Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
welcher nachgebildet wird, verhalten, das Auseinandertreten einer Kunst
welcher nachgebildet wird, verhalten, das Auseinandertreten einer Kunſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0092" n="252"/> welcher nachgebildet wird, verhalten, das Auseinandertreten einer Kunſt<lb/> in beſtimmte Zweige bedingen, daß alſo z. B. das Epos als die bildende<lb/> Form der dichtenden Phantaſie den Stoff der Menſchenwelt und Natur<lb/> in anderer Weiſe anfaßt und umfaßt, als die empfindend dichtende oder<lb/> lyriſche und als die im reinſten Sinn dichtende oder dramatiſche Form.<lb/> Wo aber dieſe Beziehung zu einem Stoffe nicht da iſt, wie in der Bau-<lb/> kunſt, da können demnach ſolche Unterſchiede auch nicht eintreten. Hiemit<lb/> iſt geſagt, daß das weitere einen Zweig-Unterſchied begründende Moment<lb/> (§. 540), welches in den Unterſchieden der auf den Stoff begründeten<lb/> Arten der Phantaſie (landſchaftlich, thieriſch u. ſ. w.) liegt, eben weil<lb/> ja ohne daſſelbe auch die Unterſchiede und Miſchungen der bildenden, em-<lb/> pfindenden, dichtenden Phantaſie nicht in Wirkung treten können, in die<lb/> Baukunſt keine Theilung einführen kann. Daß ein drittes Moment, der<lb/> Unterſchied der einfach ſchönen, erhabenen und komiſchen Phantaſie nur<lb/> den erſteren ſeiner Gegenſätze in dieſem Gebiete geltend machen kann, iſt<lb/> ſchon in §. 560 geſagt und es erhellt, daß auch dieß nicht hinreicht, eine<lb/> ſtrenge Zweig-Eintheilung hervorzurufen: zwiſchen zierlichen und impo-<lb/> ſanten Bauwerken beſteht kein Unterſchied wie zwiſchen Idylle, Elogie<lb/> und Epos, Ballade, Drama. Die weiteren in §. 540 aufgeführten<lb/> Theilungs-Momente dagegen ſind ganz anderer Art und treten ungleich<lb/> beſtimmter hervor, jedoch auch nicht ſo eingreifend, wie in andern Kün-<lb/> ſten. Was den erſten derſelben betrifft, ſo bedingt der verſchiedene Grad<lb/> des Umfangs allerdings den bedeutungsvollen Unterſchied zwiſchen einfacher<lb/> und gruppirender Compoſition im einzelnen Bauwerk, ſo wie zwiſchen<lb/> einzelnen Gebäuden und Gebäude-Gruppen; allein jene Verſchiedenheit<lb/> der Compoſition gehört der Geſchichte der Bauſtyle an und der Gegenſatz<lb/> zwiſchen dem Einzelnen und dem cykliſch Zuſammengeſtellten kann, ſo<lb/> wichtig er iſt, nicht ebenſo einen Zweig-Unterſchied begründen, wie z. B.<lb/> in der Malerei das einzelne hiſtoriſche Charakterbild als Porträt und das<lb/> hiſtoriſche Gemälde, worin eine Vielheit ſolcher in Handlung geſetzt iſt;<lb/> denn in der Baukunſt wächst durch die Verbindung mehrerer Werke nicht<lb/> ein ſo weſentlich Neues zu, wie in der nachbildenden Kunſt durch die<lb/> Verbindung vieler Individuen: hier folgt daraus eine ganz andere Be-<lb/> handlung des einzelnen Individuums, in der Baukunſt dagegen zeigt nach<lb/> wie vor der Künſtler in der geſchloſſenen Compoſition des einzelnen Werks<lb/> ſeine höchſte Kraft; ein Forum und ein einzelner Tempel auf demſelben<lb/> verhält ſich nicht wie ein dramatiſches Gemälde und die Einzeldarſtellung<lb/> eines hiſtoriſchen Charakters. Das andere jener Momente iſt der Unter-<lb/> ſchied des Materials. Derſelbe bildet in den Künſten eine neben den<lb/> Hauptzweigen herlaufende Eintheilung, welche mehr oder minder ein-<lb/> ſchneidend hervortritt, er kann aber den Mangel an einer auf jene Haupt-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [252/0092]
welcher nachgebildet wird, verhalten, das Auseinandertreten einer Kunſt
in beſtimmte Zweige bedingen, daß alſo z. B. das Epos als die bildende
Form der dichtenden Phantaſie den Stoff der Menſchenwelt und Natur
in anderer Weiſe anfaßt und umfaßt, als die empfindend dichtende oder
lyriſche und als die im reinſten Sinn dichtende oder dramatiſche Form.
