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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.

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nicht treiben, vergl. die Anm. jenes §. Die neueste Zeit versieht das
ausschmückende Bedürfniß vorherrschend durch mechanische Nachbildungen.
Dieses Moment, das im §. 549 als einer der Eintheilungsgründe für
die anhängenden Zweige aufgeführt ist, haben wir hier im §. nicht be-
sonders aufgeführt, es wird erst in der Malerei wichtiger; in der Pla-
stik ist der Abguß und Abdruck von Kunstwerken mittelst verkleinernder
Formen in Gyps, Thon, Glas, Erz, Kupfer, Eisen, Zink, Gutta-
Percha, Wachs, Papierbrei u. s. w. bis zu Tragant und Zucker herun-
ter nur ein Mechanisches, das freilich in der letzten Ueberarbeitung zum
Theil noch der feineren, künstlerisch gebildeten Hand bedarf, dessen Werth
aber nicht verkannt werden soll, denn dieser Nebenzweig vervielfältigt
das Kunstwerk, streut es in das Leben, in die Wohnung des Bürgers
und wirkt so zur Verbreitung des ästhetischen Sinnes, zur Veredlung des
Daseins.

2. Wir haben die Gymnastik an andern Stellen des Systems in
doppelter Beziehung schon aufgeführt: als Mittel, die menschliche Schön-
heit zu entwickeln, damit der Künstler Gestalten vorfinde, wie er sie braucht
(vergl. §. 330. 615), dann aber auch als eine Thätigkeit, die in ihrer
Ausübung unmittelbar der Kunst Stoffe, Gruppen, Scenen darbietet,
sowohl in ihrer gewöhnlichen (vergl. §. 348 Anm. 2.), als auch nament-
lich in ihrer festlichen (§. 329). Die letzte Form nehmen wir jetzt wie-
der auf, aber in anderer Bedeutung, nämlich nicht als Stoff für die
Kunst, sondern als ein Schauspiel, ein Kunstwerk für sich: die Gymna-
stik, die nicht den Leib als Seelen- und Charakter-Organ erst bildet,
sondern die gewonnene Bildung desselben rein aufzeigt, so daß dieß Auf-
zeigen Selbstzweck ist, tritt nun auf als eine lebendige Plastik, die nur
darum blos anhängende Kunstform ist, weil sie in lebendigem Naturstoffe
darstellt. Hier macht sich also dasjenige Moment geltend, das in §. 548 als
Grund eines besondern Zweigs anhängender Kunst aufgestellt ist. --
Die Gymnastik, welche die Schönheit aufzeigt, die sie als Uebung aus-
gebildet hat, ist Spiel, d. h. Thätigkeit um der Thätigkeit willen mit
blos scheinbarem Zweck, Thätigkeit als reine Form, aber ein durch die
Kunst erhöhtes Spiel. Sie tritt zunächst auf als reine Aeußerung des
gewöhnlichen Spieltriebs, als harmlose Ergötzung, die nicht auf Zu-
schauer berechnet ist. Hievon ist sodann eine zweite Stufe zu unterschei-
den: die Gymnastik als ernste, zwecksetzende Uebung, die aus dem Spiele
das Geeignete ausscheidet, um es eben für ihren Zweck zu verwenden.
Daneben erhält sich das ursprüngliche Spiel als eine Nachbarform der
Gymnastik, welche mehr und weniger ist, als diese: mehr, weil sie zweck-
los ist, ein freier Selbstgenuß des aus Geschäft und aus bloßer Befrie-
digung der Sinnlichkeit zur harmonischen Bewegung seines einfachen,

nicht treiben, vergl. die Anm. jenes §. Die neueſte Zeit verſieht das
ausſchmückende Bedürfniß vorherrſchend durch mechaniſche Nachbildungen.
Dieſes Moment, das im §. 549 als einer der Eintheilungsgründe für
die anhängenden Zweige aufgeführt iſt, haben wir hier im §. nicht be-
ſonders aufgeführt, es wird erſt in der Malerei wichtiger; in der Pla-
ſtik iſt der Abguß und Abdruck von Kunſtwerken mittelſt verkleinernder
Formen in Gyps, Thon, Glas, Erz, Kupfer, Eiſen, Zink, Gutta-
Percha, Wachs, Papierbrei u. ſ. w. bis zu Tragant und Zucker herun-
ter nur ein Mechaniſches, das freilich in der letzten Ueberarbeitung zum
Theil noch der feineren, künſtleriſch gebildeten Hand bedarf, deſſen Werth
aber nicht verkannt werden ſoll, denn dieſer Nebenzweig vervielfältigt
das Kunſtwerk, ſtreut es in das Leben, in die Wohnung des Bürgers
und wirkt ſo zur Verbreitung des äſthetiſchen Sinnes, zur Veredlung des
Daſeins.

