebter Weiſe auch<lb/> auf die Mauer des Wohnhauſes übergetragen haben, wo denn zwiſchen<lb/> Pilaſter-artigen ſtärkeren Körpern die mittleren Felder mit den Fenſtern<lb/> als bloße Füllung erſcheinen (vergl. die ſchönen Häuſer aus Greifswalde<lb/> und Elbing in Kallenbachs Atlas); wenn hier ornamentartige Theile zu<lb/> tragenden, widerhaltenden ſich entwickeln, ſo werden umgekehrt tragende,<lb/> wie die kleinen Wölbungen, die über wagrechte Thür- und Fenſterſtürze<lb/> geſetzt ſind, zu Ornamenten. Im Uebrigen iſt durch ſchwerere Brennung<lb/> und leichtere Verbröcklung des aus der Linie Heraustretenden im Orna-<lb/> mente Mäßigkeit geboten, was namentlich bei der wuchernden gothiſchen<lb/> Ornamentik als heilſam erkannt iſt. Was nun die Oberfläche betrifft, ſo<lb/> läßt ſich der Backſtein beſonders leicht für polychromiſchen Schmuck ver-<lb/> kleiden; allein er bedarf es keineswegs, gerade hier liegt vielmehr noch<lb/> ein wichtiger Punct, der uns auch zum natürlichen Steine noch einmal<lb/> zurückführt. Der Backſtein läßt ſich noch abgeſehen von der Farbe durch<lb/> die Fügungsweiſe zu einer in mannigfaltiger Zeichnung an Stickerei<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [214/0054]
dern auch nach der Seite des Materials durch ſeine Abhängigkeit vom
natürlichen Brechen des Geſteins. Es laſſen ſich freilich Steinbalken bis
in die 30 Fuß Länge brechen, aber dieß bleibt mehr oder minder zufällig;
die Baukunſt muß ſuchen, Räume verſchiedener Weiten überſpannen zu
können ohne dieſe Abhängigkeit und das Verharren im Steinbau iſt daher
nur der Beweis, daß ſich dieſes Streben noch nicht eingeſtellt hat. Daß
übrigens der Zufall des Geſteinbruchs auch hier zum äſthetiſchen Motiv
werden kann, leuchtet ein: große Quader, große Balken, wo ſie ſich
brechen laſſen, beſtimmen den Künſtler zu energiſcheren Formen, als
kleine. — Jenes künſtliche Material nun iſt der zum Ziegel gebrannte
Lehm. Abgeſehen von dem Zwecke freierer Gliederung iſt es zunächſt der
Stein-Mangel, der dieſes Material (auch durch bloße Trocknung an der
Luft gehärtet) hervorbringt. So in Aſſyrien, ſo in ſteinarmen Gegenden
überall. Große Härte und Dauerhaftigkeit läßt ſich ihm geben, in der
Form, Größe, Fügungsweiſe läßt es große Freiheit zu, es iſt bekannt,
wie man jetzt z. B. ganze Fenſterfüllungen zu Kirchen aus Einem Stück
herſtellt; der Mörtel verbindet die Theile zu ungemein feſten Maſſen.
Für die tragenden Haupttheile wird der Stein mit der ſichtbaren Fügung
ſeiner maſſigen Blöcke günſtiger ſein, der ſich dann in der Wölbung (und
Dachdeckung) mit dem Backſtein verbindet. Bloßer Backſtein-Bau ſetzt, wie
der Holzbau, wenn er ſich zu monumentaler Bedeutung erheben ſoll,
allerdings den entwickelten Steinbau voraus, wie er aber in ſteinarmem
Lande die Noth in eine Tugend verwandeln kann, iſt ſchon zu §. 518
berührt. Wir führen noch an, wie die nöthige Sparſamkeit zu Gliede-
rungen im gothiſchen Bau geführt, welche das Prinzip der Theilung in
fungirende und blos verſchließende Maſſe in höchſt belebter Weiſe auch
auf die Mauer des Wohnhauſes übergetragen haben, wo denn zwiſchen
Pilaſter-artigen ſtärkeren Körpern die mittleren Felder mit den Fenſtern
als bloße Füllung erſcheinen (vergl. die ſchönen Häuſer aus Greifswalde
und Elbing in Kallenbachs Atlas); wenn hier ornamentartige Theile zu
tragenden, widerhaltenden ſich entwickeln, ſo werden umgekehrt tragende,
wie die kleinen Wölbungen, die über wagrechte Thür- und Fenſterſtürze
geſetzt ſind, zu Ornamenten. Im Uebrigen iſt durch ſchwerere Brennung
und leichtere Verbröcklung des aus der Linie Heraustretenden im Orna-
mente Mäßigkeit geboten, was namentlich bei der wuchernden gothiſchen
Ornamentik als heilſam erkannt iſt. Was nun die Oberfläche betrifft, ſo
läßt ſich der Backſtein beſonders leicht für polychromiſchen Schmuck ver-
kleiden; allein er bedarf es keineswegs, gerade hier liegt vielmehr noch
ein wichtiger Punct, der uns auch zum natürlichen Steine noch einmal
zurückführt. Der Backſtein läßt ſich noch abgeſehen von der Farbe durch
die Fügungsweiſe zu einer in mannigfaltiger Zeichnung an Stickerei
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