Wo aber dieſe Beziehung zu einem Stoffe nicht da iſt, wie in der Bau-
kunſt, da können demnach ſolche Unterſchiede auch nicht eintreten. Hiemit
iſt geſagt, daß das weitere einen Zweig-Unterſchied begründende Moment
(§. 540), welches in den Unterſchieden der auf den Stoff begründeten
Arten der Phantaſie (landſchaftlich, thieriſch u. ſ. w.) liegt, eben weil
ja ohne daſſelbe auch die Unterſchiede und Miſchungen der bildenden, em-
pfindenden, dichtenden Phantaſie nicht in Wirkung treten können, in die
Baukunſt keine Theilung einführen kann. Daß ein drittes Moment, der
Unterſchied der einfach ſchönen, erhabenen und komiſchen Phantaſie nur
den erſteren ſeiner Gegenſätze in dieſem Gebiete geltend machen kann, iſt
ſchon in §. 560 geſagt und es erhellt, daß auch dieß nicht hinreicht, eine
ſtrenge Zweig-Eintheilung hervorzurufen: zwiſchen zierlichen und impo-
ſanten Bauwerken beſteht kein Unterſchied wie zwiſchen Idylle, Elogie
und Epos, Ballade, Drama. Die weiteren in §. 540 aufgeführten
Theilungs-Momente dagegen ſind ganz anderer Art und treten ungleich
beſtimmter hervor, jedoch auch nicht ſo eingreifend, wie in andern Kün-
ſten. Was den erſten derſelben betrifft, ſo bedingt der verſchiedene Grad
des Umfangs allerdings den bedeutungsvollen Unterſchied zwiſchen einfacher
und gruppirender Compoſition im einzelnen Bauwerk, ſo wie zwiſchen
einzelnen Gebäuden und Gebäude-Gruppen; allein jene Verſchiedenheit
der Compoſition gehört der Geſchichte der Bauſtyle an und der Gegenſatz
zwiſchen dem Einzelnen und dem cykliſch Zuſammengeſtellten kann, ſo
wichtig er iſt, nicht ebenſo einen Zweig-Unterſchied begründen, wie z. B.
in der Malerei das einzelne hiſtoriſche Charakterbild als Porträt und das
hiſtoriſche Gemälde, worin eine Vielheit ſolcher in Handlung geſetzt iſt;
denn in der Baukunſt wächst durch die Verbindung mehrerer Werke nicht
ein ſo weſentlich Neues zu, wie in der nachbildenden Kunſt durch die
Verbindung vieler Individuen: hier folgt daraus eine ganz andere Be-
handlung des einzelnen Individuums, in der Baukunſt dagegen zeigt nach
wie vor der Künſtler in der geſchloſſenen Compoſition des einzelnen Werks
ſeine höchſte Kraft; ein Forum und ein einzelner Tempel auf demſelben
verhält ſich nicht wie ein dramatiſches Gemälde und die Einzeldarſtellung
eines hiſtoriſchen Charakters. Das andere jener Momente iſt der Unter-
ſchied des Materials. Derſelbe bildet in den Künſten eine neben den
Hauptzweigen herlaufende Eintheilung, welche mehr oder minder ein-
ſchneidend hervortritt, er kann aber den Mangel an einer auf jene Haupt-
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