2. Wir haben die Gymnaſtik an andern Stellen des Syſtems in
doppelter Beziehung ſchon aufgeführt: als Mittel, die menſchliche Schön-
heit zu entwickeln, damit der Künſtler Geſtalten vorfinde, wie er ſie braucht
(vergl. §. 330. 615), dann aber auch als eine Thätigkeit, die in ihrer
Ausübung unmittelbar der Kunſt Stoffe, Gruppen, Scenen darbietet,
ſowohl in ihrer gewöhnlichen (vergl. §. 348 Anm. 2.), als auch nament-
lich in ihrer feſtlichen (§. 329). Die letzte Form nehmen wir jetzt wie-
der auf, aber in anderer Bedeutung, nämlich nicht als Stoff für die
Kunſt, ſondern als ein Schauſpiel, ein Kunſtwerk für ſich: die Gymna-
ſtik, die nicht den Leib als Seelen- und Charakter-Organ erſt bildet,
ſondern die gewonnene Bildung deſſelben rein aufzeigt, ſo daß dieß Auf-
zeigen Selbſtzweck iſt, tritt nun auf als eine lebendige Plaſtik, die nur
darum blos anhängende Kunſtform iſt, weil ſie in lebendigem Naturſtoffe
darſtellt. Hier macht ſich alſo dasjenige Moment geltend, das in §. 548 als
Grund eines beſondern Zweigs anhängender Kunſt aufgeſtellt iſt. —
Die Gymnaſtik, welche die Schönheit aufzeigt, die ſie als Uebung aus-
gebildet hat, iſt Spiel, d. h. Thätigkeit um der Thätigkeit willen mit
blos ſcheinbarem Zweck, Thätigkeit als reine Form, aber ein durch die
Kunſt erhöhtes Spiel. Sie tritt zunächſt auf als reine Aeußerung des
gewöhnlichen Spieltriebs, als harmloſe Ergötzung, die nicht auf Zu-
ſchauer berechnet iſt. Hievon iſt ſodann eine zweite Stufe zu unterſchei-
den: die Gymnaſtik als ernſte, zweckſetzende Uebung, die aus dem Spiele
das Geeignete ausſcheidet, um es eben für ihren Zweck zu verwenden.
Daneben erhält ſich das urſprüngliche Spiel als eine Nachbarform der
Gymnaſtik, welche mehr und weniger iſt, als dieſe: mehr, weil ſie zweck-
los iſt, ein freier Selbſtgenuß des aus Geſchäft und aus bloßer Befrie-
digung der Sinnlichkeit zur harmoniſchen Bewegung ſeines einfachen,

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[500/0174] nicht treiben, vergl. die Anm. jenes §. Die neueſte Zeit verſieht das ausſchmückende Bedürfniß vorherrſchend durch mechaniſche Nachbildungen. Dieſes Moment, das im §. 549 als einer der Eintheilungsgründe für die anhängenden Zweige aufgeführt iſt, haben wir hier im §. nicht be- ſonders aufgeführt, es wird erſt in der Malerei wichtiger; in der Pla- ſtik iſt der Abguß und Abdruck von Kunſtwerken mittelſt verkleinernder Formen in Gyps, Thon, Glas, Erz, Kupfer, Eiſen, Zink, Gutta- Percha, Wachs, Papierbrei u. ſ. w. bis zu Tragant und Zucker herun- ter nur ein Mechaniſches, das freilich in der letzten Ueberarbeitung zum Theil noch der feineren, künſtleriſch gebildeten Hand bedarf, deſſen Werth aber nicht verkannt werden ſoll, denn dieſer Nebenzweig vervielfältigt das Kunſtwerk, ſtreut es in das Leben, in die Wohnung des Bürgers und wirkt ſo zur Verbreitung des äſthetiſchen Sinnes, zur Veredlung des Daſeins. 2. Wir haben die Gymnaſtik an andern Stellen des Syſtems in doppelter Beziehung ſchon aufgeführt: als Mittel, die menſchliche Schön- heit zu entwickeln, damit der Künſtler Geſtalten vorfinde, wie er ſie braucht (vergl. §. 330. 615), dann aber auch als eine Thätigkeit, die in ihrer Ausübung unmittelbar der Kunſt Stoffe, Gruppen, Scenen darbietet, ſowohl in ihrer gewöhnlichen (vergl. §. 348 Anm. 2.), als auch nament- lich in ihrer feſtlichen (§. 329). Die letzte Form nehmen wir jetzt wie- der auf, aber in anderer Bedeutung, nämlich nicht als Stoff für die Kunſt, ſondern als ein Schauſpiel, ein Kunſtwerk für ſich: die Gymna- ſtik, die nicht den Leib als Seelen- und Charakter-Organ erſt bildet, ſondern die gewonnene Bildung deſſelben rein aufzeigt, ſo daß dieß Auf- zeigen Selbſtzweck iſt, tritt nun auf als eine lebendige Plaſtik, die nur darum blos anhängende Kunſtform iſt, weil ſie in lebendigem Naturſtoffe darſtellt. Hier macht ſich alſo dasjenige Moment geltend, das in §. 548 als Grund eines beſondern Zweigs anhängender Kunſt aufgeſtellt iſt. — Die Gymnaſtik, welche die Schönheit aufzeigt, die ſie als Uebung aus- gebildet hat, iſt Spiel, d. h. Thätigkeit um der Thätigkeit willen mit blos ſcheinbarem Zweck, Thätigkeit als reine Form, aber ein durch die Kunſt erhöhtes Spiel. Sie tritt zunächſt auf als reine Aeußerung des gewöhnlichen Spieltriebs, als harmloſe Ergötzung, die nicht auf Zu- ſchauer berechnet iſt. Hievon iſt ſodann eine zweite Stufe zu unterſchei- den: die Gymnaſtik als ernſte, zweckſetzende Uebung, die aus dem Spiele das Geeignete ausſcheidet, um es eben für ihren Zweck zu verwenden. Daneben erhält ſich das urſprüngliche Spiel als eine Nachbarform der Gymnaſtik, welche mehr und weniger iſt, als dieſe: mehr, weil ſie zweck- los iſt, ein freier Selbſtgenuß des aus Geſchäft und aus bloßer Befrie- digung der Sinnlichkeit zur harmoniſchen Bewegung ſeines einfachen,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030202_1853/174>, abgerufen am 22.12.2024.